Neu war das alles nicht, was Jérôme Valcke im französischen öffentlich-rechtlichen Radio von sich gab - dennoch lösten die Aussagen des FIFA-Generalsekretärs über das "Wintermärchen 2022" in der Fußball-Welt ein mittelschweres Beben aus.
Acht (!) Jahre vor dem Anpfiff der Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar hat die Diskussion über den genauen Austragungs-Zeitpunkt groteske Züge angenommen, die am Ende wieder nur einem nützen könnten: FIFA-Boss Joseph S. Blatter.
Quasi per Fernduell beharkten sich am Mittwoch Valcke, die Nummer zwei des Weltverbandes, und Jim Boyce, zumindest formal einer von sieben Vizepräsidenten, während die FIFA selbst nur eine knappe Stellungnahme verschickte.
Boyce: "Vollkommen geschockt"
"Um ehrlich zu sein: Ich bin total, vollkommen geschockt", sagte Boyce bei "Sky Sports News", nur weil Valcke zuvor im Radio-Interview durchaus so zu verstehen war, als habe sich das FIFA-Exekutivkomitee bereits auf eine reine Winter-WM verständigt. "Es ist definitiv, zu 100 Prozent ist noch nichts entschieden", sagte Boyce, der als Brite wohl auch die Weihnachts-Festspiele der Premier League stark gefährdet sieht.
Der strahlende Gewinner könnte wieder Blatter sein, der - wie im schon im Oktober beschlossen - im Anschluss an ein "Konsultationsverfahren" mit allen Betroffenen nach der WM in Brasilien, spätestens aber zum Jahreswechsel eine endgültige Lösung bekannt geben wird. Blatters vierte Amtszeit endet 2015. Sein möglicher Herausforderer, UEFA-Boss Michel Platini, hatte sich mit seinem Terminvorschlag (Januar/Februar 2022) bereits den Zorn der Wintersport-Welt zugezogen.
Der Franzose, ebenfalls Mitglied im FIFA-Exko, brachte sich am Donnerstag selbst in Stellung und ätzte gegen die FIFA-Oberen. "Beim letzten Treffen des Komitees wurde beschlossen, dass niemand über dieses Thema bis zur endgültigen Entscheidung spricht", sagte der frühere Weltklasse-Spieler der L'Equipe: "Ich verstehe das nicht. Erst sprach Blatter darüber, jetzt Valcke - die Entscheidung fällt aber das Exko. Aber vielleicht erfüllt das keinen Zweck mehr. Wenn die Entscheidung schon gefallen ist, brauchen wir uns nicht mehr treffen."
WM in der Hitze unmöglich
Das Organisations-Komitee will ohnehin weiter am Termin im Sommer festhalten. "Es ist nicht unmöglich. Natürlich ist es hier im Sommer warm, es ist nicht die beste Zeit für einen Aufenthalt. Aber schauen Sie sich die Weltmeisterschaften in Mexiko, Spanien oder den USA an", sagte OK-Chef Hassan Al Thawadi der L'Equipe.
Im Kern sind sich Spieler, Verbände und Vereine allerdings einig: Eine WM in der brütenden Hitze des Sommers am Persischen Golf ist weder den Fans noch den Profis zuzumuten - auch wenn das katarische Organisationskomitee stets die neue Kühltechnik der Stadien preist.
Und auf Kollisionskurs mit den Olympischen Winterspielen 2022 wird nicht einmal Blatter gehen. Der 77-Jährige Schweizer ist seit 1999 Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee.
Niersbach: "Sommer-WM ausgeschlossen"
"Aus Sicht des DFB ist es ausgeschlossen, dass die WM im Sommer ausgetragen wird", sagte Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, der seit 2013 auch im Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union sitzt: "Es bringt nichts, immer wieder rumzudoktorn. Es kommt darauf an, den berühmten gemeinsamen Nenner zu finden. Es macht keinen Sinn, jetzt zur FIFA zu fahren und eigene Vorschläge zu entwickeln - wir müssen eine gemeinsame europäische Position haben."
Für die Bundesliga scheint Niersbach eine WM in der Winterpause zu präferieren. "Ich fände es sinnvoll, die Saison früher beginnen zu lassen und dann später in die Rückrunde zu starten", sagte er mit Blick auf die Spielzeit 2022/23: "Aber das sind Spielereien."
International ist die "deutsche Position" zudem durch DFL-Boss Christian Seifert in dem Verband Europäischer Professioneller Fußballligen sowie durch Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge in der Europäischen Klub-Vereinigung ECA vertreten. Rummenigge brachte bereits einen Termin im April 2022 ins Gespräch.
Diskussion um Sklaverei geht unter
Warum also Valcke und auch Boyce trotz eigentlich vorhandener Eckdaten für eine sachliche, lautlose Diskussion zum großen Geplänkel ausholten, bleibt fraglich.
Recht dürfte den FIFA-Bossen gewesen sein, dass die seit Monaten eigentlich deutlich wichtigere Diskussion um Tod und Sklaverei auf den WM-Baustellen plötzlich keine Rolle mehr spielte. Den Tausenden Gastarbeitern, deren Situation sich auch durch eine Initiative des DFB mit dem Internationalen Gewerkschaftsbund offenbar langsam bessert, ist herzlich egal, ob im Sommer oder Winter gespielt wird.