1860-Urgestein Stegmann im Interview: "Garchings Zeugwart trug ein Löwen-Trikot"

Nino Duit
07. Juni 201813:25
Norbert Stegmann überreicht Spieler Aaron Berzel eine Brezel.privat
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Norbert Stegmann arbeitet seit 1996 für den TSV 1860 München, zunächst in der Jugendabteilung und seit 2016 als Zeugwart der ersten Mannschaft. Der 69-Jährige sah etliche spätere Bundesligaspieler aufwachsen - und seinen Verein gleichzeitig von der Bundesliga bis in die Regionalliga Bayern abstürzen.

Im Interview erzählt Stegmann von Kommunikationsproblemen mit der Abstiegsmannschaft, einem Brezel-Trikot für Aaron Berzel, Schafkopfspielen und den schlimmen Zuständen der Buchbacher Kabinen. Beim VfR Garching traf er einen Zeugwart-Kollegen, der das Spiel seiner Mannschaft gegen 1860 im 1860-Trikot verfolgte.

SPOX: Herr Stegmann, wie haben Sie die Zeit nach dem Abpfiff des Relegationsrückspiels gegen den 1. FC Saarbrücken verbracht?

Norbert Stegmann: Zuerst habe ich mit den Jungs auf dem Platz gefeiert, aber dann musste ich den Kabinentrakt abschirmen, weil ein paar Fans hineindrängten. Anschließend ging ich mit meiner Frau in die Almhütte am Trainingsgelände. Dort haben wir so lange gefeiert, bis das Bier ausgegangen ist. Dann war ich zum Essen mit den Trainern und dem Funktionsteam beim Italiener und schließlich mit den ganzen Jungs im Hugo's. Um halb eins bin ich nach Hause gefahren. Da war ich einfach nur glücklich, aber wirklich begriffen habe ich es erst am nächsten Tag.

SPOX: War das Ihr schönstes Erlebnis mit 1860?

Stegmann: Mit der A-Jugend waren wir dreimal im Halbfinale der deutschen Meisterschaft, 2016 gewann wir vor knapp 15.000 Zuschauern im Signal Iduna Park gegen Borussia Dortmund, 2007 holten wir in Berlin den DFB-Junioren-Pokal. Das war alles super, aber dieser Aufstieg war das Beste.

SPOX: Sie sind bereits seit 1996 im Verein. Wie kam es damals dazu?

Stegmann: Ich bin hier aufgewachsen und war von klein auf ein Blauer durch und durch. Bis ich elf war, spielte ich sogar in der Schülermannschaft von 1860. 1996 kickte ich gerade hobbymäßig bei einem kleinen Verein in München. Mein damaliger Trainer machte ein Sommerpraktikum bei 1860 und dabei offenbar einen guten Eindruck. Im Winter beurlaubten die 1860-Verantwortlichen ihren B-Jugend-Trainer, erinnerten sich offenbar an ihn und fragten, ob er übernehmen will. Einen neuen Betreuer brauchte es auch und da hat er mich empfohlen. Für mich war das natürlich das Allergrößte: Ich war bei meinem Lieblingsklub angestellt! An meinem ersten Arbeitstag wurde ich mit den Vereinsklamotten eingekleidet. Das war gigantisch.

SPOX: Was waren fortan Ihre Aufgaben?

Stegmann: Neben meiner Tätigkeit als Zeugwart war ich als Ex-Keeper anfangs auch Torwart-Trainer der Jugendmannschaften. Aber mit der Zeit ist alles professioneller geworden und ich hatte nicht genügend Zeit, weil ich im Klub nur nebenberuflich tätig war.

SPOX: Trainer der Profimannschaft war zu dieser Zeit Werner Lorant, Präsident Karl-Heinz Wildmoser.

Stegmann: Damals gab es kaum einen Austausch zwischen der Jugendabteilung und der Profimannschaft, deshalb hatte ich mit ihnen nicht so viel zu tun. Eines war aber klar: Mit einem roten T-Shirt konntest du nicht aufs Trainingsgelände kommen. Sonst hätte dich der Präsidentpersönlich rausgeschickt und gesagt: "Jetzt ziehst du was anderes an, aber ganz schnell."

SPOX: Während Ihrer Zeit in der Jugendabteilung lernten Sie etliche spätere Bundesligaspieler kennen. Wen haben Sie besonders gut in Erinnerung?

Stegmann: Marcel Schäfer ist ein hundertprozentiges Vorbild und der beste Profi, den ich je kennenlernen durfte. Ich konnte ihn 50 Mal die Bälle holen lassen und er hat nie gemault. Die größtenfußballerischen Qualitäten besaß er nicht, aber durch seinen Willen und einwandfreien Charakter erarbeitete er sich trotzdem eine tolle Karriere. Ich habe noch Kontakt mit ihm, letztens kam er bei einem Hallenturnier aus heiterem Himmel zu mir und schenkte mir ein Trikot.

SPOX: Wer fällt Ihnen noch ein?

Stegmann: Daniel Baier absolvierte den Materialdienst immer perfekt und wenn sein Nachfolger die Arbeit nicht genauso gut machte, hat er ihn zusammengeschissen. Daniel ist ein Typ, auf den das Team hört. Auch Kevin Volland hatte alle Mannschaften, in denen er spielte, voll im Griff. Kevin ist ein super Kerl und kann seine Kollegen mitziehen - auch im privaten Bereich.

SPOX: Volland spielte sogar schon im deutschen Nationalteam, genau wie Julian Weigl. Wie haben Sie ihn kennengelernt?

Stegmann: Ich hätte niemals gedacht, dass Weigl Stammspieler bei Borussia Dortmund werden könnte. Sein großer Vorteil war Thomas Tuchel, der einfach auf ihn stand. Da hat er sich dann auch extrem entwickelt. Bei uns arbeitete Weigl schon auch für die Mannschaft, aber er wusste schon immer, dass er auch auf sich schauen muss.

SPOX: Ab Sommer spielt Weigl beim BVB mit Marius Wolf zusammen.

Stegmann: Marius ist ein lustiger Kerl, ein Schlitzohr, macht immer Gaudi und kann seine Kollegen mit jedem Blödsinn mitreißen. Manchmal war bei ihm deshalb auch ein bisschen der Schlendrian drinnen. Ich kenne ihn aber nur als Jugendlichen und da entwickelt man sich natürlich als Typ noch. Ein Nachwuchsspieler bei einem Profiverein hat so viel um die Ohren, dass er das irgendwann auch mal rauslassen muss.

Julian Weigl und Marius Wolf spielten in der Jugend von 1860, ehe sie in die Bundesliga wechselten.getty

SPOX: Einst arbeiteten Sie in der Jugendabteilung auch mit Timo Gebhart zusammen, der im vergangenen Sommer nach acht Jahren zu 1860 zurückkehrte.

Stegmann: Was er in der Jugend fabrizierte, war genial. Timo ist ein Riesentalent, aber leider hatte er großes Verletzungspech. Ansonsten hätte er es noch viel weiter bringen können.

SPOX: Seit 2016 sind Sie Zeugwart der ersten Mannschaft. Warum verließen Sie die Jugendabteilung?

Stegmann: Der damalige Zeugwart hörte auf und sein Nachfolger fragte mich, ob ich ihm helfen könnte. Da ich ohnehin kürzertreten und mehr Zeit für die Familie haben wollte, passte mir das ganz gut. Dann kündigte er aber auf einmal selbst und wer blieb übrig? Ich. Seitdem bin ich bei den Profis und bereue es überhaupt nicht, auch wenn dadurch die Arbeitszeit wieder deutlich länger wurde.

SPOX: Ihre erste Saison endete mit dem Abstieg aus der 2. Bundesliga.

Stegmann: Die Spieler waren alle sehr gut und hätten niemals absteigen dürfen, aber jeder schaute mehr auf sich als auf die Mannschaft. Unsere Spieler verstanden die 2. Bundesliga leider nicht, sie hätten auch mal dreckiger spielen müssen und den Fokus auf den Kampf legen.

SPOX: Welchen Eindruck gewannen Sie von Trainer Vitor Pereira?

Stegmann: Er ist ein wunderbarer Mensch, sehr fair und anständig. Ich hätte mich gerne mal ausführlich mit ihm unterhalten, aber das funktionierte wegen der Sprache leider nicht. Überhaupt wurde damals in der Kabine fast nur englisch oder portugiesisch geredet. Deshalb konnte ich mich mit vielen Spielern gar nicht austauschen.

SPOX: Wie erlebten Sie das Relegationsrückspiel gegen Jahn Regensburg?

Stegmann: Für mich war es sehr, sehr schlimm. Ich war einer derjenigen, die danach weinten.

SPOX: Wie hat sich Ihre Arbeit durch den Doppel-Abstieg geändert?

Stegmann: Der einzige Unterschied war, dass wir weniger Auswärtsspiele mit Übernachtungen hatten und in anderen Stadien und Kabinen zu Besuch waren. Hinsichtlich des Aufwands ist es fast das Gleiche.

SPOX: Wie sieht ein gewöhnlicher Spieltag für Sie aus?

Stegmann: Bei Auswärtsspielen ohne Übernachtung fahre ich mit meinem Kollegen Milan Macura mit dem Kleinbus voraus. Wir sind dann genau wie bei Heimspielen vier Stunden vor Anpfiff im Stadion und richten die Kabine her. Bei der Besprechung vor dem Spiel gehe ich dann raus, da sollen Trainer und Mannschaft untereinander sein. Während des Spiels sitze ich auf der Bank.

SPOX: Wie intensiv ist der Kontakt mit der Mannschaft?

Stegmann: Jetzt viel enger als zu Zweitliga-Zeiten, ich kenne schließlich 80 Prozent der Jungs schon aus der Jugend. Wir sprechen bairisch oder notfalls deutsch. Jetzt macht es wieder mehr Spaß, weil wir eine Einheit sind.

SPOX: Markus Ziereis erzählte neulich in einem Interview, dass gerne mal Schafkopf gespielt wird.

Stegmann: Ja, da bin ich immer dabei, aber leider können das heutzutage nicht mehr so viele wie früher. Ziereis ist recht gut, Lukas Aigner spielt gerne mit, aber seine Leistung ist ausbaufähig. Die meisten Jungs spielen lieber mit ihrem Laptop oder Handy.

SPOX: Welche ehemaligen Spieler waren brauchbare Gegner?

Stegmann: Stefan Aigner war gut, Thomas Pledl und Matthias Strohmaier zockten mich immer ab. Die hatten aber auch immer Kartenglück.

SPOX: Im vergangenen Sommer kehrte die erste Mannschaft ins Stadion an der Grünwalder Straße zurück. Was bedeutete das für den Verein?

Stegmann: Emotional war das überragend und die Stimmung im Grünwalder ist nicht zu toppen. Aber für unsere Zuschauermassen ist das Stadion eigentlich zu klein. Unser Ziel ist die 2. Bundesliga und dann stellt sich ohnehin die Frage: Wo spielen wir?

Im Sommer 2017 kehrte der TSV 1860 ins Stadion an der Grünwalder Straße zurück.getty

SPOX: Eine Rückkehr in die Allianz Arena wird es nicht geben. Vermissen Sie bei Ihrer alltäglichen Arbeit etwas am Ex-Stadion?

Stegmann: Natürlich ist die Arbeit in der Allianz Arena einfacher, weil alles größer und pompöser ist. Durch die Umbauarbeiten passen die Bedingungen im Grünwalder zwar auch, aber es fehlen einige Dinge, die hilfreich wären. Zum Beispiel gibt es in der ganzen Kabine keinen Wasserhahn. Wenn ich einen Bottich auffüllen will, muss ich das entweder bei einem Duschkopf machen oder im Waschbecken, aber da ist der Hahn eigentlich zu flach.

SPOX: Wo waren die Kabinen-Verhältnisse in der Regionalliga am schlechtesten?

Stegmann: Buchbach ist ganz schlimm. Die Kabine ist sehr klein, mit 18 Mann und einem Trainer kann man sich dort nicht einmal umdrehen. Angeblich gibt es auch eine Toilette - aber die ist, wenn überhaupt, nur im Stehen benutzbar. Draußen gibt es zwei richtige Toiletten, aber die dürfen auch die Fans benutzen. Ich habe damals mit dem Betreuer von Buchbach diskutiert, ob wir die für ein paar Minuten sperren könnten, damit unsere Spieler in Ruhe auf die Toilette gehen können. Das war aber nicht möglich.

SPOX: Wie war der Umgang mit den übrigen Zeugwarten der Liga?

Stegmann: Immer sehr kameradschaftlich. Der Zeugwart des VfR Garching ist ein Blauer, dass es blauer nicht geht. Er trug beim Spiel gegen uns sogar ein Löwen-Trikot - während er seine Mannschaft betreute.

SPOX: Woran erinnern Sie sich an der vergangenen Saison am liebsten zurück?

Stegmann: Das Auswärtsspiel in Pipinsried, bei dem wir die Meisterschaft perfekt machten, war gigantisch. Das kann man nicht beschreiben, das muss man erlebt haben. Alle 540 Dorfbewohner halfen mit und der Bauer vom Nachbargrundstück funktionierte seinen Acker in eine Naturtribüne um. Sowas erlebt man im Profifußball nicht.

SPOX: Die Derbys gegen den FC Bayern gingen beide verloren.

Stegmann: Das war jeweils verdient und die Bayern werden sich schon fragen müssen: Warum sind eigentlich nicht wir aufgestiegen?

SPOX: Wie verbringen Sie die Zeit bis zum Saisonstart?

Stegmann: Erst werden die Kabinen von Grund auf gereinigt und dann mache ich Inventur. Ich muss prüfen, welche Trikots und Trainingsklamotten noch da sind, welche hergeschenkt wurden oder zu den Fans gewandert sind. Dann kommt auch schon bald die neue Ausrüstung und es geht wieder los.

SPOX: Im vergangenen Sommer wurde Neuzugang Aaron Berzel zunächst mit einem Trikot mit der Aufschrift "Brezel" ausgestattet. Wie kam es dazu?

Stegmann: Ich habe das bei der Beflockungsfirma bestellt - und wahrscheinlich den Namen falsch eingetippt. Das nehme ich auf mich.