"Bin grad nicht erreichbar, ihr Lappen!"

Von Cihan Acar
Waren schon mal glücklicher: Cesare Prandelli, Ismail Kartal, Vahid Halilhodzic und Gökhan Töre
© spox

Im türkischen Fußball geht es mal wieder drunter und drüber: Auf den Plätzen hagelt es Schimpftiraden, die Spezies Trainer ist bedrohter denn je, die Nationalmannschaft macht einen auf Gibraltar und schützt ihren Hobby-Gangster. Doch alles kein Grund zur Sorge! Denn Alles Süper ist zurück und sammelt die Scherben auf.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Sing' für den Ex: Eine alte Regel in der Süper Lig besagt: Der Trainer ist schuld. Immer und an allem. Die Mannschaft ist schlecht? Der Coach muss weg. Unruhe in der Mannschaft? Ein neuer Trainer regelt das. Rohrbruch in der Kabine? Dieser Trainer bringt Pech! Macht seine Papiere fertig. Nicht nur die Vorstände, auch die Fans suchen meistens zuerst die Schuld beim Trainer. Als Fenerbahce in den ersten Saisonspielen nicht überzeugen konnte, musste sich Ismail Kartal beispielweise "Ersun Yanal!"-Rufe von den Rängen anhören. Yanal ist Kartals Vorgänger und hat Fener letzte Saison zur Meisterschaft geführt. Als sein Name skandiert wurde, zog sich der enttäuschte Kartal auf die Ersatzbank zurück und kämpfte mit den Tränen. Verständlich, denn man stelle sich mal vor, man sitzt mit der Freundin schön gemütlich im Eiscafe, und plötzlich fängt sie an zu singen: "Marco Schmidt, Marco Schmidt, Marco Schmidt!" "Wer zum Teufel ist Marco Schmidt?" "Ach, nur mein Ex." Da würden wir auch losweinen! Inzwischen hat sich Fener aber gefangen, nach drei Siegen in Folge sitzt Kartal fest im Sattel, Präsident Aziz Yildirim sprach ihm eine Jobgarantie aus, oder auch nicht: "Seit ich hier bin, habe ich noch keinen Trainer frühzeitig rausgeworfen...sondern immer bis zum Saisonende abgewartet!"

Leg dich nicht mit Vahid an: Yanal ist seit Mittwoch Trainer in Trabzon. Weil Vahid Halilhodzic entlassen wurde. Trabzon und Halilhodzic - das passte ungefähr so gut zusammen wie Rapper Haftbefehl und der Musikantenstadl. Seit seiner Ankunft am Schwarzmeer legte sich der Mann mit der weißen Mähne mit jedem an: Vorstand, Medien, Spieler, Fans. Schon während der Vorbereitung gingen Halilhodzic und Spieler Florent Malouda im Training aufeinander los, kurz darauf wurde Malouda zum FC Metz abgeschoben. Auch sonst teilte der Bosnier immer schön öffentlich aus: Was er vom Trabzon-Kader hält? "Zweitligareif." Wie steht er zu den Star-Spielern Oscar Cardozo und Kevin Constant? "Sie waren bei ihren Klubs zweite Wahl. Man kriegt nicht immer das, was man will." Das gibt Selbstbewusstsein! Dem Verein wurde das irgendwann zu viel, nach dem schlechtesten Saisonstart seit vierzig Jahren bekam der Bosnier den Laufpass. Zum Abschied fasste Halilhodzic seine Amtszeit gewohnt charmant zusammen: "Malouda war ein echter Verräter!"

Vier verliert: Cesare Prandelli hat als Trainer von Galatasaray einen großen Auftrag: Den vierten Stern holen, den man sich in der Türkei für die 20. Meisterschaft ins Wappen setzen darf. Die Vier spielt auch eine große Rolle im bisherigen Saisonverlauf, nur leider nicht so wie gewünscht: Gegen Arsenal, zweimal gegen Dortmund und Aufsteiger Basaksehirspor gab es jeweils Klatschen mit vier Gegentreffern. Prandellis Gala kickt meistens einen Stiefel und liefert sich in der Champions League mit BATE Borissov ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen um die schlechteste Tordifferenz. Kein Wunder also, dass die Presse schon kräftig am Nachfolger-Karussell dreht. Der Italiener lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen, auch nach schlimmen Pleiten redet er immer noch charismatisch die Lage schön. Nach der Pleite gegen Arsenal sagte er: "Gegen große Mannschaften kann so etwas passieren. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Liga." Nach dem 1:4 in Dortmund gab er an, man fahre "mit erhobenem Haupt nach Hause". Wir warten ja nur darauf, dass Gala die Meisterschaft noch in der Hinrunde vergeigt, und Prandelli dann erklärt: "Ist kein Beinbruch. Jetzt gilt es Ärmel hochkrempeln und in der Winterpause den Efes-Pilsen-Cup holen!"

Nichts für Lippenleser: In der Bundesliga gab es kürzlich ja Aufregung um professionelle Lippenleser, die bei Live-Übertragungen eingesetzt werden, um den Zuschauern mitteilen zu können, was die Akteure auf dem Platz so untereinander reden. Das Ganze wäre in der Türkei undenkbar, dort würde wohl jeder Lippenleser schon nach zwei Minuten die Flucht aus dem Studio ergreifen. Schimpfen ist auf den Plätzen der Süper Lig an der Tagesordnung, alles und jeder wird herbeleidigt, immer schön unter der Gürtellinie. "Fuck off!" schrie Fener-Kapitän Emre Belözoglu im Derby in Richtung Besiktas-Coach Slaven Bilic, Mitspieler Volkan Demirel beleidigte für jeden hörbar den am Boden liegenden Demba Ba, und selbst nach Abpfiff ging es weiter. Da lief nämlich Besiktas-Stürmer Mustafa Pektemek alleine über den Rasen und wurde von der Kamera dabei eingefangen, wie er einen heftigen Ausdruck nach dem anderen vor sich hinmurmelte, obwohl weit und breit niemand in der Nähe war. Was das wohl zu bedeuten hatte? Alles Süper hat wie immer knallhart recherchiert und Kontakt zum pöbelnden Pektemek gesucht, es aber leider nur bis zu seiner Mailbox geschafft: "Bin grad nicht erreichbar, ihr Lappen!"

Zwischen Gangster und Gruppenletzter: Kommen wir zur türkischen Nationalmannschaft, a.ka. das Gibraltar vom Bosporus. Mit der Spielphilosophie "Doppelpass alleine, warum nicht?" hat die Türkei die EM-Quali schon nach drei Spielen so gut wie verhauen, nächster Gegner des Gruppenletzten ist Kasachstan. Wir haben per Whatsapp mit dem kasachischen Trainer gefachsimpelt, Yuri Krasnozhan meinte: "Wir nehmen die Türkei ernst. Im europäischen Fußball gibt es keine Kleinen mehr." Gefolgt vom kichernden Affen-Emoticon, den Marco Reus kürzlich beim Torjubel gegen Gala zeigte (Kommentar Prandelli: "Gegen große Mannschaften kann so etwas passieren").

Wie konnte es so weit kommen? Mit ein Grund ist die Töre-Calhanoglu-Toprak-Saga. Die Story ist bekannt: Hobby-Gangster Gökhan Töre stürmt mit einem Kumpel im Mannschaftshotel das Zimmer von Ömer Toprak und Hakan Calhanoglu und fliegt danach aus der Nationalmannschaft. Inzwischen ist Töre wieder mit dabei, die zwei Leverkusener dagegen bleiben der Nationalmannschaft erst einmal fern. Wer hätte auch schon Bock auf Tiki Taki mit dem Typen, der einen mit einer Knarre bedrohen ließ? Bleibt nur die Frage, was sich Coach Fatih Terim dabei denkt, auf die zwei Bundesliga-Stars zu verzichten und dafür auf den Revolverhelden zu setzen. Wir können es uns nur mit folgendem Szenario erklären:

Terim: Hör zu Gökhan, ich kann dich leider nicht mehr nominieren.

Töre: Wieso das?

Terim: Hallo? Du hast deine Mitspieler mit einer Knarre bedrohen lassen.

Töre: Kommt mal vor...Daran sieht man doch, dass eine Mannschaft lebt!

Terim: Hmm, bin da skeptisch, du bist erst mal raus.

Töre: Sicher?

Terim: Ja.

(Töre geht zur Tür und ruft nach draußen. Daraufhin erscheinen seine drei Kumpels und präsentieren stolz ihre Waffen: Knarre, Baseballschläger, Freistoßspray.)

Töre: Immer noch sicher, Trainer?

Terim (ängstlich): Ist das in der Mitte nicht der Typ, der damals Ömer und Hakan...?

Töre: Das ist er, ja.

Terim: Willkommen im Mannschaftsrat!

Cihan Acar ist Autor und jahrelanger Mitarbeiter von SPOX. Sein erstes Buch "111 Gründe, Galatasaray zu lieben" ist kürzlich beim Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen und überall erhältlich."

Alles zur Süper Lig