WM

Andy Brehme: "Irgendeiner musste ja schießen"

Von Interview: Florian Bogner
Mit diesem Elfmeter schoss Andreas Brehme die deutsche Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft
© Imago
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SPOX: Eigentlich wäre ja alles für ein Finale Italien gegen Deutschland angerichtet gewesen.

Brehme: Stimmt. Ich erzähle Ihnen mal was: Die Italiener hatten ja acht Spieler von Inter Mailand dabei, wir drei, also Jürgen Klinsmann, Matthäus und mich. Und wir haben laufend mit den Italienern telefoniert, mit Walter Zenga, Giuseppe Bergomi, Riccardo Ferri, und uns quasi fürs Finale verabredet. Und dann fliegen die Italiener raus. Mammamia! Aber die haben sofort bei uns angerufen und gesagt: Hoffentlich haut ihr die weg!

SPOX: Das Gerüst der Mannschaft stand über das gesamte Turnier. Dennoch hat Beckenbauer immer wieder für Überraschungen gesorgt.

Brehme: Das stimmt. Im Halbfinale hat Franz auf einmal Olaf Thon in die Elf genommen, der vorher nur zwei Minuten gespielt hatte. Und dann liefert der Olaf ein Weltklassespiel ab und macht im Elfmeterschießen auch noch seinen Elfmeter rein. Alles dachte, der spielt jetzt auch im Finale. Und dann hat Pierre Littbarski gespielt. So war er eben, der Franz.

SPOX: Ist Beckenbauer auch mal böse geworden?

Brehme: Ja, nach dem Spiel gegen die Tschechen. Da ging's richtig rund. Ui, war da Theater. Mammamia! Er war nicht beleidigend, aber er hat uns ordentlich angepfiffen. 'Ihr könnt doch nix', und so Zeug. Da hat er so getobt, wie ich ihn selten erlebt habe.

SPOX: Und wie war das sonst mit Beckenbauer?

Brehme: Er war eine absolute Respektsperson für die Spieler. Man hat zu ihm aufgeschaut, zu seinen Leistungen als Spieler. Allerhöchster Respekt. Was er gesagt hat, hat sich jeder zu Herzen genommen. Egal ob es richtig war, oder nicht.

SPOX: Und das, obwohl es bei der WM 1986 im Team nicht wirklich rund gelaufen war.

Brehme: Ja, aber Beckenbauer hatte uns damals in Mexiko zusammengeschweißt. Wir hatten keine gute Mannschaft und ständig dieses Theater untereinander. Der Gipfel war natürlich die Sache mit Uli Stein. Er war zwar der bessere Torwart in der Vorbereitung, aber Franz hat sich für Toni Schumacher entschieden. Und der hat dann ein überragendes Turnier gespielt, bis aufs Finale.

SPOX: Torhüter sind ein gutes Stichwort.

Brehme: Ich halte Rene Adler aktuell für den besten. Gar keine Diskussion, dass der die WM spielt. Und bei Bayern gefällt mir Jörg Butt sehr gut, das habe ich auch schon zu Paul Breitner gesagt. Wenn Butt so weiter hält, können die Bayern warten, bis der Vertrag von Adler oder Manuel Neuer ausläuft und dann einen von beiden holen. Wie alt ist Butt? 35? Das ist doch für einen Torwart kein Alter.

SPOX: Wie war das bei der WM 1990?

Brehme: Da gab es keine Torwartdiskussion. Bodo Illgner war gesetzt, Raimond Aumann und Andi Köpke haben keinen Stress gemacht. Bodo hat gut gehalten, aber auch wirklich wenig auf die Kiste gekriegt. Es hat glaube ich kein Turnier gegeben, wo Deutschland so wenige Chancen zugelassen hat. (lacht) Neulich saß ich mit Rudi Völler zusammen und da sagt er: 'Wir hätten auch mit elf Feldspielern spielen können, Letzter macht Hand.' Und Sepp Maier sagte neulich zu mir: '1990, da hätten wir gar keinen Torwart gebraucht.' (lacht laut) Aber das darf man dem Bodo nicht erzählen, sonst bricht er zusammen.

SPOX: Beckenbauer beherrschte die Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche perfekt. Nach dem Achtelfinale hat er dem Team einfach mal eineinhalb Tage frei gegeben.

Brehme: Ja. Da haben wir viel mit unseren Frauen unternommen, die ja nur ein paar Orte weiter ein Hotel hatten. Wir sind zum Comer See gefahren, einige sind Essen gegangen.

SPOX: Klingt nach Urlaub.

Brehme: Nicht falsch verstehen, wir haben im Training hart gearbeitet. Bei einer WM muss man ständig unter Strom stehen, so eine Chance kriegst du nur alle vier Jahre. Aber man muss während des Turniers auch mal abschalten, mal locker lassen.

SPOX: Wie war die Stimmung im Quartier?

Brehme: Herrlich. Die vier Wochen davor waren harte Arbeit, aber als das Turnier dann los ging, war es wie Urlaub. Damals hat man sehr viel gemeinsam unternommen. Keiner hatte einen Computer oder einen Walkman dabei. Wir haben Karten oder Tischtennis gespielt, haben Grillabende veranstaltet, meine und Lothars Frau haben Dinge für die Spielerfrauen organisiert, wir haben eine Bootstour auf dem Comer See gemacht - uns ist jedenfalls nicht langweilig geworden. Heute gehen die Spieler ja immer sofort aufs Zimmer, was ich sehr schade finde.

SPOX: Haben Sie sich bei der WM in Italien wie zuhause gefühlt?

Brehme: Es war für mich wie eine Heim-WM. Ich habe als Spieler von Inter Mailand ja damals nur acht Kilometer vom Quartier in Erba entfernt gewohnt. Dazu waren in Mailand im Stadion immer über 60.000 Deutsche, im Finale in Rom dann sowieso. Nur in Turin gegen England war es ausgeglichen.

SPOX: Haben Sie heute noch Kontakt zu den Weltmeistern von damals?

Brehme: Klar. Bei Werbeaufnahmen oder Benefizspielen sieht man immer mal wieder den einen oder anderen. Wir treffen uns auch alle fünf Jahre, dieses Jahr ist Zwanzigjähriges. Da sind dann immer alle drei Tage zusammen, mit Golfen. Außerdem gratuliere ich immer noch jedem zum Geburtstag.

SPOX: Und was trauen Sie der deutschen Nationalmannschaft bei der kommenden WM zu?

Brehme: Ich glaube, in vier Jahren sind wir stärker. Wenn dann die ganzen jungen Europameister dabei sind, von der U 21, U 19, vielleicht sogar von der U 17. Schlecht aufgestellt sind wir bei dieser WM nicht, aber ich glaube nicht, dass es für den Titel reicht. Da sind viele andere Nationen stärker.

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