Eine zusätzliche Erschwernis stellte die spanische Presse für ihn dar, die keine Gelegenheit ungenutzt ließ, ihn zu kritisieren und auch über sein extravagantes Privatleben zu berichten. "Gegenüber mir wurde er nie ausfällig", sagt der frühere Real-Reporter Gutierrez. "Ich ließ ihn aber auch in Ruhe, wenn er sich nicht in der Nähe des Stadions oder des Trainingsgeländes aufhielt."
Juan Jose Dominguez und Jose Angel Sanchez, zwei seiner Journalisten-Kollegen, taten das nicht. Sie lernten einen anderen Anelka kennen: als sie im Januar 2000 unmittelbar vor dem Anwesen des Spielers einen Beitrag für den Fernsehsender Antena 3 wollten, stürmten ein Freund von Anelka sowie Bruder Didier unter wüsten Beschimpfungen auf sie los.
Sanchez fiel bei dem Gerangel zu Boden und verletzte sich leicht an der Nase und am Handgelenk, zudem wurde eine Kamera in Mitleidenschaft gezogen. Anelka selbst, so ging es später aus der Anzeige der beiden Journalisten hervor, sei nur erschienen, um eine Materialtasche und den Schlüssel des Autos zu entwenden. Die Polizei rückte an, der Anelka-Clan gab die gestohlenen Sachen zurück und wurde vor Gericht zu einer Geldstrafe verdonnert.
Flucht im Kofferraum: "Ein normales Leben war unmöglich"
"Sie müssen sich mal vorstellen: Mir sind damals Journalisten auf der Straße hinterhergelaufen, um mich zu fragen, was sich da in meinen Einkaufstüten befindet und was ich nun noch so vorhabe. Das war seltsam, das kannte ich so aus Frankreich und England nicht. In Madrid war es unmöglich, ein normales Leben zu führen. Der Trubel um meine Person war riesig. Ich wurde regelrecht verfolgt", erzählte Anelka einmal.
Der Höhepunkt des Theaters um ihn ereignete sich Mitte März 2000, als er infolge einiger Spiele ohne Einsatz in die Kabine stürmte und seinen Mitspielern vorwarf, sie und generell alle in Madrid hätten sich gegen ihn verschworen. "Er sagte zum Beispiel, wir würden uns nicht für ihn freuen, wenn er trifft", berichtete del Bosque. Daraufhin schwänzte Anelka drei Tage lang das Training und brannte ohne Rücksprache und Rückflugticket nach Paris durch. Augenzeugenberichten zufolge versteckte sich der Stürmer auf dem Weg zum Madrider Flughafen Barajas in dem Kofferraum des Wagens, den sein Bruder Didier fuhr, um den vor seiner Villa wartenden Journalisten zu entfliehen.
Anelka: "Bei Real behandeln sie mich wie einen Hund"
Er wollte einfach nur nach Hause, nach Trappes, wo die Welt für ihn noch normal war und keiner ihn belästigte. Dort angelangt brummten ihm die erzürnten Real-Bosse eine Geldstrafe von umgerechnet 450.000 Euro auf und suspendierten ihn für sechs Wochen vom Training. Das wiederum veranlasste Anelka, dem französischen Magazin France Football ein Interview zu geben, in dem er sich wieder als Verschwörungstheoretiker versuchte. "Bei Real", jammerte er, "behandeln sie mich wie einen Hund. Dort bin ich allein gegen alle, niemand unterstützt mich."
Schnell war Anelka wieder "Le Sulk", der Schmoller - so hatten ihn einst die Fans des FC Arsenal getauft, weil er sich nie über seine Tore freute. Der Schmoller war aber immer noch ein guter Fußballer. Und nachdem er sich bei Trainern, Mitspielern und Fans entschuldigt hatte, feierte er im späten Frühling sein Comeback.
Anelkas unverhofftes Comeback als Bayern-Albtraum
Es sollte ein unverhofft erfolgreiches werden, denn im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Bayern stand Anelka plötzlich zweimal in der Startelf - und traf sowohl im Hinspiel im Bernabeu als auch im Rückspiel im Münchner Olympiastadion. Mit diesen zwei von insgesamt sieben Toren im weißen Trikot war er maßgeblich an dem Gewinn des Henkelpokals beteiligt, den Real Ende Mai mit einem lockeren 3:0-Sieg über den FC Valencia perfekt machte. In Paris.
Dort blieb Anelka anschließend übrigens. Das schwierige Verhältnis zu seinen Mitspielern war nicht mehr zu kitten, außerdem bahnte sich die Ankunft des neuen Präsidenten Florentino Perez an, der keine Lust auf weitere Tyranneien des skandalerprobten Störenfrieds von Trappes hatte.
"Real Madrid war einfach nichts für mich", sagte Anelka hinterher. PSG verpflichtete ihn für ein bisschen weniger als die Summe, die Real ein Jahr zuvor gen London überwiesen hatte. "Ich möchte hier in meiner Heimat Geschichte schreiben", meinte er. Nur eineinhalb Jahre später landete er erneut im Ausland, in der Premier League. Der FC Liverpool lieh ihn aus, weil ihm im Prinzenpark seiner Meinung nach mal wieder nicht die nötige Unterstützung zuteil geworden war.
Es sollten acht weitere Stationen mit etlichen weiteren Eskapaden folgen, ehe das ewige Enfant terrible 2016 seine Karriere im indischen Mumbai beendete. Unter anderem als zweifacher Champions-League-Sieger, als nationaler Meister in England, Italien und in der Türkei, als Europameister. Es wäre wohl deutlich mehr drin gewesen, hätte der heute 42-Jährige sich nicht wie in Madrid zu oft selbst im Weg gestanden.
Die Karriere-Stationen des Nicolas Anelka
Paris Saint-Germain (Frankreich) | 1996 - 1997 |
FC Arsenal (England) | 1997 - 1999 |
Real Madrid (Spanien) | 1999 - 2000 |
Paris Saint-Germain (Frankreich) | 2000 - 2002 |
FC Liverpool (England) | 2002 |
Manchester City (England) | 2002 - 2005 |
Fenerbahce (Türkei) | 2005 - 2006 |
Bolton Wanderers (England) | 2006 - 2008 |
FC Chelsea (England) | 2008 - 2012 |
Shanghai Shenua (China) | 2012 - 2013 |
Juventus Turin (Italien) | 2013 |
West Bromwich Albion (England) | 2013 - 2014 |
Mumbai City (Indien) | 2014 - 2016 |