Im italienischen Cesena läuft bereits die dritte Minute der Nachspielzeit, als Florinel Coman ein Abpraller vor die Füße fällt. Rund 25 Meter vor dem Tor trifft die Nummer sieben der rumänischen U21-Nationalmannschaft den Ball satt und wuchtet ihn in die linke, obere Ecke des englischen Tores, während Torwart Dean Henderson nur staunend hinterherschaut.
Wie im Rausch sprintet Coman im Anschluss in Richtung der Fans, reißt sich das Trikot vom Leib und wird wenig später von einer Jubeltraube in gelb und rot begraben. Als der Schiedsrichter das Spiel wenig später abpfeift, kann etwa Torwart Ionut Radu seine Emotionen nicht mehr zurückhalten und weint noch auf dem Rasen. Den Abend des 21. Juni 2019 wird niemand im rumänischen Lager so schnell vergessen, denn mit dem 4:2-Sieg gegen Titelfavorit England legte Rumänien bei der U21-EM den Grundstein für den Einzug ins Halbfinale. Dort trifft Coman mit Rumänien nun auf die deutsche Mannschaft.
Gheorghe Hagis Jugendakademie als Grundstein
Die Wurzeln des Überraschungserfolg liegen jedoch im Jahr 2009, als sich Gheorghe Hagi, die größte Fußball-Ikone der rumänischen Geschichte, aufmachte, eine Jugendakademie zu bauen. Die Gheorghe Hagi Football Academy kostete rund elf Millionen Euro und zählt bis heute zu den modernsten Nachwuchsleistungszentren in Osteuropa. Wenig verwunderlich, dass der Großteil der Führungsspieler des aktuellen EM-Kaders aus der Akademie stammt.
Neben Tudor Baluta, der laut rumänischen Medien in der kommenden Saison für Brighton and Hove Albion in der Premier League auflaufen wird, Gheorghes Sohn Ianis Hagi und Alex Cicaldau zählt auch England-Albtraum Coman zu den Absolventen der Hagi-Schule.
"King Coman" titelte die größte rumänische Sportzeitung Gazeta Sporturilor nach dem Sensationssieg gegen die Young Lions. "Coman zählt ohne Zweifel zu den größten Talenten der rumänischen Auswahl", erklärt Journalist Razvan Lutac von Gazeta Sporturilor im Gespräch mit Goal und SPOX. "Viele Fans und Medien glauben sogar, er ist der Spieler mit dem größten Potenzial im Team."
Coman spielt immer noch in Bukarest
Während manche Teamkollegen schon den Sprung in die Top-Ligen geschafft haben, läuft Coman noch immer für Steaua in der Hauptstadt Bukarest auf. Dass es trotz vermeintlichen Interesses diverser Spitzenklubs in den vergangenen Jahren noch nicht zum Transfer kam, mag auch an seiner Lebensweise liegen, die nicht immer die eines Profisportlers ist.
Denn trotz seiner starken 22 Scorerpunkte (zwölf Treffer, zehn Assists) für Steaua in der Vorsaison spielen auch Party und Rauchen eine wichtige Rolle im Leben des 21-Jährigen. Während es bis in die späten Neunziger zumindest noch geduldet wurde, zündete sich ein Profi nach dem Training einen Glimmstängel an, ist der Tabakgenuss heute fast verteufelt und medial ein Indikator von Unprofessionalität.
Umso verwunderlicher, dass gerade ein junger, aufstrebender Spieler gern mal zur Zigarette greift. Genau das tut Coman als eines der größten Versprechen des rumänischen Fußballs regelmäßig - und es bringt ihm haufenweise Kritik ein.
Coman ist "schnell und nervenstark"
Florinel wird in Braila geboren und schließt sich im Alter von 13 Jahren der Hagi-Akademie an. Dort weiß Coman prompt zu gefallen, verkörpert alle Eigenschaften eines modernen Flügelspielers. "Er ist schnell, nervenstark und hat überragende Fähigkeiten im Dribbling", weiß Journalist Lutac, der die rumänische U21 in Italien begleitet. "Lange Jahre gab es eine riesige Lücke zwischen der Generation um Hagi und der heutigen. Rumänien hatte keine Fußballer, die mal eben ihren Gegenspieler aussteigen lassen können - Coman ist so einer."
Drei Jahre lang lernt der Rohdiamant sein Handwerk in Hagis Schule, schafft im Anschluss gleich den Sprung zu Viitorul Constanta, dem Klub, dem die Akademie als Ausbildungsstandort dient. 2017 gewinnt der Klub erstmals die rumänische Meisterschaft. Ein Erfolg, der auch auf den herausragenden Leistungen Comans fußt. In 28 Pflichtspielen erzielt der damals 19-Jährige sechs Treffer und legt sieben weitere Tore für seine Kollegen auf. Es folgt der Wechsel zu Steaua, dem größten Klub des Landes.
Der Transfer des Eigengewächses verläuft allerdings nicht geräuschlos. Coman wird für sein Können von allen Seiten gelobt. Er sei "besser als Adrian Mutu", erklärt ein ehemaliger Kollege an der Hagi-Akademie, gibt allerdings gleichzeitig bei gsp.ro zu bedenken: "Es ist bekannt, dass er gern raucht. Nicht einmal Hagi selbst konnte ihn davon überzeugen, dieses Laster dranzugeben." Ein Angestellter verriet: "Es gab Fälle, da hörte Hagi davon, dass Florinel bis in den frühen Morgen in Clubs abhing und Alkohol trank."
Hagi: Rauchen? "Dann ist das sein Problem"
Förderer und Coach Hagi selbst sagte ProX: "Wenn er meint, er müsse rauchen, dann ist das sein Problem. Er soll seinen Weg gehen." Die Barca-Legende konnte seinen Schützling - trotz gutem Zureden - nicht vom Rauchen abbringen. Mittlerweile hat sich Gigi Becali, Präsident beim FCSB, dem Jungen angenommen, will ihn auf den Pfad der Gerechten oder eben den Weg der Vernunft führen.
Im Interview mit gsp.ro erklärte der Klub-Boss: "Er muss auch mal weniger an Frauen denken. Ich verstehe ihn ja, er ist ein Mann, aber als Profi musst du den Kopf frei haben. Wenn du den Fußball vergisst, vergisst du alles." Becali weiß: "Wenn er sein Leben nicht nach dem Sport ausrichtet, dann kann er alles verlieren. Ich habe dann lediglich zwei Millionen verloren, aber er läuft Gefahr, eine glänzende Karriere zu verschleudern. Er sollte dringend aufhören, an Party, Kippen und Frauen zu denken."
Noch, so scheint es, hat der ausufernde Lebenswandel Comans keine Auswirkungen auf seine Leistungen. Ganz im Gegenteil: Nach starker Saison in Bukarest spielte sich der Flügelflitzer speziell durch seinen Doppelpack gegen England erneut in die Notizbücher der Scouts, nachdem der FC Chelsea laut Daily Mail schon 2017 Interesse an einem Transfer gezeigt hatte. Wer Coman jedoch verpflichten will, muss tief in die Tasche greifen. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge hat Steaua eine Ausstiegsklausel in Höhe von 100 Millionen Euro in seinem Vertrag verankert.
Präsident Becali: Das hat er Mbappe voraus
Präsident Becali gerät derweil bezüglich seines neuen Shootingstars ins Schwärmen: "Ihr könnt sagen, dass ich verrückt bin, aber wenn wir uns Coman anschauen, hat er Kylian Mbappe sogar etwas voraus. Er ist besser im Dribbling", gab der 59-Jährige bei Sport.ro an. Ein durchaus ambitionierter Vergleich, betrachtet man die Umstände, dass der Weltmeister mittlerweile bei PSG an der Seite von Neymar für Furore sorgt, während Florinel nur den wenigsten Fans geläufig sein dürfte.
Fest steht: Bei allem zweifelsohne vorhandenen Talent, wäre Coman gut beraten, auf seine Fürsprecher zu hören. Lässt man den gesundheitlichen Aspekt einmal beiseite, dürfte dem Wunderkind vor allem bei der jüngeren, fitnesssüchtigen Trainergeneration Ungemach drohen. Weil neben Können eben auch Disziplin und der Wille, dem privilegierten Beruf Fußballprofi alles unterzuordnen, ausschlaggebend sind - so verlockend Nikotin, Alkohol und Partys auch sein mögen.