Galatasaray steckt in der größten Krise der Vereinsgeschichte. Die Mannschaft ist in einem katastrophalen Zustand, der Klassenerhalt noch nicht gesichert. Das große Stühlerücken beginnt von vorne, auch der Präsident muss gehen. Doch es gibt einen Hoffnungsträger: den türkischen Abramowitsch.
Seit letztem Montag ist Mecidiyeköy nur noch ein Stadtteil wie jeder andere in Istanbul. Schuld daran sind die Bagger, die riesigen Bulldozer und alle anderen Zerstörungsmaschinen.
Im Herzen Mecidiyeköys stand einst das Ali-Sami-Yen-Stadion. "Ich habe in meiner Karriere viel erlebt, aber so eine Atmosphäre gab es nirgendwo anders. Laut, einfach laut", sagte einst Manchester Uniteds Ryan Giggs über den Hexenkessel von Istanbul.
Auch Milan-Legende Paolo Maldini machte seine Erfahrungen: "Mir kann kein Mensch erzählen, dass in dieses Stadion nur 25.000 Menschen passen."
Die schlechteste Saison aller Zeiten
Galatasaray lehrte in diesem Stadion fast jedem europäischen Top-Klub das Fürchten. Barcelona, Real Madrid, Milan und Co.: alle zogen hier den Kürzeren.
Jetzt ist das Ali Sami Yen nur noch Geschichte: abgerissen und zerstört. Künftig soll hier ein kolossaler Büro- und Einkaufskomplex entstehen. Der Abriss hat durchaus Symbolcharakter. Es ist kein Wagnis, das heutige Galatasaray mit einer Ruine zu vergleichen.
Die Fakten sprechen für sich: Galatasaray ist 14. der Süper Lig, verlor in dieser Saison schon 15 Mal und hat - und das nicht nur mathematisch - den Klassenerhalt immer noch nicht geschafft: Eine derart schlechte Saison hat der Klub, der sich immer noch Rekordmeister (gemeinsam mit Fenerbahce je 17 Titel) nennen darf, noch nie hingelegt.
"Fühlt sich an wie 2. Liga"
"Schlimmer wäre nur der Abstieg, wobei es sich ja jetzt schon wie 2. Liga anfühlt", sagt Hasan Sas. Für Hakan Sükür ist der aktuelle Zustand der Mannschaft nur noch "beschämend". Andere Galatasaray-Größen wie Fatih Terim wollen sich öffentlich gar nicht mehr äußern.
Die Suche nach den Gründen für die historische Krise gerät zur Endlosschleife, weil es fast keinen funktionierenden Apparat innerhalb des Klubs gibt. Dass die Mannschaft nicht zusammenpasst und keine Harmonie offenbart, ist bei 45 Zu- und 49 Abgängen in drei Jahren keine große Überraschung.
Der Fluch des Erfolgs
Dass bei dieser Kaderfluktuation reihenweise die Trainer ausgetauscht werden, ebenfalls nicht. Der 61 Jahre alte Bülent Ünder ist bereits der dritte Trainer in dieser Saison und auch er wird zum Saisonende gehen müssen. "Ich bin seit 40 Jahren mit diesem Klub verbunden und kann mich an eine ähnliche Situation nicht erinnern", sagt Ünder.
Ünder war einst Co-Trainer von Fatih Terim, als der Imperator die Gelb-Roten 2000 zum UEFA-Pokalsieg gegen den FC Arsenal führte. Der erste Europapokal-Sieg einer türkischen Mannschaft war damals ein Segen, heute ist es wie ein Fluch. Mit aller Macht versucht Galatasaray seit Jahren an diese Erfolge anzuknüpfen, jedoch ohne Konzept.
Grundgesetz: Internationale Erfolge
"Unser Ziel ist es, wie die Engländer in einer Mannschaft zu spielen, eine Farbe und eine Namen zu besitzen und die Mannschaften zu besiegen, die nicht Türkisch sind." Mit diesen Worten gründete Ali Sami Yen 1905 den Klub.
Es ist quasi ein Grundgesetz bei Galatasaray, um internationale Erfolge zu spielen. Und das nicht nur im Fußball. So verwundert es wenig, dass Galatasaray auch in den anderen Branchen schon internationale Titel feierte - zuletzt die Basketball-Abteilung der Frauen. Die Fußballer hecheln der großen Bühne dagegen seit Jahren hinterher.
Adnan Polat, der Anfang der 90er Jahre als Fußball-Denker des Klubs den Aufschwung einleitete, galt als großer Hoffnungsträger. Mit einem Rekordergebnis wurde er 2008 zum Präsidenten des Klubs gewählt und seine ersten Erfolge ließen sich durchaus sehen.
Polat gelang es, die schmucke Türk-Telekom-Arena nach jahrelangen bürokratischen Querelen bauen zu lassen.
"Galatasaray kämpft fortan mit den gleichen Waffen wie seine Konkurrenten", sagte Polat nach der Einweihung und meinte den Erzrivalen Fenerbahce, der dank seines Sükrü-Saracoglu-Stadions schon seit Jahren hohe Einnahmen akquiriert.
Der Fehler mit Sezgin
Schon vor dem Stadionbau gelang es Polat, die wirtschaftliche Situation des Klubs deutlich zu verbessern. "Die UEFA hatte früher einen eigenen Lagerraum mit den Akten zu Galatasaray. Heute gibt es keine einzige Akte mehr", so Polat, der zudem die Vermarktung des Klubs ankurbelte.
Doch trotz dieser Erfolge auf wirtschaftlicher Ebene blieben sportliche Erfolge aus. "Du kannst so viel auf die Beine stellen, wenn der Ball nicht im Tor landet, ist alles vergessen", sagt Polat und gibt Fehler zu: "Um den Fußball habe ich mich zu wenig gekümmert."
Vielmehr vertraute er seinem langjährigen Weggefährten Adnan Sezgin, der mit seiner Art, die Fußball-Abteilung zu führen, gnadenlos scheiterte. Sezgin vermied jeglichen Kontakt zur Öffentlichkeit und sorgte für zahlreiche Millionenflops.
Misstrauensvotum für den Präsidenten
Trotz lauter - auch interner - Rufe, Sezgin von seinem Amt zu entheben, blieb Präsident Polat lange Zeit stur und entließ Sezgin erst, als Galatasaray schon längst im Chaos versunken war.
anadoluGenau dies wurde Polat zum Verhängnis: Er erhielt als erster Galatasaray-Präsident in der Geschichte ein Misstrauensvotum und muss nun als Konsequenz abdanken. Am 14. Mai stehen Neuwahlen an und Polat wird nicht mehr kandidieren.
Aufgrund des Misstrauensvotums wurde ihm die Teilnahme an der Wahl sogar untersagt, doch Polat ließ sie sich per Gericht zusichern. Auch wenn Polat teilnehmen würde, hätte er so gut wie keine Chance.
Aysal soll übernehmen
Klarer Favorit ist Ünal Aysal: Einen Namen machte sich der 70 Jahre alte Unternehmer, als er vor Jahren Galatasaray mit einem zinnslosen Sofortkredit über 23 Millionen Euro davor rettete, dass ein US-amerikanisches Konsortium die Hauptanteile des Klubs übernimmt.
Seitdem gilt er als Geheimfavorit. Die Rufe nach Aysal wurden nach dem totalen Absturz immer lauter. Jetzt will er die Macht übernehmen.
Mit den Worten "Galatasaray wird auferstehen wie Phönix aus der Asche" verkündete Aysal vor wenigen Tagen seine Kandidatur. "Ich kenne mich mit Fußball wenig aus, aber ich weiß, wie eine international anerkannte Marke und ein Konzern wie Galatasaray zu führen ist. Wir werden das Feld den Profis überlassen."
Der milliardenschwere Aysal, der jahrelang in Belgien lebte, will dem Klub professionelle Strukturen verpassen. Jede Abteilung soll einen hauptamtlichen Geschäftsführer bekommen. Es gilt als sicher, dass Ex-Chelsea-Boss Peter Kenyon und G14-Gründer Thomas Kurth das Fußball-Ressort übernehmen werden, sollte Aysal die Wahl gewinnen.
Vergleich mit Abramowitsch
Der Klub soll ein neues Gesicht bekommen: Der Kader steht vor dem nächsten Komplettumbruch. Aysal will rund 120 Millionen Euro in den Profikader investieren. Vergleiche mit Roman Abramowitsch lehnt er erst einmal nicht ab. "Das stört mich nicht. Er ist ein erfolgreicher und wohlhabender Geschäftsmann, den ich sehr schätze."
Aber ähnlich wie der russische Besitzer des FC Chelsea will er nicht die Bank für Galatasaray spielen: "Wer mich wegen meines Geldes wählen will, soll es nicht tun. Ich bin kein Abramowitsch und habe nicht vor, mein ganzes Privatvermögen zu investieren."
Ein Versprechen gibt es aber schon vorab: "Ich werde alles dafür tun, dass der Name Ali Sami Yen in unserer neuen Arena verewigt wird." Seyrantepe, Standort der Türk-Telekom-Arena, wäre nicht mehr nur ein Stadtteil.
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