Als das königliche Debakel perfekt war, kannte die Schadenfreude im Camp Nou keine Grenzen mehr. "Julen quedate", sangen die sich in den Armen liegenden Fans des FC Barcelona minutenlang voller Inbrunst. Bleib doch noch ein bisschen, Julen, damit wir noch weitere solcher glorreicher Abende erleben, so die Message an den Trainer von Real Madrid.
Der Adressat hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits in den Katakomben des Stadions verkrochen. Er schien aber durchaus bereit, den Wunsch der fast 93.265 Schaulustigen zu erfüllen. "Ich bin traurig, wie meine gesamte Mannschaft", sagte Lopetegui vor versammelter Presse, "aber ich fühle mich stark genug, um diese Spieler aufzurichten. Ich glaube an sie. Es ist erst Oktober, die Saison ist noch lang."
Dann begann der 52-Jährige, wie so oft in den vergangenen Wochen, die zahlreichen Chancen aufzuzählen, die sein Team vergeben hatte. Er habe vor allem in Halbzeit zwei "viel Positives" gesehen, sagte er, "wir hätten hier nicht verlieren müssen." Es war ein erstaunliches Plädoyer, das Lopetegui da für seine Mannschaft und zugleich sich selbst hielt. Aber ein vergebliches.
Real-Trainer: Antonio Conte nicht die einzige Option
Die fünfaktige Demütigung beim verhassten Erzrivalen, darüber waren sich nach dem Abpfiff sämtliche Medienvertreter und Experten im Klaren, besiegelte seine Entlassung. "Barca verabschiedet Lopetegui", schrieb AS. "Das war's, Lopetegui", kommentierte Mundo Deportivo.
Die Nachricht, der ehemalige spanische Nationalcoach werde noch zu Wochenbeginn ersetzt, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Fakt ist: Lopetegui leitete am Montag das Training, am Nachmittag tagen allerdings erst die Bosse. Für den Abend wird schließlich eine Pressemitteilung erwartet.
Als Favorit auf Reals Trainerposten gilt Antonio Conte. Dem TV-Sender La Sexta zufolge gestalten sich die Verhandlungen mit dem Italiener aber als schwierig. Santiago Solari, der aktuell die zweite Mannschaft trainiert, und Guti, zurzeit Co-Trainer von Besiktas Istanbul, werden als erste Alternativen genannt. In der spanischen Presse fällt auch der Name Roberto Martinez. Der 45-Jährige coachte zuletzt die belgische Nationalmannschaft.
Von Reals Offiziellen wollte sich am Sonntagabend niemand mehr zu dem Thema äußern, auch die Spieler stiegen wortlos in den Mannschaftsbus. Alle außer Sergio Ramos.
Real-Stars lassen Julen Lopetegui im Stich
Der Kapitän, neben Raphael Varane und Nacho Fernandez hauptverantwortlich für die desaströse Defensivleistung der Madrilenen, konnte aber ebenso wenig Auskunft über die Zukunft seines Vorgesetzten geben. Das Team stehe nach wie vor hinter Lopetegui, beschwichtigte er, besitze aber nicht die Entscheidungskraft.
Nicht mehr jedenfalls. Denn Real, so schien es vor allem in den ersten 45 Minuten, wirkte an jenem Sonntagnachmittag nicht wie eine Mannschaft, die für ihren Trainer spielte. Ohne Leidenschaft, ohne Durchschlagskraft, ohne Mut. Dass das von den Spielern so oft versprochene Statement für Lopetegui ausblieb, sah auch Ramos ein. Vor allem die erste Halbzeit, in der Coutinho (11.) und Luis Suarez (30.) Barca auf die Siegerstraße brachten, habe man "komplett hergeschenkt", warf der 32-Jährige sich und seinen Kollegen vor.
Reals Aufbäumen nach dem Seitenwechsel kam trotzdem nicht zu spät. Zumindest lag nach dem Anschlusstreffer von Marcelo (50.) der Ausgleich in der Luft. Karim Benzema ließ eine hundertprozentige Kopfballchance ungenutzt, Weltfußballer Luka Modric traf aus idealer Position nur den Pfosten.
Die Sturm-und-Drang-Phase hielt aber nur eine Viertelstunde an. Zu wenig, um den Spieß umzudrehen und Barca zu beeindrucken.
"Ein Desaster": Reals Statistiken in dieser Saison
Die Katalanen hingegen zeigten sich vor dem Kasten von Thibaut Courtois brutal effektiv. Selbst ohne "den besten Spieler der Welt", wie Ivan Rakitic betonte. Suarez avancierte in Abwesenheit seines Sturmpartners Lionel Messi mit einem Dreierpack zum Mann des Abends.
Drei Treffer in einem Clasico hatten in Barcas Geschichte bisher nur Messi und Romario erzielt. Der eingewechselte Arturo Vidal machte kurz vor Schluss mit seinem Kopfballtor die Hand voll. Zuletzt hatte der spanische Rekordmeister in der Saison 2010/11, damals noch unter Jose Mourinho, fünf Gegentore in einem Pflichtspiel hinnehmen müssen. Kein Wunder, dass Casemiro am Spielfeldrand sichtlich aufgewühlt schimpfte: "Unsere Saison ist ein Desaster."
Fünf der zehn ersten Liga-Spiele gingen zuletzt in der Saison 1942/43 verloren. Real befindet sich derzeit sogar näher an einem Abstiegsplatz als an der Tabellenführung. Zahlen, die Lopetegui keine Hoffnung auf einen Verbleib machen dürften. Auch wenn die Barca-Anhänger sicher nichts dagegen hätten.