Gareth Bale wäre am frühen Abend des 24. Februars gut beraten gewesen, sein Smartphone nur für einen klitzekleinen Moment in seiner Hosentasche zu verstecken. Der Stürmer von Real Madrid schlenderte nach der Busankunft im Estadio Ciudad de Valencia fernab seiner Kollegen durch die vor neugierigen Pressevertretern nur so wimmelnden Katakomben, er trug Kopfhörer und konzentrierte sich mit starrem Blick auf das, was sich da auf dem unübersehbaren Bildschirm in seiner rechten Hand abspielte.
Dass ihn einige Reporter dabei filmten, interessierte ihn herzlich wenig. Womöglich war er in all seiner Unbekümmertheit auch nur der Meinung, es wäre kein Problem, so kurz vor dem Auswärtsspiel bei UD Levante das Finale der Golf-WM in Mexiko zu streamen. Nicht grundlos hatte er einst in einem Interview preisgegeben, er schaue in seiner Freizeit lieber Golf als Fußball. Er interpretiere den Fußball mehr als Arbeit, so der 29-Jährige, als "schöne Arbeit", und die wolle er so gut wie möglich erledigen. Das zeigte sich nicht unbedingt am frühen Abend des 24. Februars. Dafür aber umso mehr am späten. Bale verhalf den Madrilenen mit einem Elfmetertor in der 78. Minute zu einem unter dem Strich doch recht glücklichen 2:1-Sieg.
Das interessierte nach dem Abpfiff aber niemanden mehr. Zu diesem Zeitpunkt lief in jeder spanischen Sportsendung schon jene Szene vor der Partie rauf und runter. Zu Experten ernannte Ex-Profis beschwerten sich zuhauf über Bales Verhalten, sagten ihm einen Mangel an Professionalität und Respekt gegenüber der Mannschaft nach, zwängten ihn in die Rolle des gelangweilten Millionärs. Tags darauf war in den großen Madrider Zeitungen wie Marca, AS oder El Pais wieder einmal von allerlei Märchengeschichten zu lesen. Eine davon: Bale hätte seinen damaligen Trainer, Santiago Solari, sogar darum gebeten, nicht nach Valencia mitreisen zu müssen, um sich das Finale der Golf-WM gemütlich vom heimischen Sofa aus anzusehen.
Gareth Bale: Ein Opfer von Märchengeschichten
Es war eine von diesen vielen Märchengeschichten, die Bales Berater Jonathan Barnett nach dessen Wechsel von Tottenham Hotspur zu den Königlichen im Sommer 2013 dementieren musste, um den öffentlichen Groll gegen seinen Klienten abzuschwächen. Es war eine von diesen vielen Mücken, aus denen Elefanten wurden. Womöglich hätte niemand darüber gesprochen, hätte es sich um einen spanischen Spieler wie Isco, Marco Asensio oder Dani Carvajal gehandelt.
Es war aber Bale. Der mit einer Ablösesumme von 101 Millionen Euro nach wie vor teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte, an dem sich die Geister scheiden, weil er sein Spiel sehr britisch interpretiert, eher über Schnelligkeit und Kraft kommt statt technische Finesse. Es war Bale. Die Hassfigur vieler Journalisten, die unter dem täglichen Druck stehen, Schlagzeilen in Verbindung mit Real zu produzieren.
Der Mann mit der Nummer 11 spricht nach fast sechs Jahren in Madrid immer noch kein Spanisch, gibt aus Angst vor falschen Übersetzungen kaum Interviews, meidet das Rampenlicht. Er identifiziert sich auch nicht so sehr mit dem Land wie der Großteil seiner Teamkollegen, verschanzt sich an freien Tagen mit seiner Familie in seiner Luxusvilla in La Finca, dem Reichenviertel im Madrider Vorort Pozuelo de Alarcon, oder reist in seine Heimat, um ein paar Golfbälle über das walisische Grün zu schlagen.
Wie schlecht dieses Verhaltensmuster bei den oft zu patriotischen Spaniern ankommt, wird bei nahezu jedem Heimspiel von Real deutlich. Die Fans pfeifen Bale erbarmungslos aus. Nicht nur bei misslungenen Aktionen. Auch bei Ein- und Auswechslungen. Sie sehen ihn als Problem, nicht als Hilfe. Eigentlich kurios, wenn man bedenkt, dass er keinen allzu geringen Anteil an den vier glorreichen Champions-League-Siegen in den vergangenen fünf Jahren hatte. Im Gegenteil: Er avancierte in den Endspielen häufiger zum entscheidenden Mann als Cristiano Ronaldo.
Gareth Bale als Erfolgsgarant in der Champions League
2014 traf Bale in der Verlängerung zum wichtigen 2:1-Führungstreffer gegen Atletico, verwandelte zwei Jahre später sicher im Elfmeterschießen gegen Jan Oblak und narrte den FC Liverpool 2018 sogar mit zwei Toren. Eines davon war ein Fallrückzieher, das vielleicht schönste Tor überhaupt, das in einem Finale der Königsklasse erzielt wurde. Andererseits schickte sich der Linksfuß in all den Jahren nie an, zur Galionsfigur des galaktischen Starsensembles zu reifen. Auch nach Ronaldos Abgang im vergangenen Sommer wirkte er auf und neben dem Rasen isoliert. Bale unterhielt sich mit Ausnahme von Luka Modric und Toni Kroos nur selten mit seinen Mitspielern, ließ als einziger Profi neben Kroos einen Mannschaftsabend sausen und reiste nach zwei Spielen mit dem eigenen Auto statt dem Teambus ab.
Zusätzlichen erschwerten ihm viele Verletzungen den endgültigen Durchbruch - und Real die Mammutaufgabe, das erste Jahr der Post-Ronaldo-Ära halbwegs schadenfrei zu meistern. All das brachte sogar seinen größten Förderer dazu, von ihm abzurücken. Florentino Perez, der mächtige Real-Präsident, hatte seinen Königstransfer Bale intern oft als besseren Spieler als Ronaldo gelobt und sich deshalb mit mehreren Trainern, die anderer Meinung waren, angelegt. So auch mit Zinedine Zidane. Der Franzose hätte im vergangenen Sommer lieber Bale statt Ronaldo verkauft. Da sich Perez weigerte, warf Zidane das Handtuch. Ein Dreivierteljahr später holte Perez Zidane zurück. "Das Todesurteil für Bale", wie El Mundo treffend schrieb.
Zinedine Zidane gewährt Gareth Bale kein Abschiedsspiel
Seit dem Comeback der Vereinsikone Mitte März stand der walisische Nationalspieler nur noch acht Mal auf dem Rasen. Zuletzt strich ihn Zidane zwei Mal aus dem Kader, beim würdigen Abschluss einer unwürdigen Saison gegen Betis Sevilla (0:2) schmorte er 90 Minuten lang auf der Bank. Es wäre die letzte Gelegenheit für Bale gewesen, sich mit einem Hauch von Anstand vom Publikum im Santiago Bernabeu zu verabschieden.
Auch wenn sich Zidane noch nicht klar zur Zukunft des 29-Jährigen geäußert hat, geht niemand mehr von einer Fortsetzung dieses Missverständnisses aus. Bale ist vom Buhmann, der er praktisch seit seiner Ankunft war, zu einem Mobbingopfer geworden, zu einem abgenutzten Spielzeug, das schon bald durch ein oder mehrere neue ersetzt werden dürfte. Eden Hazard, Kylian Mbappe, Neymar - die Liste möglicher Nachfolger ist lang.
"Dass Bale bleibt, ist unmöglich", sagte Ex-Real-Präsident Ramon Calderon der britischen Rundfunkanstalt BBC am Montag. Ein Wechsel sei für alle Beteiligten "die beste Entscheidung" und "längst überfällig". Wohin die Reise des entzauberten Superstars führt, ist noch völlig offen. Allen voran seinem Ex-Klub Tottenham wird Interesse nachgesagt. Allerdings müsste Bale finanzielle Einbußen hinnehmen, falls er nach London zurückkehrt. Bei Real verdient er angeblich 17 Millionen Euro netto im Jahr - zu viel für die Spurs. Laut Calderon sei sogar eine Ausleihe wie im Fall von James Rodriguez, den Real beim FC Bayern geparkt hat, "denkbar". Für Bale besteht zumindest keine Eile, sein Vertrag bei den Blancos hat noch eine Gültigkeit bis zum 30. Juni 2022.
Auch wenn er in Wirklichkeit nicht der gelangweilte Millionär ist, für den ihn in Spanien viele halten, wird er sich in Ruhe Gedanken über seine Zukunft machen. Wahrscheinlich bei der einen oder anderen Runde Golf.
Gareth Bales Leistungsdaten bei Real Madrid
Kategorie | Wert |
Spiele | 231 |
Tore | 102 |
Vorlagen | 64 |
Gelbe Karten | 22 |
Rote Karten | 1 |
Titel | 14 |