"Spieler lassen sich heimlich operieren"

Stefan Zieglmayer
23. Januar 201808:54
"Nichts ist unmöglich": Daniel Engelbrecht ist der lebende Beweisimago
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Fast wäre Daniel Engelbrecht gestorben. Am 20. Juli 2013 bricht er auf dem Platz zusammen. Die Diagnose: Herzmuskelentzündung und chronische Herzrhythmusstörungen. Die Folge sind vier Operationen. Ein Jahr später feiert er sein Comeback, mit einem Defibrillator in der Brust. Jetzt will der 25-Jährige in die Bundesliga. Im Interview mit SPOX spricht Engelbrecht über seinen Wechsel nach Aachen, heimliche OPs und den Spruch seines Lebens.

SPOX: Sie sind der erste Hattrick-Schütze der Alemannia seit Marius Ebbers. Wissen Sie, wie lange das in Aachen keiner mehr geschafft hat?

Daniel Engelbrecht: Zehn Jahre?

SPOX: Fast. Es sind genau 3631 Tage bis zu Ihrem Dreierpack gegen den SC Wiedenbrück vergangen.

Engelbrecht: Das schreib ich mir auf. (lacht)

SPOX: Sie spielen in der Regionalliga derzeit äußerst erfolgreich. In den letzten elf Spielen trafen Sie fünf Mal. Dennoch werden Sie oft auf den Umstand reduziert, dass Sie der erste deutsche Fußballer mit Defibrillator sind. Nervt Sie das?

Engelbrecht: Die Geschichte stört mich überhaupt nicht. Ich erzähle sie ja auch immer wieder. Ich will nur nicht überall der Herzkranke sein.

SPOX: Sie wechselten zuletzt von der 3. Liga in die Regionalliga. Mussten Sie Ihre Ziele seit ihren Herz-Operationen verschieben?

Engelbrecht: Absolut nicht. Mein Ziel ist nach wie vor die Bundesliga. Manchmal geht man eben einen Schritt zurück, um zwei nach vorne gehen zu können. Für mich war es jetzt wichtig, dass ich trainiere. Klar, deswegen habe ich den Wechsel zur Alemannia gewagt, damit ich wieder Spielpraxis bekomme und dem Verein ein wenig weiterhelfen kann.

SPOX: Sie standen während ihrer Leidenszeit bei den Stuttgarter Kickers unter Vertrag und der Verein hat Sie stets unterstützt. Wie kam es zum Abschied bei den Kickers?

Engelbrecht: Klar, die Stuttgarter Kickers haben mich unterstützt. Aber eben auch nur in der Zeit, in der Horst Steffen (Trainer von September 2013 bis November 2015; Anm. d. Red.) da war. Als er ging, hat Sportdirektor Michael Zeyer mir rund vier Wochen später gesagt, dass mit mir nicht mehr geplant wird und ich mir einen neuen Verein suchen soll. Das finanzielle Paket hätte nicht gepasst. Das war kein so schöner Zug. Speziell nach dem, was ich mit den Kickers erlebt habe. Das werde ich auch nicht vergessen. Für mich war klar: Wenn ich einen Schritt zurückgehe, dann nur zur Alemannia. Der Verein liegt mir am Herzen und ich weiß, was ich hier habe.

SPOX: Sie wurden vor etwa drei Jahren mit Darmstadt 98 intensiver in Verbindung gebracht. Dann kam es zu Ihrem Zusammenbruch im Spiel gegen Holstein Kiel. Heute spielen die Lilien gegen die Bayern oder Dortmund, Sie gegen die TuS Erndtebrück und den FC Wegberg-Beeck. Kommt man da nicht ins Grübeln?

Engelbrecht: Eher weniger. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich einen anderen Berater. Was er mit Darmstadt zu tun hatte, weiß ich selbst nicht. Ich hatte nie persönlichen Kontakt zu dem Verein. Eigentlich weiß man bei allen Entscheidungen erst im Anschluss, ob sie richtig sind oder nicht. Vor den Kickers war ich in Bochum in der 2. Liga. Damals habe ich mich ganz gut gemacht, bin aber dennoch in die 2. Mannschaft versetzt worden. Dann habe ich die Flucht nach Stuttgart ergriffen. Ich habe dort eine andere Wertschätzung gespürt. Wenige Wochen später bin ich dann zusammengebrochen. Da überlegt man dann auch: War es richtig? War es falsch?

SPOX: Es hat über ein Jahr bis zu Ihrem Comeback gedauert. Gleich bei Ihrem zweiten Einsatz haben Sie dann das 2:1-Siegtor gegen Wehen-Wiesbaden erzielt. Bei Ihrem Jubel zogen Sie Ihr Trikot aus. Auf dem T-Shirt darunter stand: "Nichts ist unmöglich". Hatten Sie irgendwann mal Zweifel, dass sich dieser Spruch für Sie nicht bewahrheiten könnte?

Engelbrecht: Es gab Momente, die extrem schlimm und schwer waren. Ich habe mich oft gefragt: Wie soll ich in dem Zustand wieder auf den Platz kommen? Aber es gab keinen Tag, an dem ich an meinem Comeback gezweifelt habe. Es gab aber eben Momente, in denen ich fast gestorben wäre. Ich dachte mir: 'Meine Fresse, in der Lage, in der ich jetzt stecke, kann ich nicht einmal ein normales Leben führen'. Aber ich habe nie aufgegeben.

SPOX: Es war erst unklar, ob Sie je wieder Fußball spielen können. Haben Sie sich schon einen Plan B zurechtgelegt oder stand das nie zur Debatte?

Engelbrecht: Nein, ich habe all meine Kraft in Plan A gesteckt. An etwas anderes habe ich keinen Gedanken verschwendet.

SPOX: Hatten Sie in der Zeit ein Vorbild oder einen Nahestehenden, der Sie motiviert hat, am Ball zu bleiben?

Engelbrecht: Ein Vorbild hatte ich nicht wirklich, weil ich niemanden kenne, der das erlebt hat, was ich durchgemacht habe. Aber meine Freunde und meine Familie haben mich natürlich unterstützt, mich zu den OPs begleitet und mir Mut gemacht. Es gab ja Zeiten, in denen ich psychische Probleme hatte. Meine Freunde haben mich nachts abgeholt und mir Mut zugesprochen. Das hat mir schon sehr geholfen.

SPOX: Sie selbst sind jedoch für manchen Jugendlichen sicherlich ein Idol. Wie gehen Sie damit um?

Engelbrecht: Es gab schon Kontakt mit tausenden Leuten. Nachdem die Geschichte publik wurde und durch Deutschland, Europa und die ganze Welt ging, bekam ich Nachrichten aus sämtlichen Ländern. Viele mit dem gleichen Schicksal haben versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Es gab wirklich tausend Menschen, die sich an mich gewendet haben und denen ich auch helfen konnte. Ich weiß, dass ich durch meinen öffentlichen Umgang mit der Geschichte zwar meiner Fußball-Karriere geschadet habe, aber auch sehr vielen Menschen geholfen habe und immer noch helfe. Daher bereue ich nichts.

SPOX: Inwiefern haben Sie Ihrer Karriere geschadet?

Engelbrecht: Ich merke sehr oft, dass meine Herzprobleme bei verschiedenen Vereinen eine wichtige Rolle spielen. Sie haben Angst, dass mir wieder etwas passiert, weil einfach eine hohe Belastung auf mich zukommt. Die überlegen dreimal, ob sie mich verpflichten. Es haben sich auch andere Spieler bei mir gemeldet, die sich auch operieren lassen. Aber davon weiß eben niemand und es passiert mehr oder weniger heimlich. Deswegen wird da nichts infrage gestellt.

SPOX: Aus Ihrer Sicht hört sich das alles ja ziemlich positiv an. Aber ein gewisses Risiko bleibt trotzdem bestehen. Zum Beispiel kehrten im Trainingslager in Südtirol im vergangenen Jahr die Herzprobleme wieder verstärkt zurück. Haben Sie manchmal Angst, dass Sie wieder zusammenbrechen?

Engelbrecht: Nein. In Südtirol hatte ich nur Schwierigkeiten, weil ich mein Medikament auf eigene Faust abgesetzt hatte. Und das war bei 40 Grad in den Bergen nicht so toll. Aber das hat sich ja ziemlich schnell wieder eingependelt, nachdem ich die Dosis wieder hochgeschraubt habe. Das muss ich mir also selbst ankreiden.

SPOX: Sie haben angesprochen, Spielerkollegen zu kennen, die mit ihrer Geschichte nicht an die Öffentlichkeit gegangen sind. Sie aber haben den Schritt gewagt. Können Sie sich vorstellen, nach Ihrer Karriere in dieser Richtung zu arbeiten?

Engelbrecht: Ich bin jetzt schon Pate beim Bundesverband für herzkranke Kinder. Nach meiner Karriere werde ich auf jeden Fall Menschen helfen, die mit ihrem Herzen Probleme haben. Das werde ich auch bis an mein Lebensende tun. Nicht nur Sportlern, sondern allen Menschen, die die Lust am Leben verlieren. Eben, weil ich weiß, wie schlimm es ist und es an manchen Tagen aussieht, wenn man nicht so charakterstark ist.

SPOX: Stichwort "charakterstark": Ein Tattoo auf Ihrer Brust sagt: "Du weißt erst, wie stark du bist, wenn kämpfen deine letzte Chance ist". Wie stark sind Sie?

Engelbrecht: Diese Geschichte hat mich noch mal umso mehr gestärkt. Diese Erfahrung, bei der ich mit einem Bein schon auf der anderen Seite stand, hat mir auch gezeigt, was man schaffen kann, wenn man will. Der Glauben und der Ehrgeiz haben mich zurück auf den Platz gebracht. Den Spruch habe ich mal aufgeschnappt und seitdem nicht mehr aus dem Gedächtnis gebracht. Das ist einfach mein Spruch, der passt genau zu meinem Leben.

Daniel Engelbrecht im Steckbrief