Seit 34 Jahren macht Stephanie Harrer (46) Yoga. Was als Ausgleich zum Tennis begonnen hatte, wurde zur Leidenschaft und mittlerweile zu ihrem Job. Harrer ist Yoga-Trainerin der U21-Fußballnationalmannschaft.
SPOX und Goal trafen die einzige Frau des U21-Trainerstabs im italienischen Fagagna, wo sich die DFB-Junioren auf das EM-Halbfinale gegen Rumänien (Do., 18 Uhr im LIVETICKER) vorbereiten.
Harrer erzählt im Interview von ihrem Arbeitsalltag beim DFB und erklärt ihr Yoga-Konzept. Außerdem spricht Harrer über die Akzeptanz von Yoga im Fußball, das Feedback der Spieler und gibt Einblicke ins Innenleben der deutschen U21.
Frau Harrer, Sie sind Yoga-Trainerin einer Fußballmannschaft. Das ist nicht gerade üblich. Wie kam es dazu?
Stephanie Harrer: Meine Heimat ist Braunschweig. Der Geschäftsführer von Eintracht Braunschweig, Soeren Oliver Voigt, war mein erster Schüler aus dem Fußballbereich. Gemeinsam entwickelten wir die Idee, Yoga im Fußball zu implementieren. Er und Torsten Lieberknecht holten mich ins Betreuerteam.
Wie kam der Kontakt zum DFB zustande?
Harrer: Über meine Freundschaft zu Patrick Broome, dem Yoga-Trainer der A-Nationalmannschaft. Jürgen Klinsmann hat Yoga beim DFB eingeführt. Damals fand das Thema wenig Akzeptanz. Doch dann, als Patrick bei der WM 2014 dabei war, hat Yoga richtig Anklang gefunden.
SPOXStephanie Harrer: Fußball? "Ich hätte Ihnen den Vogel gezeigt"
Sie kommen aus dem Tennis, haben 20 Jahre lang als Schauspielerin bei einem Theater gearbeitet. Sind Sie eigentlich Fußballfan?
Harrer: (lacht) Hätten Sie mir vor sieben Jahren gesagt, dass ich mal total begeistert von Fußball bin, hätte ich Ihnen den Vogel gezeigt. Aber mittlerweile interessiere ich mich sehr dafür.
Was hat sich verändert?
Harrer: Ich habe durch meinen Einblick ein großes Verständnis und eine große Liebe für die Trainer und Spieler entwickelt. Es wird immer nur vom großen Geld gesprochen, aber was dafür geopfert und investiert wird, ist unglaublich - und sehr interessant. Es geht jedem um dieselbe Sache und jeder fördert den anderen. Die Truppe ist sehr herzlich, sehr familiär. Das gefällt mir sehr gut.
Wie ist die Resonanz auf Ihr Yoga-Training? Fühlten Sie sich anfangs möglicherweise etwas belächelt?
Harrer: Nein. Ich muss mit dem Vorurteil aufräumen, dass Fußballer anzüglich sind, blöde oder unangenehme Bemerkungen machen. Das ist mir nie begegnet - im Gegenteil. Sowohl die Trainer als auch die Spieler sind sehr reizend, die Trainer sind auch sehr interessiert. Unter den Spielern sind einige sehr neugierig, andere zu Beginn eher weniger. Die haben mich angeschaut, als wäre ich ein Alien. (lacht)
Stephanie Harrer über Klischees und erste Reaktionen auf ihr Training
Wie Yoga-erfahren sind die Spieler der U21-Nationalmannschaft?
Harrer: Es gibt Spieler, die sich mit Yoga schon außerhalb der U21 beschäftigt haben. Aber es gibt natürlich auch Erstteilnehmer. Manche Klubs bieten Yoga eben nicht konstant an. Für einige Spieler ist Yoga im ersten Moment sehr befremdlich.
Wie sieht deren erste Reaktion aus?
Harrer: 'Boah, das ist ja anstrengend, das hätte ich nie gedacht.' Yoga hat dieses esoterische Klischee, dass man nur rumliegt und atmet. Für einige Spieler ist Yoga daher unerwartet anstrengend. Da wird schon mal die Stirn gerunzelt. (lacht) Gleichzeitig gibt es ihnen ein gutes Gefühl, weil die Spieler merken, dass sie etwas tun und sogar schwitzen. Sie spüren, wie nützlich Yoga für den Körper sein kann und sind dann sehr interessiert. Ich nehme diese Generation von Spielern als sehr hungrig wahr.
Wie meinen Sie das?
Harrer: Sie sind auch neben dem Platz sehr offen für alles, was sie weiterbringen könnte. Uns gefällt das sehr gut. Ich kann nicht für ältere Spieler sprechen, aber früher gab es Yoga im Fußball nicht. Es wurde ganz anders trainiert. Deswegen sind auch unsere Trainer sehr interessiert und machen oft mit. Sogar Patrick Esume hat während seines Besuchs im Trainingslager mitgemacht. Ich war etwas überrascht. Er ist ein eher extrovertierter Mensch, war auf dem Trainingsplatz sehr dominant und voller Energie. Beim Yoga-Unterricht war sehr ruhig und fokussiert, hat toll mitgemacht und mir gutes Feedback gegeben. Er hat für sich festgestellt, dass man Yoga auch im Football integrieren sollte.
Yoga-Trainerin Stephanie Harrer erklärt ihre Arbeitsweise
Wie kann man sich Yoga im Fußball vorstellen? Wie trainieren Sie mit den Spielern?
Harrer: Ich habe mich auf Inside Yoga spezialisiert. Diesen Yoga-Stil habe ich für den Fußball weiterentwickelt. Dabei geht es darum, dass ich jeden Körper individuell betrachte - je nach Bewegungsprofil. Es gibt spezielle Griffe, mithilfe derer ich den Körper in den einzelnen Yoga-Positionen zusätzlich justiere.
Wie sieht der Trainingsalltag einer Yoga-Trainerin bei der U21-Europameisterschaft aus?
Harrer: Es gibt am Spieltag morgens eine optionale Yoga-Stunde. Ansonsten liegt der Fokus auf der Vorbereitung für das Spiel. Am Tag danach habe ich richtig viel zu tun. Die Spieler kommen zum Regenerieren, zur Meditation oder wegen anderer Yoga-Formen.
Sie sprechen von optionalen Stunden. Gibt es auch feste Trainingseinheiten?
Harrer: Die gibt es, wenn es das Trainerteam um Stefan Kuntz beschließt. Aber im Turniermodus mit Partien im Drei-Tage-Rhythmus kommt das nicht so häufig vor. Es geht eher um die individuellen Bedürfnisse.
Gibt es Spieler, die abgesehen von den Regenerationseinheiten nie freiwillig zum Yoga kommen?
Harrer: Nein, eigentlich nicht. Es gab einen wirklich zauberhaften Spieler, von dem ich niemals gedacht hätte, dass er zum Einzelunterricht kommen würde. Wirklich niemals. Ich hatte meinen Yoga-Raum mit Glastür. Plötzlich stand er davor. Ich öffnete die Tür und sagte nur verunsichert: 'Hallo?' Ich dachte, er hätte sich verlaufen. Ich fragte, wo er denn hinwolle. Er sagte: 'Zum Yoga.' Ich fragte nur: 'Was!? Bist du sicher?' Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet. Das war eine sehr lustige Situation.
Wie bereiten Sie sich auf ein individuelles Training mit Spieler XY vor?
Harrer: Ich frage ab, woher der Spieler kommt, wie seine Biographie aussieht, ob er Krankheiten hatte, Probleme mit den Zähnen oder Migräne. Darauf stelle ich meine Bewegungsideen individuell ein. Ich erhalte außerdem viele Informationen aus meinem engen Austausch mit dem Ärzteteam. Denn zu viel zu reden mit dem Spieler ist semioptimal. Das beansprucht den Kopf zu sehr. Ich möchte, dass die Spieler in ihren Körper kommen.
Yoga-Trainerin Harrer über typische Fußball-Übungen
Sie haben Inside Yoga weiterentwickelt und auf Fußball zugeschnitten. Was sind typische Übungen für Fußballprofis?
Harrer: Fußballer haben stets diese angespannte, leicht eingerollte Körperhaltung, weil sie eben rennen müssen. Dafür gibt es Übungen, die die Gegenbewegung ansteuern, also das Brustbein heben und den Oberkörper aufrichten. Bei den Torhütern ist die Arbeit mit den Händen, Armen und Schultergelenken natürlich auch wichtig.
Wie lange dauert der Einzelunterricht in der Regel?
Harrer: Das ist ganz unterschiedlich. Mit Atemübungen kann es bis zu 90 Minuten dauern. Es kommt darauf an, was das Trainingsziel ist.
Gibt es auch Übungen, die die Spieler ungern machen?
Harrer: Klar. Die Position, in der der hintere Oberschenkelmuskel gedehnt wird, mögen die Spieler nicht besonders. Aber sie verstehen den Nutzen und sind froh, wenn sie es gemacht haben. Es gibt auch Bewegungen, die sie besonders gern machen, weil sie merken, dass sich etwas löst.
Sie sind die einzige Frau im Trainerteam. Kommen die Spieler auch mal zu Ihnen, um sich abseits des Sportlichen den Rat einer Frau einzuholen?
Harrer: Manchmal. Eher selten. Wir haben mit Philipp Laux einen ganz hervorragenden Sportpsychologen im Team. Wegen mancher Themen kommen die Spieler schon auch mal zu mir, aber das soll intern bleiben. (lacht)
Stephanie Harrer über Pionierarbeit beim VfL Wolfsburg
Was war Ihr bisheriges Highlight bei der U21-Nationalmannschaft?
Harrer: Es gibt zwei Highlights. Ich habe mich zu Beginn schon gefragt, ob das funktionieren kann. Ich bin die einzige Frau. Klappt es, dass ich mich hier eingliedere? Funktioniert die Zusammenarbeit mit den Spielern? Deshalb war es ein Highlight für mich, dass die Chemie sofort gestimmt hat. Mein zweites Highlight ist die EM hier.
Was machen Sie nach der EM?
Harrer: Ab der kommenden Saison bin ich beim VfL Wolfsburg angestellt. Das ist Pionierarbeit, weil es für den VfL völlig neu ist. Ich werde dort nicht nur für die Profis, sondern auch für den Nachwuchsbereich zuständig sein. Je früher die Jungs mit Yoga als neuer Bewegungsidee anfangen, desto klüger können sie es in ihr Training integrieren und desto lockerer sind sie im Umgang damit.
Sie sprechen von Pionierarbeit. Wie sehr ist die Integration von Yoga im Fußball in Deutschland fortgeschritten?
Harrer: Ich habe den Eindruck, dass Yoga noch nicht so angenommen wird. Ich bin mir nicht sicher, ob das passiert - oder überhaupt passieren muss. Yoga ist ein Trainingsmodul, aber kein wahnsinnig dominantes. Das muss es auch nicht sein. Man muss respektieren, wie jeder einzelne Spieler tickt. Aus meiner Sicht sollten alle Spieler Yoga machen, aber das sollte man nicht erzwingen.