Groteskes Theater um Lionel Messis Vertrag beim FC Barcelona: Männer, die die Ziege narren

Von Dennis Melzer
Lionel Messi verdient beim FC Barcelona gigantische Summen. Ist er schuld an der finanziellen Misere des Klubs?
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Lionel Messi soll mit seinem utopischen Gehalt seinen Teil zum drohenden finanziellen Ruin des FC Barcelona beigetragen haben. Doch ist 'La Pulga' der richtige Sündenbock?

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Im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2018 ließ sich Lionel Messi im Trikot der argentinischen Nationalmannschaft breit grinsend für das US-amerikanische Paper Magazine mit kleinen Ziegen auf dem Arm ablichten. Messi, der GOAT, also Greatest Of All Time, für den er von nicht wenigen Fußballfans gehalten wird, gemeinsam mit Goats, englisch für Ziegen. Witzig.

Nicht ganz so witzig dürfte der Superstar das aktuelle Theater um seine Person finden. Am Sonntagmorgen veröffentlichte die spanische Zeitung El Mundo höchst brisante Details aus Messis Vertrag, druckte die für Normalsterbliche schier unfassbare, nicht greifbare, ja utopische Zahl 555.237.619 auf die Titelseite. So viel Geld soll 'La Pulga' insgesamt, also inklusive Bonuszahlungen, bei seiner letzten Vertragsverlängerung im November 2017 vom FC Barcelona für die kommenden vier Jahre zugesichert worden sein.

"Der pharaonische Vertrag von Messi, der Barca ruiniert", titelte El Mundo unter dem neunstelligen Fabelbetrag - und baute somit nicht nur die naheliegende Verbindung zwischen Messis Gehalt und der desaströsen finanziellen Situation der Blaugrana auf, sondern rückte den 33-Jährigen gleichzeitig ins Licht des unersättlichen Raffzahns, der seinen langjährigen Herzensverein zugrunde richtet.

Laut aktuellem Barca-Geschäftsbericht beträgt die Gesamtschuldenlast rund 1,2 Milliarden Euro, 730 Millionen Euro davon sollen kurzfristige Verbindlichkeiten sein. Die Katalanen stehen also vor der Pleite - und Messi kassiert ab, so der vermittelte Eindruck. Vom GOAT zum Sündenbock quasi. Doch wer könnte überhaupt ein Interesse daran haben, Messi an den öffentlichen Pranger zu stellen? Und steht Messi ebendort eigentlich berechtigterweise, sind er und sein absurdes Salär tatsächlich der dickste Nagel im blau-roten Sarg?

Messis Vertrag geleakt: Theater beim FC Barcelona

Wenige Stunden nachdem El Mundo die Fußball-Welt erschüttert hatte, meldete sich Barca mit einem Statement zu Wort. Der Klub trage keine Verantwortung dafür, dass das Vertragsdokument an das Blatt lanciert wurde. Messi dürfe sich der größtmöglichen Unterstützung sicher sein, "gegen jeden Versuch, sein Image zu diskreditieren", hieß es weiter. Zudem wolle man rechtliche Schritte gegen die Madrider Zeitung einleiten. Die Echtheit der Dokumente wurde dabei von offizieller Seite keineswegs negiert.

Obwohl der Klub jede Schuld von sich wies und dem entblößten Edeltechniker öffentlich den Rücken stärkte - es muss sich beim El-Mundo-Informanten um einen Insider handeln. Wer will Messi also narren? Medienberichten zufolge sollen insgesamt nur fünf Personen im Verein über die Details des Kontraktes im Bilde gewesen sein. Darunter Ex-Präsident Josep Bartomeu, Exekutivdirektor Oscar Grau und Carles Tusquets, der aktuelle Präsident der Übergangskommission.

Gegen sie sowie El Mundo sollen Messi und dessen Anwälte nun eine Klage in Erwägung ziehen. Barca-Trainer Ronald Koeman erklärte am Sonntagabend: "Wenn das jemand aus dem Klub lanciert hat, darf er hier keine Zukunft haben. Dahinter stecken böse Absichten." Bartomeu, der im Herbst seinen Präsidentenhut genommen hatte und mit Messi seit geraumer Zeit über Kreuz liegt, sah sich jedenfalls in der sonntäglichen Theateraufführung genötigt, alle bisherigen oder künftigen Anschuldigungen von sich zu weisen.

Er schickte eine Erklärung, die in der TV-Sendung Gol a gol verlesen wurde. "Ich habe damit nichts zu tun", schrieb der 57-Jährige und ergänzte: "Es ist eine ernste Situation und absolut illegal, professionelle Verträge zu veröffentlichen." Die ganze Geschichte werde noch vor Gericht landen, prophezeite Bartomeu. Bezüglich des Einkommens schrieb er diplomatisch: "Messi verdient diese Summen aus fußballerischen, aber auch aus marketingtechnischen Gründen. Ohne die Pandemie wäre es für Barca kein Problem, dieses Geld zu bezahlen." Nachvollziehbare Aussagen, immerhin trug Bartomeu mit der Einwilligung zu den Konditionen dazu bei, dass Messi seinen Mega-Vertrag erhielt.

Auch Liga-Präsident Javier Tebas ergatterte eine Nebenrolle in der Messi-Posse: "Die heikle finanzielle Situation ist nicht Messis Schuld, sondern auf die Auswirkungen von Covid zurückzuführen. Ohne eine Pandemie gleichen die Einnahmen des besten Spielers der Geschichte diese Kosten aus. Einige Medien behandeln dieses Problem nicht fair", schrieb der auf Twitter.

Barcas Finanzen: Gebeutelt von der Corona-Pandemie

Richtig, die Pandemie. Corona hält die Welt nach wie vor in Atem, sorgt bei sämtlichen Unternehmen, also auch bei Fußballvereinen, für erhebliche finanzielle Einbußen. Beim FC Barcelona sind diese Einbußen aber noch gravierender als bei den meisten anderen Klubs. Neben Manchester United verbuchte Barca den größten Umsatzeinbruch aller europäischer Fußballschwergewichte. Der Umsatz Barcelonas verringerte sich 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 125,7 Millionen Euro auf 751,1 Millionen Euro.

Vor allem die Tatsache, das riesige Camp Nou nicht für Zuschauer öffnen zu können, beschert dem 26-maligen spanischen Meister einen enormen Aderlass. Wie El Mundo zuletzt berichtete, gehen die Verantwortlichen für das neue Jahr von Zuschauereinnahmen in Höhe von 56 Millionen Euro aus. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, müssten ab Februar 25 Prozent und ab Mai sogar 50 Prozent der Plätze jedoch wieder belegt werden, was mit Blick auf die Coronazahlen in Spanien derzeit durchaus fraglich anmutet.

Nicht nur Messis Gehalt und die Coronakrise trafen den wankenden Riesen von der Mittelmeerküste hart. Auch die riesigen Ausgaben, die Barca für Neuzugänge in den vergangenen Jahren investierte, offenbaren die Misswirtschaft. Zu den bereits aufgeführten kurzfristigen Verbindlichkeiten von 730 Millionen Euro gehören Berichten zufolge alleine 196 Millionen Euro, mit denen Barcelona bei diversen Vereinen in der Kreide stehe.

Seit Sommer 2017 wickelten die Verantwortlichen mit Ousmane Dembele (kam im Sommer 2017 aus Dortmund), Philippe Coutinho (kam im Winter 2018 aus Liverpool) und Antoine Griezmann (kam im Sommer 2020 von Atletico) alleine drei Transfers jenseits der hundert Millionen Euro ab, die noch nicht in Gänze abbezahlt seien. Dass das kostspielige Trio diese Summen aus sportlicher Sicht nie auch nur ansatzweise legitimierte, steht dabei auf einem anderen Blatt.

Lionel Messi und Josep Maria Bartomeu.
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Lionel Messi und Josep Maria Bartomeu.

Lionel Messi und Barca: Mehr Einnahmen als Ausgaben?

Während Barca auf die Coronakrise und auf die einst ausgehandelten Ablösesummen (zumindest mittlerweile) keinen Einfluss mehr nehmen kann, hätte es im Sommer die Möglichkeit gegeben, den abwanderungswilligen Messi ziehen zu lassen - und damit eine beträchtliche Summe einzusparen. Doch Bartomeu verweigerte eine laut Messi versprochene Freigabe und zog sich so den Ärger des Argentiniers zu. Wäre es nach Bartomeus Interimsnachfolger Tusquets gegangen, hätten sich die Wege des sechsmaligen Weltfußballers und seines Arbeitgebers im Sommer getrennt.

"Aus wirtschaftlicher Sicht wäre Messis Verkauf wünschenswert gewesen", sagte er dem Radiosender RAC1 Anfang Dezember. Klar, Barcelona hätte das üppige Gehalt eingespart und im Sommer, als Messis Vertrag noch eine Saison Restlaufzeit besaß, eine Ablösesumme generieren können. Allerdings hätte Barcelona nicht nur sein sportliches, sondern eben auch sein Marketing-Zugpferd verloren. Trikotverkäufe, Sponsoreninvestitionen, Social-Media-Wachstum, all das ist eng an den sechsmaligen Weltfußballer, das Gesicht des FC Barcelona, gekoppelt.

Joan Laporta, der als Favorit auf den Präsidentenposten gilt, widersprach Tusquets am Montag indirekt, hob die Wichtigkeit Messis fürs Barcas wirtschaftliche Situation hervor. Messi bringe mehr Geld, als er koste, sagte Laporta ebenfalls bei RAC1. Der 58-Jährige, der den FCB bereits zwischen 2003 und 2010 als Präsident führte, erklärte: "Wir haben eine Studie erstellt, die besagt, dass er ein Drittel der Einnahmen Barcas generiert."

Lionel Messi hat dem FC Barcelona zu Weltruhm verholfen

Laporta hatte jüngst angedeutet, Messi unbedingt halten zu wollen. Trotz der ständigen Gerüchte um angeblichen Französischunterricht, der auf einen ablösefreien PSG-Wechsel Messis hindeuten soll, gab sich der Präsidentschaftskandidat stets zuversichtlich. "Messi hat mir gesagt, dass alles, was ich ihm gesagt habe, auch erfüllt wurde. Diese Glaubwürdigkeit hilft mir. Ich werde ihm einen Vorschlag machen, den ich erfüllen kann. Man kann ihn nicht ständig täuschen, wie sie es in den letzten Saisons getan haben", sagte er Anfang Januar im Interview mit Cadena SER und verriet: "Messi will bleiben."

Wenige Tage später wurde die für den 24. Januar angesetzte Präsidentschaftswahl auf den 7. März verschoben. Dass die Vertragsmodalitäten ausgerechnet jetzt an die Öffentlichkeit gelangt sind, hat mindestens einen faden Beigeschmack, der den Anschein erweckt, Messi, der ja eigentlich bleiben will, soll - von wem auch immer - mit aller Macht vertrieben werden. Ein Vorhaben, das durchaus Aussicht auf Erfolg haben könnte. Ob Messi bei einem Klub bleiben möchte, der über ein derart poröses, vertrauensunwürdiges Innenleben verfügt, ist sehr zweifelhaft.

Am Montagmorgen verarbeitete die argentinische Zeitung Ole das Schauspiel auf ironische Art und Weise: Auch sie hievte Messi auf die Titelseite, auch sie zeigte jeweils drei dreistellige Zahlen. 650 Tore, 260 Vorlagen, 755 Spiele. Die Message an die spanischen Mundo-Kollegen: Nein, Messi hat den FC Barcelona nicht ruiniert. Er hat dem Klub in seiner 20-jährigen Schaffenszeit, in denen viermal die Champions League und zehn spanische Meisterschaften gewonnen wurden, zu Weltruhm verholfen.

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