Deutschland marschiert durch die U21-EM: Drei Gründe für die Dominanz

Von Stefan Zieglmayer, Robin Haack
Seit 2016 ist Stefan Kuntz Trainer der U21.
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Die deutsche U21-Nationalmannschaft hat sich mit dem 6:1-Sieg gegen Serbien in den engen Favoritenkreis bei der EM gespielt. Andere Top-Nationen wie Italien oder England patzten bereits. Das DFB-Team strahlt jedoch Dominanz aus. Dabei startete die Mannschaft mit Fragezeichen ins Turnier.

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Verteufelt war sie, die Jugendarbeit des DFB. Nach der WM 2018 schien Fußball-Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert. Am sportlichen Unterbau wurde gezweifelt. Trainer wie Funktionäre sprachen davon, dass die anderen Nationen Deutschland überholt hätten - auch U21-Trainer Stefan Kuntz.

Ein finaler Schluss auf wirklich schwerwiegende Versäumnisse in der Nachwuchsarbeit lässt sich wohl noch nicht ziehen.

Dieser Eindruck basierte auf Nuancen, wurde jedoch hochstilisiert zum großen Nachwuchs-Problem. Ganz so groß ist dieses Problem aber nicht. Das gute Ausbildungssystem, das zur Jahrtausendwende eingeführt wurde und mitverantwortlich für den WM-Titel 2014 ist, ist immer noch gegeben, nur eben in einigen Aspekten etwas eingerostet.

Der DFB klammerte sich zu sehr an Trends fest, wodurch die Grundlagen des Spiels - Kreativität, Zweikampfverhalten oder auch Flankenschlagen - etwas verloren gingen. Auch in der persönlichen Entwicklung sollen die Spieler in gesundem Maß unterstützt werden.

Die U21-Junioren zeigen bei der EM, dass das Talent da ist, um mit den Top-Nationen mithalten zu können. Dass mit dem Drehen an vereinzelten Stellschrauben auch schon in kurzer Zeit viel erreicht werden kann. Auch mit dem 1B-Team - ohne die noch spielberechtigten Timo Werner, Thilo Kehrer, Leroy Sane oder Kai Havertz.

Drei Gründe, warum es bei der EM so gut läuft, stechen hervor.

Schlager, UNO und Respekt: Der Teamspirit ist top

Etwa eine halbe Stunde nach dem 6:1-Sieg gegen die Serben schallte noch einmal Applaus durch die Katakomben des Stadio Nerio Rocco in Triest. Doch nicht etwa, weil die Torjäger Luca Waldschmidt oder Marco Richter die Kabine betraten - die Wertschätzung in der DFB-Umkleide galt den Ersatzspielern.

"Normalerweise erzähle ich ja keine Interna, aber nachdem die Ersatzspieler ihre Läufe gemacht haben, sind sie von denen, die gespielt haben, mit Applaus empfangen worden", erklärte Trainer Kuntz am Donnerstagabend in der Mixed Zone. "Einfach, weil sie denen, die nicht spielen, Respekt zeigen wollen. Im Zusammenleben ist die Mannschaft sehr erwachsen."

Szenen wie diese zeigen, dass das Innenleben der Truppe passt. Obwohl ein Teil des 23-Mann-Kaders noch auf einen Einsatz wartet und wohl auch im Laufe des Turniers nicht auf dem Rasen stehen wird, ist die Stimmung im Team fantastisch. Immer wieder sieht man die Jungs lachen und herumalbern - ob auf der Ersatzbank oder im Team-Hotel.

Neben dem Partyschlager "Bierkapitän" von einem gewissen Richard Bier, der nach den Siegen in der Kabine angestimmt wird, sorgt auch die "UNO-Mannschaft" innerhalb des Teams für gute Laune. Waldschmidt, Richter, Florian Müller, Lukas Nmecha, Robin Koch und Levin Öztunali spielen das gesamte Turnier über und notieren Siege und Niederlagen. "Der Verlierer bekommt nach der EM eine Strafe und muss etwas für die anderen tun", erklärt Nmecha. Was genau, will der England-Legionär allerdings nicht verraten. "Das ist ein Geheimnis", sagte er mit einem Lachen.

Das DFB-Team hat im Stadio Nereo Rocco gute Laune vor dem Spiel gegen Serbien.
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Das DFB-Team hat im Stadio Nereo Rocco gute Laune vor dem Spiel gegen Serbien.

100 Prozent variabel - der DFB-Kader überzeugt durch seine Breite

Aushängeschilder wie Phil Foden bei England, Moise Kean bei Italien oder Luka Jovic bei Serbien fehlen der deutschen Nationalmannschaft. Der 23-Mann-Kader der DFB-Auswahl ist jedoch sehr ausgeglichen und dennoch heterogen.

Die Breite des Kaders bringt viele verschiedene Qualitäten mit, die Trainer Kuntz je nach Anforderung des Gegners einsetzen und kombinieren kann. Er sprach vor dem Turnier von seiner Instrumentenkiste. "Die Wahrheit liegt zwischen 'Ich kann meine Mannschaft nicht einschätzen' und 'Wir haben die richtigen Ideen, die vorhandene Qualität auf die Straße zu bringen'. Ich denke, es ist eher Zweiteres", scherzte er nach dem 6:1-Erfolg.

Bereits 14 der 20 Feldspieler kamen in den ersten beiden Gruppenspielen zum Einsatz. "Wir haben Nadiem Amiri nun ein Stück näher herangeführt. Lukas Nmecha hat seinen ersten Einsatz gemacht. Uns tut so viel Variabilität gut", sagte Kuntz. Von den Offensivspielern kam bisher nur Johannes Eggestein nicht zum Zug.

Die Abwehrreihe aus Tah, Lukas Klostermann, Timo Baumgartl und Benjamin Henrichs blieb auch in Spiel zwei dieselbe. Doch auch dahinter warten mit Koch und Waldemar Anton zwei Defensiv-Allrounder, mit Felix Uduokhai ein spielstarker Innenverteidiger und mit Maximilian Mittelstädt ein allzeitbereiter Ersatz für Henrichs.

Der Kader vereint die von Kuntz geforderte Bolzplatzkind-Mentalität und die von Tah oder Arne Maier vorgelebte Souveränität. Ein starkes Leistungsgefälle war bisher nicht erkennbar.

Stefan Kuntz unterhält die Presse.
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Stefan Kuntz unterhält die Presse.

Trainer Kuntz spricht die Sprache der Jugend

Man kann Stefan Kuntz vieles vorwerfen, aber eine Spaßbremse ist der Trainer der U21 wahrlich nicht. Statt ständig auf die Euphoriebremse zu treten und Understatement zu predigen, fordert er seine Jungs auf, nach Siegen auch mal zu feiern.

Mit dieser Einstellung trifft er genau den Nerv der Zeit. "Die Mischung stimmt", bestätigt auch Kapitän Tah. Natürlich ist er der Boss und trifft die Entscheidungen, doch statt eiskalter General tritt der 56-Jährige eher als Kumpeltyp in Erscheinung, der mit allen Spielern per du ist - eine Haltung, die bei den Spielern sehr gut ankommt.

"Unter ihm fühlt man sich einfach wohl und weiß, dass man immer mit ihm sprechen, lachen und Spaß haben kann", schwärmt der Kapitän vom Übungsleiter. "Gleichzeitig strahlt er aber volle Seriosität aus. In der Spielvorbereitung findet er eine gute Mischung, sodass niemand denkt, es sei zu locker, aber auch niemand Angst vor dem kommenden Gegner bekommt."

Die von Tah angesprochene Lockerheit trägt Kuntz auch nach außen und bespaßt die Medien gern mit lockeren Sprüchen. Somit schafft es der Trainer ein ums andere Mal, den Rummel von der Mannschaft fernzuhalten.

Nach innen schenkt er seinen Jungs hingegen vor allem Vertrauen. Auch Spieler wie Timo Baumgartl oder Ötzunali, die in ihren Vereinen auf durchwachsene Saisons zurückblicken, erhalten Spielzeit von Kuntz und zahlen das mit Leistung zurück.

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