Nach zwei missglückten Anläufen bei Galatasaray und Olympiakos Piräus mutete Emre Mors Niedergang irreversibel an. Wobei "Niedergang" fast noch zu freundlich ist, "Absturz" trifft es schon eher. Als Riesentalent im Sommer 2016 zu Borussia Dortmund gewechselt, ging es ein Jahr später zu Celta Vigo, dann zu Gala und schließlich nach Griechenland. Überall wurde einhellig konstatiert: Durchbruch nicht geschafft, Chance nicht genutzt - und zwar selbstverschuldet.
Als Mor Ende Juni 2020 nach ganzen zwei Einsätzen für Piräus in die Primera Division zurückkehrte, hatte er bei den Celtinas eigentlich keine Zukunft mehr. Die 13 Millionen Euro, die der Klub an den BVB gezahlt hatte, hätte man genauso gut in den Wind schießen können. Und für Mor stand irgendwo ein neues Kapitel an, noch eine Ebene tiefer: Das Label des "gescheiterten Supertalents" würde weiter an ihm haften wie ein unerreichbarer "Tritt mich!"-Aufkleber auf seinem Rücken.
Knapp dreieinhalb Monate später muss man sich allerdings verwundert die Augen reiben: Mor steht nicht nur weiter in Vigo unter Vertrag, er spielt sogar. Regelmäßig. In den ersten fünf Ligapartien stand er viermal in der Startelf, vor der Länderspielpause kam er gegen Osasuna (0:2) von der Bank. Wie kam es zu diesem Turnaround? Hat es bei Mor, wie von seinen früheren Vereinen vergeblich erhofft, tatsächlich Klick gemacht?
Für eine definitive Bewertung ist es natürlich viel zu früh, schließlich hatte sich Mor schon in der Vergangenheit mehrfach öffentlich geläutert gezeigt und Besserung gelobt. Nur um dann doch wieder in altbekannte Muster zurückzufallen: undiszipliniertes Verhalten auf und neben dem Platz, das zweifellos enorme Talent überlagert von infantilem Verhalten, Suspendierungen - und dem berüchtigten Thron, geschmückt mit "Emre Mor 7"-Strasssteinen.
Emre Mors Aufschwung bei Celta Vigo: Lob von Trainer Oscar Garcia
Die ersten Schritte machten aber durchaus Hoffnung: Nachdem ein Transfer im von Corona gebeutelten Sommer nicht zustande kam, fiel Mor bei Trainer Oscar Garcia plötzlich mit vorbildlicher Einstellung, Extraschichten und guten Eindrücken in Testspielen auf. So schaffte er es wieder in den Profikader. "Wir können uns noch gut daran erinnern, was bisher passiert ist", gab sich Garcia öffentlich skeptisch ob Mors Wandlung. "Aber ich muss ehrlich zugeben, dass er es in diesem Sommer bisher sehr gut macht. Er hängt sich voll rein."
Dieses Faktum wurde auch in der Türkei mit Wohlwollen registriert. Dort ist Mor als pfeilschneller Dribbler außerordentlich beliebt, nach spektakulären Auftritten im Vorfeld der EM 2016 avancierte er zum Hoffnungsträger einer ganzen Fußballnation. Auch nach seinem Wechsel zu Galatasaray waren die Hoffnungen groß, Mor sollte als offensiver Außen Stürmerstar Falcao mit Vorlagen versorgen. Doch dieses Experiment war nach nur fünf Monaten und öffentlicher Kritik des Jungstars an Trainer-Lichtgestalt Fatih Terim schon wieder gescheitert.
So ganz will man Mor in seinem Heimatland aber nicht abschreiben. "Er hat in der Türkei mittlerweile das Image eines hoffnungslosen Falles weg, den man nicht mehr belehren kann", sagt Türkei-Experte und Socrates-Chefredakteur Fatih Demireli im Gespräch mit SPOX und Goal. "Aber irgendwo hofft man trotzdem, dass er die Kurve nochmal kriegt - auch, was die Nationalmannschaft angeht."
Emre Mor im Steckbrief
geboren | 24. Juli 1997 in Brönshöj (Dänemark) |
Größe | 1,69 m |
Gewicht | 64 kg |
Position | Außenstürmer |
starker Fuß | links |
Stationen | Brönshöj Boldklub Jugend, Lyngby BK Jugend, Nordsjaelland Jugend, Nordsjaelland, Borussia Dortmund, Celta Vigo, Galatasaray, Olympiakos Piräus, Celta Vigo |
Spiele/Tore als Profi | 95/4 |
Emre Mor: Hoffnung auf das Comeback in der türkischen Nationalmannschaft
Für die hat Mor mittlerweile drei Jahre nicht mehr gespielt. Doch die Tür ist nicht zu, schließlich ist der heimische Spielerpool trotz des Aufschwungs der letzten Jahre noch nicht so groß, dass man auf ein Talent vom Schlage Mors freiwillig verzichten würde. Gerade auf den Flügeln ist die Personaldecke eher dünn, aufstrebende Stars wie Cengiz Ünder und Abdülkadir Ömer sind verletzungsanfällig.
Die Fähigkeiten für die Elf von Trainer Senol Günes brächte Mor locker mit. "Mein Eindruck ist, dass er keine Lust auf den Fußballer-Alltag hat. Wenn er hochmotiviert ist, ist er kaum aufzuhalten. Aber das passiert zu selten. Er muss dieses Phlegma einfach mal ablegen", fordert Demireli. Dafür wären die pädagogischen Fähigkeiten Günes' gefragt, der bei Besiktas schon mit Spielern vom Schlage Ricardo Quaresmas zusammengearbeitet hat und weiß, wie er schwierige Charaktere packen muss. Andererseits: Wenn es schon mit Mors "Ziehvater" Terim nicht geklappt hat ...?
Ohnehin liegt es erst einmal weiter an Oscar Garcia, Mor weiter in die richtigen Bahnen zu lenken - von der Nationalelf ist der trotz berechtigter Hoffnungen Stand jetzt noch weit entfernt. Seine bisherigen Auftritte im Celta-Vigo-Trikot boten Licht und Schatten, die Konstanz fehlt noch.
Vor allem liegt es aber an Mor selbst, den nun eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Als Motivation könnte ihm sein früherer Teamkollege Ousmane Dembele dienen, der es trotz ähnlicher Aussetzer zum FC Barcelona schaffte. "In Dortmund haben es in den letzten Jahren so viele Talente geschafft", sagt Demireli. "Wenn es ihm nicht gelingt, ist das ja auch in gewisser Weise ein Makel für ihn."