Augenthaler, Ballack, Pfaff und Zobel erinnern sich an Hoeneß: "Uli - der Heilige König mit der größten Krone"

Benedikt Treuer
14. November 201918:09
Klaus Augenthaler erinnert sich an die Zusammenarbeit mit Uli Hoeneß.imago images
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Uli Hoeneß wird am Freitagabend auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München das Amt des Präsidenten abgeben. Damit geht beim Rekordmeister eine Ära zu Ende. Seine ehemaligen Weggefährten Rainer Zobel, Klaus Augenthaler, Jean-Marie Pfaff und Michael Ballack erinnern sich bei SPOX an die Zusammenarbeit mit dem Bayern-Macher zurück.

Dieser Artikel erschien erstmals im November 2016 anlässlich der Wahl Hoeneß' zum Präsidenten im Rahmen einer Themenwoche auf SPOX.

Von Rainer Zobel

Es gibt wohl nicht viele, die von sich behaupten können, am gleichen Tag wie Uli Hoeneß beim FC Bayern München angefangen zu haben. Zusammen mit Paul Breitner schlugen wir 1970 an der Säbener Straße auf - noch wusste ich nicht, welchen Einfluss dieser junge Bursche mal auf den Verein haben würde.

Uli war 18, ich gut drei Jahre älter. Und obwohl ich schon zwei Jahre Profi-Erfahrung hatte, legte sich die Schüchternheit bei Uli und Paul deutlich schneller als bei mir. Ungewöhnlich schnell. Das war ich von mir und auch anderen gar nicht gewohnt. Er wollte sehr schnell in die Mannschaft und war dabei immer zielbewusst und erfolgsbesessen. Das hatte Jung-Siegfried, wie er genannt wurde, schon in jungen Jahren.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie oft ich mich über ihn geärgert habe. Durch Uli habe ich schnell begriffen, was Fußball eigentlich ausmacht und wie so eine Mannschaft funktioniert. Er hat im Spiel nach hinten überhaupt nichts gemacht, vorne aber die Tore geschossen. Es braucht auf verschiedenen Positionen einfach diese verschiedenen Charaktere. Uli war prädestiniert für die offensive Rolle. Hätten wir getauscht, wäre wohl jeglicher Erfolg ausgeblieben.

Auch wenn wir außerhalb des Platzes nicht sehr viel gemein hatten, war ich als Norddeutscher manchmal etwas neidisch, wie gut Uli Wattn und Schafkopf spielen konnte. Generell war er ein geselliger Typ: Feiern konnte er auf jeden Fall gut. Oft mit Paul Breitner, die beiden waren zu der Zeit ja wie ein Brüderpaar - unzertrennlich.

Die Pose vereint: Rainer Zobel (2.v.l.) und Uli Hoeneß (2.v.r.) im Mai 1971imago

Man musste nicht immer alles gutheißen, was Uli tat. Er ist aber nicht auf den Kopf gefallen, sondern wusste mit seinen Mitteln schon immer klug umzugehen. Die Weltmeisterschaft 1974 war das beste Beispiel: Schon vor dem Turnier plante er, zusammen mit Paul ein Buch über die WM zu schreiben. Und sie brachten es auch tatsächlich heraus. Dabei stand ihm, dem 22-Jährigen, das eigentlich gar nicht zu. So etwas hätte man vielleicht von den erfahreneren Franz Beckenbauer, Sepp Maier oder Gerd Müller erwartet. Um die Seriosität zu wahren, hat er sich Udo Lattek als Co-Autor hinzugeholt. Natürlich wusste er, dass sich das Buch gut verkaufen würde.

Vielleicht war es auch eine kleine Genugtuung, nachdem wir Abiturienten im Klub anfangs etwas belächelt wurden. Wir Akademiker, zu denen auch Uli gehörte, hatten keinen leichten Stand. Ob die 'Gescheiten' denn überhaupt Fußball spielen könnten, wurde spöttisch gefragt. Uns schlug aus der Führungsetage des FC Bayern München schon Argwohn entgegen. Uli Hoeneß konnte das aber nichts anhaben.

Die letzten Jahrzehnte haben das bestätigt. Sein Geschäftssinn und Organisationstalent brachten ihn dahin, wo er jetzt steht. Als mein Vertrag 1976 auslief, bot mir der damalige Präsident Wilhelm Neudecker einen neuen an. Der wäre allerdings an die Anzahl meiner absolvierten Spiele gebunden gewesen, sodass ich das Angebot ausschlug. Heute wünsche ich mir, Uli Hoeneß wäre damals auch schon mein Verhandlungspartner gewesen. Er hätte meinen Wert ganz sicher anders anerkannt. Das Ergebnis unter ihm wäre zufriedenstellender gewesen, davon bin ich überzeugt. Nicht, weil wir uns kannten, sondern weil er immer auch um das Wohl Anderer bemüht war.

Ohne Uli Hoeneß gäbe es Bayern München nicht in der heutigen Form. Der Verein, den er damals übernahm, war nicht unbedingt intakt. Dass daraus so eine große Gemeinschaft gewachsen ist, ist Uli Hoeneß' Werk. Das gab es früher, als er noch Spieler war, so noch nicht.

Rainer Zobel wechselte 1970 von Hannover 96 zum FC Bayern und stieß somit zeitgleich zum Profi-Team wie Uli Hoeneß. Er bestritt bis 1976 251 Pflichtspiele für die Münchner. Nach seiner Profi-Laufbahn startete er seine Trainer-Karriere, die ihn unter anderem nach Ägypten, in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Georgien und Südafrika führte.

Von Klaus Augenthaler

Als ich 1975 zu den Bayern kam, hatte ich das Champions-League-Endspiel vom Jahr zuvor noch bestens in Erinnerung. Uli Hoeneß war mitentscheidend für den Sieg und ich sehe ihn noch auf dem Trainingsgelände vor mir herlaufen: Uli, der Star in einer großartigen Mannschaft, und ich, der Jugendspieler. Ich habe zu ihm aufgeschaut.

Wie er tickt und welchen Stellenwert er in dieser Mannschaft hatte, wurde mir ein Jahr später bewusst, als ich selbst Teil des Profi-Teams wurde: Uli war ja schon damals der inoffizielle Manager der Truppe. Fehlte dir etwas - ganz gleich, ob Herd oder Auto - hast du Uli gefragt. Er konnte es schon besorgen.

Ich kann mich gut daran erinnern, wie unser damaliger Trainer Gyula Lorant 1977 nach München zog. Für seine Küche fehlte ihm noch ein Kühlschrank. Zu wem ist er gegangen? Natürlich zu Uli Hoeneß und der brachte ihm das Gerät für lau. Nun sagte Lorant in der Woche drauf aber zu Uli: 'Du spielst heute nicht.' Ulis Gesicht in dem Moment werde ich nie vergessen - er war ja unumstrittener Stammspieler.

Dass er früh Manager wurde, passte aber einfach. Er war in jungen Jahren einer von wenigen, die schon einen Werbevertrag hatten. Vielmehr war es sogar Uli, der seinen Mitspielern lukrative Verträge vermittelte. Man muss sich das in der heutigen Zeit mal vorstellen: Er war im Team Ansprechpartner für alles - er leitete quasi die Geschicke.

Unser persönliches Verhältnis entwickelte sich im Laufe der Jahre. Glauben Sie mir, der Druck steigt, wenn Sie nicht mehr nur Spieler von Uli Hoeneß sind, sondern als Trainer für ihn arbeiten. Uli hat mich zunehmend in die Pflicht genommen und ich versichere Ihnen: Das wirkt.

Klaus Augenthaler (vorne links) und Uli Hoeneß (rechts) feierten nicht nur die Meisterschaft 88/89 zusammenimago

Ich bin ja schon froh, dass der Verein keinen Schaden genommen hat, als ich 1996 einmal in Vertretung von Franz Beckenbauer fälschlicherweise vier Spieler gegen Fortuna Düsseldorf einwechselte. Es hat zum Glück keiner gemerkt. Ich will gar nicht wissen, wie schnell Uli in der Kabine gewesen wäre, wenn doch. Aber so konnten wir herzhaft darüber lachen.

In nur wenigen Jahren gewann er so sehr an Erfahrung, dass er den Klub forsch und selbstbewusst vertrat. So habe ich ihn als Spieler zuvor noch nicht erlebt. Er schuf einen Weltklub - und sich gleich mit. Er war noch nicht einmal Mitte 30, als klar wurde: Uli Hoeneß ist der FC Bayern.

Ich weiß, wie wichtig ihm seine Familie ist, und dennoch hatte man das Gefühl: Für Uli kam der Verein immer vor allem anderen. Das meine ich nur positiv. Ich glaube, wenn Uli etwas hätte bewachen müssen, dann hätte er an der Säbener Straße geschlafen und es selbst behütet.

Er war immer schon derjenige, der in Bereichen Ambitionen hatte, an die andere Manager noch gar nicht dachten. Er war eben schon immer ein Vordenker, was keinesfalls die Arbeit von Karl-Heinz Rummenigge oder anderen schmälern soll. Bildlich gesprochen, war Uli unter den Heiligen Drei Königen aber immer der mit der größten Krone.

Klaus Augenthaler spielte von 1975 bis 1991 für den FC Bayern, ehe er als Trainer die A-Jugend des Rekordmeisters übernahm. Von 1992 bis 1997 war er Co-Trainer des Profi-Teams und vertrat in dieser Zeit auch Franz Beckenbauer für einige Spiele als Cheftrainer. Uli Hoeneß erlebte er somit in verschiedenen Positionen.

Von Jean-Marie Pfaff

Ich bin ein Mensch, der das Herz auf der Zunge trägt. Womöglich hat Uli das auch gemerkt, als er mich das erste Mal traf. Er hat mich damals zu einem Gespräch ins Interconti in Düsseldorf eingeladen. Pal Csernai, der damalige Trainer der Bayern, war auch dabei. Es war ein nettes, aber sehr geschäftliches Treffen. Wir haben wie echte Männer verhandelt - letztlich machte mir Uli ein Angebot, das ich entweder annehmen oder für alle Zeit ausschlagen konnte.

Uli Hoeneß weiß, was er einem Spieler bezahlen muss. Er weiß, was nötig ist, um den Spieler zu holen. Er wollte einen Torwart - mich - und den bekam er.

Kurze Zeit nach dem Treffen hat Uli mich mit meiner Frau in einem Cafe in Köln abgeholt. Er meinte, wir sollten auf dem Weg zum Privatjet, der uns nach München flog, ein paar Meter Abstand zu ihm halten. Er wusste schon damals, wie er die Medien täuschte. Das lief alles sehr professionell. Wenig später saß ich bei Dr. Müller-Wohlfahrt zum Medizincheck. Anschließend lud Uli mich in seinen Porsche, wir fuhren zu ihm nach Hause, tranken mit seiner Frau Susi einen Kaffee - und Uli hatte seinen nächsten Transfer eingetütet.

Uli Hoeneß holte Jean-Marie Pfaff 1982 als Nachfolger von Sepp Maier zu den Bayernimago

Ich war im besten Fußballer-Alter und Uli nicht einmal zwei Jähre älter. Doch menschlich wirkte er schon viel gestandener, als es seine 30 Jahre vermuten ließen. Ich werde nie vergessen, wie er mich am Bremer Flughafen nach meinem unglücklichen ersten Bundesliga-Spiel in den Arm nahm und sagte: "Ich weiß, dass du es hier packst." Die Weisheit, die er mir mit auf den Weg gab, lebe ich heute noch: "Wenn der Wind kommt, musst du dich ducken. Wenn er vorübergezogen ist, musst du wieder aufstehen", sagte er. Das hat er vorgelebt, was es einfacher machte, ihm nachzueifern.

Worüber ich nach meiner Zeit bei den Bayern immer schmunzeln musste, waren die vielen Sagen um Ulis Wutreden. Denn ich kann mich in den sechs Jahren, die ich in München war, an keinen Ausraster von ihm erinnern. Ich kenne Uli nicht als jemanden, der laut schimpft. Natürlich hat er seine Meinung kundgetan, aber immer auf eine sehr menschliche Art.

Uli kennt diesen Verein wie kein anderer. Er weiß, wie alles beim FC Bayern läuft, er kennt jeden Mitarbeiter. Für Uli würde ich mich sogar noch mal ins Tor stellen und ihn einen Elfmeter schießen lassen. Weil ich wüsste, dass er sowieso drüber schießt.

Jean-Marie Pfaff wechselte 1982 vom SK Beveren zum FC Bayern. In sechs Spielzeiten holte er mit den Münchnern drei deutsche Meistertitel und feierte zwei DFB-Pokal-Erfolge. Uli Hoeneß war während dieser Zeit Manager des Klubs.

Von Michael Ballack

Ehrlicherweise erinnere ich mich nicht an alle Einzelheiten unseres ersten Treffens, bevor ich 2002 zum FC Bayern kam. Wenn man sich in so einer Angelegenheit mit Uli Hoeneß trifft, wird es nicht auf dem Bayern-Gelände gewesen sein. In Erinnerung geblieben ist aber die Aura, die Uli umgibt.

Als Uli Hoeneß den Raum betrat, hatte das Wirkung - er war im persönlichen Gespräch immer respekteinflößend. Der Umgang mit ihm konnte sehr einfach sein, durch seine Direktheit wusste man aber auch schnell, wenn es ernst wurde. Und so machte er mir beim Vertragsgespräch unmissverständlich klar, dass ich beim besten Klub überhaupt saß. Da gab es keine zwei Meinungen. Kein Spieler muss nach einem Gespräch mit Uli lange überlegen, denn er vermittelt eindrucksvoll die Überzeugung, dass der FCB das absolute Nonplusultra ist.

Viel einprägsamer als seine Härte am Verhandlungstisch war aber immer seine Nähe zur Mannschaft. Es gab keinen Tag, an dem man Uli nicht am Trainingsgelände oder im Mannschaftshotel gesehen hat. Er war immer präsent und wollte sich seine Informationen selbst einholen und nichts von Dritten ins Büro geliefert bekommen.

Entsprechend ist es eine seiner größten Stärken, in die Mannschaft reinzuhorchen und ein Gespür für Strömungen im Team zu entwickeln. Er kannte das Verhältnis einzelner Spieler untereinander und auch das zum Trainer. Und darauf reagierte er.

Michael Ballack und Uli Hoeneß erlebten zusammen drei Double-Siege mit dem FC Bayerngetty

Uli nahm sich die Freiheit, auch mal in die Kabine zu platzen und laut zu werden. Glauben Sie mir, das ist nicht nur ein paarmal vorgekommen. In diesen Momenten rückte auch das Wort des Trainers mal in den Hintergrund. Er wählte die Zeitpunkte weise - und dann hatten die Worte es in sich.

Ich denke, er hat gemerkt, dass viele ihm diese Wutausbrüche verziehen haben. Denn sie haben uns geholfen. Uli rüttelte uns wach, appellierte an den Verstand. So etwas braucht auch ein Profi-Fußballer mal. Auch der Trainer musste in diesen Ansprachen mal einen indirekten Seitenhieb ertragen.

Uns Spieler packte er dagegen sehr, sehr direkt an. Uli Hoeneß weist dich schon mal auf deine Form hin, beim einen oder anderen Spieler wurde auch mal das Privatleben hinterfragt. Stellen Sie sich dazu vielleicht auch mal einige nicht so salonfähige Worte vor, dann können Sie sich denken, wie das sitzt. Er war eben ein Mann der alten Schule, was aber ankam. Die Spieler haben es verstanden. Aus solchen Sitzungen ging man raus und wusste, es ist fünf nach zwölf. Da brannte es.

Mein eigenes Verhältnis zu Uli war weitestgehend gleichbleibend - nur 2004 war es einmal wirklich kritisch. Wir schlossen die Saison als Zweitplatzierter hinter Werder Bremen ab, wodurch die Atmosphäre im Verein ohnehin angespannt war. Denn eine Kulanzzeit gibt es in diesem Verein nicht. Nach einer Niederlage hatte man bei Uli immer das Gefühl, dass ein latenter Druck herrschte, der aussagte: Verlieren verboten. Und seine Präsenz alleine reichte, um jedem Spieler klarzumachen: Es wird kein zweites Mal geben.

In dieser Zeit hatte ich aber auch einige persönliche Gespräche mit Uli, in denen wir nicht sehr konform lagen. Es ging darum, wie der FC Bayern aufgestellt war, wie unsere Spielstärke einzuordnen war und was unsere Ziele waren. Durch unsere unterschiedlichen Auffassungen sind wir in der Zeit manchmal aneinandergeraten. Aber immer respektvoll. Wir konnten uns immer in die Augen schauen.

Auch bei meinem Wechsel. Uli warf mir öffentlich vor, wegen des Geldes gegangen zu sein. Ich bin ihm nicht böse für die Aussagen, denn ich glaube, dass er einfach emotional überreagiert hat und enttäuscht war. Ich habe den FC Bayern verlassen, um mich einem damals sportlich stärkeren Klub anzuschließen. Chelsea hat mehr investiert und das Ziel ausgegeben, die Champions League zu gewinnen. Das war auch mein Wunsch. Uli und die Bayern waren damals noch nicht bereit dazu, die Spieler zu verpflichten, mit denen ein solcher Triumph möglich gewesen wäre.

Ich habe mir dennoch nie ausgemalt, dass ein Transfer für mich so emotional sein könnte. Auf der Abschiedsfeier sind Tränen geflossen, als ich mich von Uli und seiner Frau verabschiedet habe. Bei allem Leistungsdruck hat er mir stets das Gefühl vermittelt: 'Ich bin immer für dich da, wenn du Probleme hast.' Mit diesem Gefühl habe ich München verlassen und ich glaube, dass es fast jedem Spieler, der das Bayern-Trikot getragen hat, so ging.

Uli Hoeneß holte Michael Ballack 2002 von Bayer Leverkusen zum FC Bayern. In vier Spielzeiten beim Rekordmeister gewann der Mittelfeldspieler dreimal das Double und kam in 157 Pflichtspielen auf 62 Tore. 2006 zog es ihn von München zum FC Chelsea.