Pavlos Wiegels wurde bei der Futsal-Studenten-WM entdeckt, wechselte nach Polen in die zweite Liga und ist mittlerweile Nationaltorhüter der deutschen Futsal-Auswahl. Vor dem ersten offiziellen Futsal-Länderspiel der DFB-Geschichte spricht der 22-Jährige im Teil 3 der SPOX-Themenwoche über die Strukturen, die Unterschiede zum Fußball und Futsal-Gott Falcao.
SPOX: Herr Wiegels, wie sind Sie zum Futsal gekommen?
Pavlos Wiegels: Früher habe ich Fußball in der Jugend von Viktoria Berlin gespielt. Als ich vor drei Jahren aus der A-Jugend herausgekommen bin, habe ich zwar noch für die U23 gespielt, aber meine Motivation ging langsam zurück. Dann hat sich von der Futsal-Auswahl der Viktoria der Keeper verletzt und ich wurde gefragt, ob ich das nicht mal ausprobieren möchte. Anfangs war ich zwar noch skeptisch, aber es hat mir auf Anhieb viel Spaß gemacht. In meiner ersten Saison sind wir bei der Deutschen Meisterschaft bis ins Halbfinale gekommen und dieser Erfolg hat mich geködert. Mittlerweile spiele ich gar kein Fußball mehr.
SPOX: Seit kurzem spielen Sie in Breslau bei KS Antonio Orzel. Wie kam es zu diesem Wechsel in die zweite polnische Futsal-Liga?
Wiegels: Nach der Schule habe ich mein Studium begonnen und vor ein paar Monaten war ich mit meinem Uni-Team bei der Studentenweltmeisterschaft in Brasilien dabei. Dort wurde ich zum besten Torwart des Turniers gewählt und für mich war klar: Wenn ich im Futsal noch etwas erreichen will, muss ich sofort etwas ändern. Über ein paar Ecken kam der Kontakt zu dem Verein zustande. Ich wäre zwar lieber in Berlin geblieben, aber Futsal steht in Deutschland erst in den Startlöchern: In Polen gibt es ein ausgeprägtes Ligensystem und jedes Wochenende messen wir uns mit den starken Teams.
SPOX: Klingt ziemlich professionell. Bleibt da noch Zeit für ein Studium?
Wiegels: Der Verein hat eine Kooperation mit einer Universität und ich studiere weiterhin VWL. Auch wenn die Sprache etwas schwierig ist, habe ich mich dank der Mitarbeiter und meiner Kollegen bestens eingelebt. Derzeit habe ich für eine Saison unterschrieben und wie es danach weiter geht, hängt von meiner persönlichen Entwicklung und der des Sports in Deutschland ab.
SPOX: Können Sie vom Futsal leben oder ist das nur Taschengeld?
Wiegels: Ich würde sagen, es ist vergleichbar mit einem gut bezahlten Studentenjob. Ich kann mir damit mein Studium finanzieren und verliere in Breslau kein Geld.
SPOX: Wie oft müssen Sie für Ihr Geld trainieren?
Wiegels: Wir trainieren jeden Tag und die Abläufe sind vergleichbar mit Fußball-Training. Zwei Mal die Woche habe ich zusätzlich zum Mannschaftstraining ein einstündiges individuelles Torwarttraining. Das Mannschaftstraining dauert eineinhalb bis zwei Stunden - das hängt davon ab, ob wir eine Taktikbesprechung haben.
SPOX: Wie kann sich ein Laie die Taktik beim Futsal vorstellen?
Wiegels: Meistens formieren sich die vier Feldspieler in einer Raute, wobei extrem viel rotiert wird. Für mich als Torhüter ist der Fixo der wichtigste Spieler, so wird der zentrale defensive Spieler genannt. Meistens gibt dieser die Taktik für den Angriff vor und die anderen Spieler wissen, wie sie laufen müssen. Wenn diese Laufwege nicht stimmen, kann sich der Gegner leicht darauf einstellen.
SPOX: Welchen Stellenwert nimmt Taktik beim Futsal ein?
Wiegels: Ähnlich wie beim Fußball haben manche Teams ihre Stärken in der Taktik, andere in der individuellen Qualität. Aber grundsätzlich macht die Taktik ungefähr 60 Prozent vom Spiel aus. Es gibt auch beim Futsal Mannschaften, die nicht besonders ansehnlich spielen, aber trotzdem erfolgreich sind. Entscheidend ist der richtige Mix.
SPOX: Wie bei der Wichtigkeit der Taktik decken sich viele Aspekte mit Fußball. Wo liegt für Sie persönlich der größte Unterschied?
Wiegels: Als Torwart nimmt man beim Futsal mehr am Spiel teil. Da ich nur einmal pro Spielzug einbezogen werden darf, leite ich zwar nicht jeden Angriff ein, aber ich bekomme mehr Bälle auf das Tor und kann meine Mannschaft auch mal retten. Beim Fußball hat man vielleicht 90 Minuten nichts zu tun und fängt dann trotzdem ein Gegentor. Bei einem Fußball-Spiel würde ich dann nur in der Kälte rumstehen, frieren und mich langweilen, das wäre schrecklich für mich. Ich bin jetzt einfach diese permanente Anspannung gewöhnt.
SPOX: Sind die zahlreichen Torraumszenen der Charme des Futsal?
Wiegels: Für mich wird schlicht mehr Action geboten. Man kann keine Zeit schinden und deshalb sind selbst die schlechten Spiele gut anzuschauen. Bei einem Fußball-Grottenkick weiß man, dass es 0:0 ausgeht, weil kein Team auch nur ansatzweise Torgefahr ausstrahlt. Beim Futsal kann es jede Sekunde einschlagen.
SPOX: Hinzu kommen die teilweise atemberaubenden Tricks.
Wiegels: Absolut, bei Futsal ist viel Show dabei, weil der Raum es zulässt. In Einzelsituationen sind diese technischen Leckerbissen nötig, um überhaupt zu Chancen zu kommen. Aber auch beim Futsal funktionieren Tricks nicht immer.
SPOX: Gibt es Bereiche, in denen Futsal-Profis besser sind als ihre Kollegen vom Fußball?
Wiegels: Die richtigen Futsal-Profis sind auf engem Raum auf jeden Fall stärker als Fußball-Profis, weil sie aus wenig Platz überragende Tore machen. Da sprechen wir aber von einem Niveau, das es nur vereinzelt gibt.
SPOX: Können sich Fußball-Profis in Sachen Technik eine Scheibe abschneiden? Hertha-Trainer Pal Dardai hat mal einen Futsal-Trainer in sein Training eingeladen.
Wiegels: Die Anforderungen sind grundsätzlich verschieden: Wir spielen in der Halle und benutzen fast nur die Sohle, das ist beim Fußball undenkbar. Vielleicht wollte Pal Dardai seinen Spielern zeigen, wie man sich aus wenig bis gar keinem Raum aus Pressingsituationen befreien kann.
SPOX: Nationalspieler Julian Weigl wurde beim Futsal entdeckt. Wie groß ist da die Hoffnung, dass man selbst entdeckt wird?
Wiegels: Da Futsal-Spieler die Scouts mit ihren technischen Fähigkeiten überzeugen können, glaube ich, dass Julian Weigl nicht die absolute Ausnahme bleibt. Beim Fußball spielt das Alter eine entscheidende Rolle, aber mit 15 oder 16 wünscht man sich das auf jeden Fall. Danach ist der Zug abgefahren.
SPOX: Welches Alter ist für Futsal-Spieler perfekt?
Wiegels: Beim Futsal gelte ich noch als jung. Letzte Woche haben wir gegen einen 40-Jährigen gespielt. Der rennt zwar nicht mehr viel, aber weil er groß und kräftig war, hat er uns ganz schön zu schaffen gemacht. Und das ist keine absolute Ausnahme.
SPOX: Falcao, der beste Futsal-Spieler aller Zeiten, ist auch schon 39 Jahre alt. Was zeichnet ihn aus?
Wiegels: Falcao ist der Futsal-Gott überhaupt. Er hat sich mit seinen spektakulären Toren zu einer Berühmtheit geschossen. Seine Technik ist phänomenal, was er mit dem Ball veranstaltet, kann sonst keiner.
SPOX: In seiner Heimat Brasilien, aber auch in Russland und Spanien ist der Futsal meilenweit voraus. Was läuft da besser?
Wiegels: Das beginnt mit der Ausbildung und zieht sich dann wie ein roter Faden durch. Insgesamt gibt es weltweit von Land zu Land ein unheimliches Gefälle. Die genannten Nationen verfügen über professionelle Ligen und - ganz wichtig - ausverkaufte Hallen. Durch die höheren Einnahmen haben die Vereine mehr Ressourcen und können ihren Spielern mehr Gehälter bezahlen.
SPOX: Wie sieht das in Deutschland aus? spox
Wiegels: Bei uns spielen manche Regionen Ligen, andere spielen am Wochenende ein Turnier und der Gewinner darf zur Deutschen Meisterschaft. Das ist schon recht wild. Dahingehend ist Futsal in Deutschland noch am Anfang. Der DFB fängt aber gerade an, das zu verbessern.
SPOX: Der nächste Schritt in der Entwicklung ist das erste Futsal-Länderspiel des DFB am Sonntag gegen England.
Wiegels: Ich freue mich riesig darauf. Wir sind Letzter der UEFA-Rangliste und England ist im Mittelfeld angesiedelt, deshalb sind sie auf dem Papier ganz klarer Favorit. Aber wir können und wollen den anderen Nationen zeigen, dass sie in Zukunft mit uns rechnen müssen.
SPOX: Sie sind der einzige Legionär in der Futsal-Nationalmannschaft. Wie schwierig war es, den Kader zusammenzubekommen? Immerhin sind alle Spieler hauptberuflich eingespannt.
Wiegels: Vor dem Länderspiel haben wir mehrtägige Lehrgänge absolviert. Die Arbeitnehmer müssen sich diese Tage frei schaufeln und da gehen viele kostbare Urlaubstrage drauf, aber bisher hat es immer geklappt. Für mich als Student ist das natürlich einfacher.
SPOX: Die Tickets sind ab vier Euro erhältlich. Eerwarten Sie einen großen Zuschauerzuspruch?
Wiegels: In Deutschland kennen 90 Prozent Futsal gar nicht und in Berlin haben wir vor fünf Leuten gespielt. Bei der Deutschen Meisterschaft war es deutlich besser und es liegt an uns, das mit guten Auftritten zu etablieren. Für uns wäre es großartig, bereits am Sonntag vor einem großen Publikum zu spielen. Bei den großen Nationen sind die Hallen mit ein paar tausend richtigen Futsal-Fans, die mit Schals und Trommeln auflaufen, gefüllt. Bei uns beschränkt sich das bislang auf Familie und Freunde.