Im Olympiastadion von Barcelona lief ein Tiger umher. Bei den Videos zur Ankündigung eines Transfers versuchen sich die Klubs mit ihren Ideen zu übertreffen - und auch der FC Barcelona machte bei diesem Trend mit. In einem schrägen Clip kündigten die Katalanen den jungen Stürmer Vitor Roque - auch bekannt als 'Tigrinho', also 'kleiner Tiger' - an, indem ein computer-animierter Tiger auftauchte, der sich seinen Weg durch das Stadion am Montjuic bahnte.
Der Lärm des Publikums übertönte dabei aber fast das seltsame Brüllen des Tieres. Dennoch war das Video in den Sozialen Medien ein Hit und steigerte die Vorfreude der Fans, die danach sehnlichst auf die Neuverpflichtung warteten.
Als Roque nach monatelangen Spekulationen endlich unterschrieb, schien er genau der Spieler zu sein, den die angeschlagene Mannschaft von Trainer Xavi brauchte. 'Tigrinho' kam als junger, spannender Stürmer aus Brasilien, hatte zur Barça-Freude Real Madrid abgesagt - und sollte sofort als Nachfolger von Robert Lewandowski aufgebaut werden.
Doch vier Monate später warten die Barça-Fans immer noch darauf, den 19-Jährigen genauer unter die Lupe nehmen zu können. Roque war bislang in Katalonien eine Randfigur, wenn man es positiv formuliert. Viel zu häufig saß er mit mürrischem Gesicht auf der Blaugrana-Bank und konnte nicht einmal ansatzweise zeigen, warum er in Brasilien mit dem großen Ronaldo Nazario verglichen wurde. Er sollte der nächste Superstar bei Barça werden - doch bislang hat Vitor Roque nur eine kleine Nebenrolle gespielt.
Nun wird schon gemunkelt, dass er Barcelona in diesem Sommer verlassen könnte - entweder auf Leihbasis oder sogar dauerhaft. Was ist also in so kurzer Zeit für Vitor Roque schiefgelaufen?
FC Barcelona und der Transfer-Coup mit Vitor Roque
Die Roque-Verpflichtung wurde unter interessanten Umständen abgeschlossen. Barça gehörte seit Anfang 2023 zu den Interessenten, wobei Roque auch vom Hype profitierte, den mit Endrick ein weiteres brasilianisches Top-Talent ausgelöst hatte. Er war sowas wie die katalanische Antwort auf die Riesen-Ausgaben, die Real Madrid für "den nächsten Pelé" getätigt hatte. Und während die Blancos wahrscheinlich den Spieler mit dem größeren Potenzial bekommen haben, sicherte sich Barça - so glaubte man beim Klub - jemanden, der sofort auf der Jagd nach Titeln helfen konnte.
Roque hatte sich beim Erstligisten Athletico Paranaense als Torjäger etabliert, der in der Brasileirão 17-mal und in der Copa Libertadores sechsmal getroffen hatte - bevor er überhaupt 19 Jahre alt geworden war. Da man das Niveau der brasilianischen Liga und das der europäischen Top-Ligen nur schwer vergleichen kann, wusste niemand ganz genau, wie gut Roque eigentlich war. Aber Barça war sich immerhin sicher, dass das Team ein Top-Talent dazu bekommen würde.
Den Transfer perfekt zu machen, war jedoch nicht einfach, denn Barças bekannte Finanz-Probleme machten Schwierigkeiten. Obwohl man sich im Juli mündlich auf eine erste Zahlung von 30 Millionen Euro Ablösesumme geeinigt hatte - mit der Aussicht, dass Roque im Januar 2024 wechselt - schien es zwischenzeitlich, als könnten die Blaugrana den Wechsel doch nicht über die Bühne bringen, da sie sich an die strenge Gehaltsobergrenze in LaLiga halten müssen.
Gavis Kreuzbandriss änderte das alles jedoch, da Barça durch ein Schlupfloch in den Liga-Regeln den Vertrag des verletzten Mittelfeldspielers für die Saison abschreiben durfte. Schnell wurde danach Roques Ankunft angekündigt - und Geld für die Computer-Animation eines Tigers war auch noch in der Kasse.
Vitor Roque: Vielversprechender Start in Barcelona
Roque feierte sein Barça-Debüt am 4. Januar als Einwechselspieler gegen Las Palmas. Nach einigen ordentlichen Kurz-Einsätzen fand er seinen Rhythmus. Der erste große Auftritt folgte am 31. Januar, als er Barça mit einem schönen Siegtreffer vor einer Blamage gegen Osasuna bewahrte. "Torjäger sind sehr abhängig von Toren. Er hat das gebraucht. Ich denke, er hat sich nun befreit", sagte Xavi nach dem Spiel.
Vier Tage später sorgte der Youngster erneut für Furore - wenn auch unter denkwürdigen Umständen, denn gegen Alavés schrieb Roque in nur 13 Minuten Schlagzeilen: Er durfte in der 59. Minute ran, erzielte in der 63. Minute das dritte Tor für Barça, kassierte in der 67. Minute ein dumme Gelbe Karte - und flog in der 72. Minute per Ampelkarte vom Platz.
Vitor Roque bei Barca auf die Bank verbannt
Seitdem ist Roque bei den Blaugrana nur noch eine Randfigur. Der Brasilianer muss sich mit seltenen Kurz-Einsätzen zufrieden geben, auch wenn sich die Mannschaft von Xavi inzwischen schon dem Ende der Saison entgegenschleppt. Seit seiner Rückkehr von der Sperre am 17. Februar durfte er nur sechsmal ran. Zweimal stand er in der Startformation, allerdings nicht auf seiner angestammten Position, sondern auf der Außenbahn - und damit kam er nicht gut zurecht.
Das Formhoch von sowohl Robert Lewandowski als auch Raphinha hat Roques Entwicklung auch nicht geholfen - das Duo hat plötzlich angefangen, Tore am Fließband zu schießen, als Barcelona alle Titel-Hoffnungen schon beerdigt hatte. Vitor Roque hingegen hat keine Gelegenheit, sich auszuzeichnen - und das ist mit Blick auf die kommende Saison kein gutes Zeichen. Denn schließlich sind das aktuell die Wochen, in denen Xavi seinen jungen Spielern Minuten geben und sie Erfahrung sammeln lassen will.
Vitor Roque: Böse Worte des Beraters
Roque - oder besser gesagt, sein Umfeld - hat nicht geholfen, seine Situation zu verbessern. Sein Berater Andre Cury hat in den letzten Wochen die Rolle des Sprachrohrs übernommen und behauptet, dass das Verhältnis zwischen dem Angreifer und Trainer Xavi beschädigt sei.
"Niemand versteht, warum Xavi ihn nicht spielen lässt und er nicht einmal mit Vitor spricht. Das ist nicht richtig", sagte er im spanischen Radio. "Wir werden bald über seine Zukunft mit Barça sprechen. Wir haben uns damals für Barça entschieden, weil Vitor den Verein liebt. Wir hatten auch andere Angebote vorliegen, die uns doppelt so viel garantiert haben."
Auch andere haben sich in dem Disput zu Wort gemeldet, darunter Barça-Legende Rivaldo, der für den jungen Stürmer Partei ergriff. "Ich denke, Barcelona hat nicht gewusst, wie man ihm mehr Chancen geben kann. Er ist ein guter Spieler, er hat eine Zukunft. Von außen betrachtet weiß ich nicht genau, was passiert ist. Und ich weiß nicht, wie er jeden Tag im Training arbeitet, um beurteilen zu können, ob er eine Chance verdient hat. Aber wir alle wissen, was er bei Athletico Paranaense geleistet hat und was für eine starke Saison er in der brasilianischen Meisterschaft gespielt hat", sagte er Sport.
Roques Freundin hat mit einigen kryptischen Tweets Schlagzeilen gemacht, in denen sie sich über Xavis Entscheidung, den Stürmer auf die Bank zu setzen, lustig machte - und wohl die Barça-Niederlage gegen Girona feierte, bei der Roque nicht zum Einsatz gekommen war.
Wollte Xavi Vitor Roque überhaupt haben?
Umstritten bleibt, wer Roque nach Barcelona holen wollte. Xavi war Berichten zufolge sauer auf Sportdirektor Deco und die Vereinsbosse, da der Trainer Geld für einen Ersatz für Sergio Busquets zur Verfügung gestellt bekommen wollte. Er war der Meinung, dass die Blaugrana ohne einen erstklassigen Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld nicht gut funktionieren könnte - und er hat in dieser Saison mit dieser Einschätzung Recht behalten.
Deco ignorierte seine Forderungen jedoch weitgehend und drängte auf die Verpflichtung von Roque - wobei er viel Geld sparte, indem er den erfahrenen und günstigen Oriol Romeu als Sechser für die Busquets-Position verpflichtete. Der Ex-Southampton-Spieler tat sich auf dem höheren Niveau bei den Katalanen sehr schwer; Innenverteidiger Andreas Christensen lief ihm seit dem Jahreswechsel in den Zentrale den Rang ab.
Xavi seinerseits hat wiederholt betont, dass Roque Zeit braucht, um sich in der Mannschaft zurechtzufinden - und er hat nicht auf das Gerücht reagiert, dass er den Stürmer von vornherein nicht haben wollte. Dennoch deuten seine Handlungen - und Roques Stammplatz auf der Barça-Bank - darauf hin, dass er auf den Teenager auch gut und gerne hätte verzichten können.
Wie geht es für Vitor Roque in Barcelona weiter?
Es sieht so aus, als ob sich etwas ändern muss. Xavi will Roque nicht spielen lassen - und vielleicht wollte er ihn auch gar nicht haben. Der Berater machte schon klar, dass ein Leihgeschäft in diesem Sommer keine Option für den Stürmer ist. Er deutete an, dass ein fixer Abgang aus Katalonien die einzige Möglichkeit sei, die gut für die Entwicklung seines Klienten wäre. "Ich bin mir sicher, dass Vitor ein großartiger Spieler werden wird. Aber wenn Barça ihn nicht gehen lässt müssen wir nach einem anderen Weg suchen", sagte er.
Und vielleicht ist das die beste Lösung für alle Beteiligten. Roque ist zu gut, um auf der Bank zu versauern, aber noch nicht gut genug für die große Bühne bei den Katalanen. Ein Wechsel zu einem Verein, bei dem er mehr Einsatzzeiten bekommt, würde allen Beteiligten helfen. Auch ein Leihgeschäft, vielleicht zu einer anderen LaLiga-Mannschaft, könnte eine Option sein, über die Roque, sein Berater und der FC Barcelona gemeinsam nachdenken sollten.