Wie sehr haben Sie im Laufe der Zeit, als Sie vom U16-Trainer zum Profi-Assistenten aufstiegen, die eigene Gangart ändern müssen?
Nagelsmann: In erster Linie musste ich im Training Aufwärmungselemente an Stelle des Hauptteils übernehmen. Das war schon eine Umstellung. Im Umgang mit den Profis war sie allerdings nicht so gewaltig. Im Prinzip sind Profifußballer wie größere Kinder: Sie sind jung geblieben, spielen Playstation, reden auch mal Quatsch und lassen sich teilweise leichter ablenken als Jugendspieler. Der Unterschied ist: Wer die kurze Zeit in der Jugend nicht nutzt, um sich für höhere Aufgaben zu empfehlen, ist raus. Wer als Profi mal eine längere Schwächephase hat, bleibt trotzdem weiter im Bundesliga-Boot.
Gab es Situationen, in denen Sie mit Ihrer Aufgabe auch einmal überfordert waren?
Nagelsmann: Ein einziges Mal, bei der ersten Partie in Hamburg. Ich war ja noch nie bei einem Bundesliga-Spiel dabei. Ich habe meine Fußballklamotten eingepackt, nur um im Hotel festzustellen, dass alles schon doppelt und dreifach bereitstand. Als mich Frank Kramer später im Stadion zur Vorbereitung des Aufwärmprogramms nach draußen schickte, hatte ich keine Ahnung, wo ich überhaupt hin musste. Da waren 1000 Gänge und ich bin erst einmal eine Zeit lang in den Katakomben umher geirrt. (lacht)
Der Rest hat aber funktioniert?
Nagelsmann: Einigermaßen. Zuerst habe ich die Hütchen in der falschen Hälfte aufgebaut. Ich ging dann hinüber zur anderen Seite und bin dabei dem Stadionsprecher, der auf der Leinwand zu sehen war, durchs Bild gelaufen. Der sagte dann ins Mikro: "Ey, nicht einfach so mitten durchlaufen!" Dann gab's erstmal ein Pfeifkonzert der Fans.
Wie war der Beginn, als Sie im Sommer 2013 in Ihr gewohntes Metier zurückkehrten und wieder die U19 übernahmen?
Nagelsmann: Ich bin definitiv gestärkt zurückgekommen. Davor hatten die Spieler zwar Respekt, aber ich war ein No-Name. Die Zeit bei den Profis brachte mir einen anderen Status ein, der auch für mein Selbstverständnis wichtig war.
Was war die inhaltlich wichtigste Erkenntnis aus der Zeit bei der ersten Mannschaft?
Nagelsmann: Der richtige Umgang mit Negativerlebnissen. Weder als Spieler noch als Trainer stand ich schlechter da als Platz drei. Im Profibereich habe ich gelernt, mit Rückschlägen umzugehen und in Krisenzeiten trotzdem nach vorne blicken zu können. Diese Werte hat Markus Gisdol toll vorgelebt. Er hat die Leute nur auf den Fußball eingestellt und ausgeblendet, was sonst alles passieren könnte.
Das scheint gefruchtet zu haben: In der vergangenen Saison feierten Sie mit der U19 den Meistertitel.
Nagelsmann: Damit sind für mich der Druck und die eigene Erwartungshaltung gestiegen. Das lässt mich noch ehrgeiziger werden. Ich sage immer sehr offensiv, dass Erfolg auch das Ziel sein muss. Ich will den Leuten, meinen Spielern und mir beweisen, dass die gute Saison keine Eintagsfliege war.
Ist es auch eines Ihrer Ziele, eines Tages einmal Cheftrainer in der Bundesliga zu werden?
Nagelsmann: Ich habe keinen Zeitdruck, will aber dieses Jahr den Fußballlehrer machen. Die Bundesliga ist kein Muss, denn ich finde mein Lebensglück auch so und könnte auch lebenslang U19-Trainer sein. Aber die Bundesligaluft hat mir sehr gut geschmeckt. Irgendwann in der Zukunft wäre das schon ein Traum. Alles andere wäre gelogen.
Gab es schon Anfragen?
Nagelsmann: Es gab welche, aber nicht als Cheftrainer - das ist ja ohne die Fußballlehrerlizenz auch gar nicht möglich. Trotz der finanziellen Attraktivität stellt sich mir die Frage: Habe ich das Selbstvertrauen zu sagen, dass ich dieses Geld auch noch in fünf, sechs Jahren verdienen kann, weil ich es schaffe? Oder ist die aktuelle Aufgabe wichtiger? Mir geht es finanziell auch jetzt gut und ich habe mich mit Haut und Haaren einer sehr reizvollen Aufgabe verschrieben.
Sie bezeichnen Bayern-Coach Pep Guardiola als Ihr großes Vorbild. Was sehen Sie in ihm?
Nagelsmann: Das sind viele Faktoren. Sein Auftreten, seine Kleidung, wie er gegnerische Trainer oder den Schiedsrichter begrüßt - das ist sehr stilvoll. Er ist ein Mann von Welt. Von außen scheint es zudem, dass er einen sehr guten Mittelweg zwischen Autoritätsperson und kumpelhaftem Auftreten gefunden hat. Und: Selbst wenn er einen Anzug trägt, lebt er den Trainerjob. Andere Trainer sitzen 90 Minuten da. Guardiola will jede Sekunde seine Mannschaft besser machen, er brüllt selbst bei einem 6:0 noch herum. Das wirkt auf viele vielleicht wie eine Profilneurose, aber ich glaube, dass er einfach immer besser werden will, obwohl seine Mannschaft bereits die Beste ist.
Zum Beispiel in Bezug auf Guardiolas taktische Variabilität?
Nagelsmann: Die war bei den Bayern eine logische Konsequenz. Sie mussten ihr Spiel anpassen, da die meisten Teams immer auf dieselbe Weise gegen sie antraten: sehr tief stehend, auf Abwehrpressing und Konter ausgelegt. Um weiterhin erfolgreich zu sein, mussten sie quasi zwangsläufig verschiedene Systeme spielen. Was Guardiola aber perfektioniert hat, ist das Spiel bei gegnerischem Ballbesitz. Er lässt nun viel aggressiver und mit mehr Risiko spielen. Das kann theoretisch auch nach hinten losgehen, doch bei diesem Torwart ist das verkraftbar. (lacht)