Filippo Galli: Wir brauchen auch 2. Mannschaften

Von Interview: Christian Bernhard
Filippo Galli (r.) ist eine Milan-Legende - und Leiter des Rossoneri-Jugendsektors
© Imago

Filippo Galli ist in der Milan-Jugend groß geworden und hat 13 Jahre für die Rossoneri gespielt. Zusammen mit der Holländer-Connection Van Basten/Gullit/Rijkaard gewann der 47-Jährige u.a. dreimal den Pokal der Landesmeister und fünf Scudetti. Heute ist Galli Milans Jugendsektorleiter. Im SPOX-Interview stellt er den Jugendbereich des AC vor, spricht über Alexander Merkel, die Probleme des italienischen Fußballs und erzählt, wie er beinahe Nachfolger von Leonardo geworden wäre.

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SPOX: Herr Galli, können Sie uns den Jugendbereich des AC Milan vorstellen?

Filippo Galli: Unser Jugendsektor besteht aus drei großen Säulen. Der wichtigste Bereich sind unsere elf Mannschaften vom "Primavera"-Team (Jahrgänge 1991 bis 1993) bis hin zu den "Pulcini" (Jahrgang 2002). Die zweite Säule sind unsere Fußballschulen, die dieses Jahr einen enormen Aufschwung erlebt haben. Momentan haben wir mehr als 90 in Italien, Tendenz steigend. Dazu kommen rund zehn in aller Welt, z.B. in Sydney, Miami, Porto oder Los Angeles. Die dritte Säule sind unsere "Milan Junior-Camps", bei denen Kinder zwischen sechs und 16 Jahren eine Woche lang rund um die Uhr betreut werden. Dort geht es nicht nur um Fußball, sondern auch um Unterhaltung. Das spielerische Element steht im Vordergrund.

SPOX: Wie verläuft das Scouting in den Jugendabteilungen?

Galli: Wir haben zwei Abteilungen: Eine kümmert sich um den Wettkampfbereich (ab 14 Jahre), die andere um den sogenannten Basisbereich (8 bis 14 Jahre). Da in Italien Spieler unter 14 Jahren nicht aus anderen Regionen verpflichtet werden dürfen, konzentriert sich das Basis-Scouting auf die Lombardei. Unser Wettkampf-Scoutingbereich arbeitet in Italien, Europa und weltweit in allen fußballrelevanten Ländern, wie etwa Brasilien und Argentinien. Wir haben hier ein Jugendheim, in dem momentan 52 Kinder wohnen. Dort werden sie rundum versorgt, egal ob Schule oder Training.

SPOX: Wie lautet die Jugend-Philosophie des AC Milan?

Galli: Wir haben kein vorbestimmtes Spielsystem, das wir durch alle Mannschaften ziehen. Das "Primavera"-Team spielt allerdings dasselbe System wie die Profis. Alle anderen Mannschaften haben als Basis die Viererabwehrkette, die meisten agieren im 4-3-3 oder im 4-3-1-2. Was die Spielanlage betrifft, wollen wir ein konstruktives Aufbauspiel mit viel Ballbesitz sehen. Das Spiel soll aber nicht zu statisch sein, sondern der Ballbesitz dazu führen, Meter nach vorne zu machen. Bei den Kleinsten steht der Kontakt mit dem Ball im Vordergrund. Die Kinder sollen Mut und Selbstbewusstsein erlangen, um den Gegner immer die Stirn zu bieten. Später werden Schritt für Schritt Individual- und Mannschaftstaktik Teil des Trainings.

SPOX: Vize-Präsident Adriano Galliani hat 2009 "eine neue Ära im Milan-Jugendsektor" eingeläutet. Worin besteht diese genau?

Galli: Seit dem vergangenen Jahr sind die Investitionen in den Jugendbereich und die Aufmerksamkeit uns gegenüber stark angestiegen. Dabei geht es uns auch um erzieherische Aspekte. Für uns ist wichtig, dass die Kinder auf und abseits des Platzes die Regeln beachten und den Gegnern, Mitspielern und dem Umfeld Respekt entgegenbringen. Sie sollen hohe Ziele anvisieren, immer alles geben und sich mit dem Verein identifizieren. Das ist unser Leitbild.

SPOX: Welche Rolle spielte bzw. spielt Galliani bei dieser Aufwertung des Jugendbereichs?

Galli: Eine sehr große. Er ist die treibende Kraft, der Schöpfer dieser Erneuerung.

SPOX: Wie viel investiert der Klub in den Jugendbereich?

Galli: Heute rund fünf Millionen Euro. Die Zunahme im Vergleich zu den Jahren zuvor war beträchtlich.

SPOX: Die "Primavera"-Spieler wie Alex Merkel, Rodney Strasser und Nnamdi Oduamadi haben in der Saisonvorbereitung bei den Profis mit tollen Leistungen auf sich aufmerksam gemacht. Momentan kommen sie aber nicht zum Zug. Hätten Sie sich mehr Einsätze "ihrer" Jungs unter Coach Massimiliano Allegri erhofft?

Galli: Nein, denn der Sprung zu den Profis ist immer sehr schwer. Besonders bei uns, denn die Qualität im Milan-Profiteam ist sehr hoch. Die Gründe, wieso das so schwer ist, liegen aber nicht alleine in unserem Jugendsektor. Da müssen wir weiter ausholen.

SPOX: Gerne.

Galli: Unsere jungen Spieler brauchen einen Weg, um schneller Erfahrungen sammeln zu können. Es wäre schön, wenn es in Italien auch 2. Mannschaften gäbe, die in einer Profiliga mitspielen. Damit sich die Spieler mit Profis messen können, wenn sie aus dem Jugendsektor kommen.

SPOX: In Deutschland haben die Profiteams 2. Mannschaften, die zum Teil in der 3. Liga spielen. Thomas Müller und Holger Badstuber z.B. haben von dort den Sprung zu den Bayern-Profis geschafft. Wäre dieses Modell auch in Italien vorstellbar?

Galli: Ja, das könnte ein Modell für Italien sein. In Spanien und England gibt es ja auch solche Ligen. Wir haben darüber bereits mit Arrigo Sacchi, dem Koordinator aller Jugend-Nationalmannschaften, gesprochen. Die großen Vereine haben ihre Ideen vorgebracht und dabei auch das Thema 2. Mannschaften angesprochen. Jetzt muss sich der Verband darum kümmern, wichtige Entscheidungen brauchen eben ihre Zeit. Aber es scheint, dass das der Weg ist, der gegangen werden soll.

SPOX: Sie haben 13 Jahre bei Milan gespielt und kommen aus der Jugend der Rossoneri. Wieso ist es heute für einen jungen Spieler so schwierig, im Profiteam zum Zug zu kommen?

Galli: Weil die Vereine wenig Geduld und noch weniger Zeit haben. Das kurzfristige Ergebnis steht im Vordergrund, besonders die großen Teams haben nicht die Zeit, die jungen Spieler durch Einsätze reifen zu lassen. Junge Spieler machen Fehler, deshalb geht man kein Risiko - aus mehreren Gründen: Die Mannschaft soll nicht verlieren, der Trainer nicht seinen Posten riskieren und der Junge nicht verheizt werden. Daraus entsteht ein Teufelskreis, der den Aufstieg der jungen Spieler erschwert. Es gibt aber auch einen anderen Aspekt.

SPOX: Der da wäre?

Galli: Die Qualität. Wenn ein Trainer einen qualitativ hochwertigen Jungen hat, lässt er ihn auch debütieren. Wir haben hier momentan keinen, der für diesen großen Schritt schon bereit ist. Nehmen wir Mario Balotelli: Er hatte die Qualität und hat bei Inter den Durchbruch geschafft. Er ist ein Spieler, der größere Qualitäten als der Durchschnitt hatte und deshalb so jung in der Serie A debütiert hat.

2. Teil: Galli über Merkel, Allegri und Milans Titel-Chancen