Während einer Weltmeisterschaft hat Deutschland bekanntlich "80 Millionen Bundestrainer", wie Jérôme Boateng auch vor der WM 2022 in Katar anmerkte. Jeder ist davon überzeugt, sportliche Entscheidungen besser treffen zu können als im jüngsten Fall Hansi Flick.
Das ist in den anderen großen Nationen freilich nicht anders, so musste bei der erfolgreichen Heim-WM 1998 beispielsweise auch Frankreichs Trainer Aimé Jacquet vor und während des Turniers deutliche Fan-Kritik einstecken - und wurde am Ende doch Weltmeister. Aber der Reihe nach.
So sorgte die Besetzung der Stürmerposition schon bei der Nominierung für Diskussionen in der Öffentlichkeit. Jacquet setzte auf Stéphane Guivarc'h, immerhin amtierender Torschützenkönig in Frankreichs erster Liga und dem UEFA Cup, die Fans wollten lieber andere Namen sehen. Doch der sich seit 1993 im Amt befindende Coach hielt trotz der Kritik an Guivarc'h fest und stellte ihn beim 3:0-Auftaktsieg gegen Südafrika sofort in die Startformation.
Guivarc'h und der steinige Weg zum WM-Titel
Das Vertrauen zurückzahlen konnte der Angreifer von AJ Auxerre allerdings nicht, denn nach 29 Minuten musste er verletzt den Platz verlassen. Guivarc'h fiel für das zweite Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien (4:0) aus, bei der abschließenden Partie gegen Dänemark (2:1) feierte er ein vierminütiges Comeback.
In seiner Abwesenheit glänzten die bei den Anhängern beliebten Youngster Thierry Henry und David Trézéguet und durften im Achtelfinale gegen Paraguay auch als Doppelspitze von Beginn an auflaufen. Frankreich mühte sich gegen den Außenseiter, nach 90 Minuten stand es 0:0, eine Entscheidung musste in der Verlängerung fallen. Guivarc'h wurde übrigens in der Schlussphase eingewechselt und auch wenn Trézéguet den umjubelten Siegtreffer in der 113. Minute auflegte, sollte Guivarc'h ab dem Viertelfinale wieder gesetzt sein.
Der in Concarneau geborene Rechtsfuß stand in allen verbleibenden Partien in der Startelf und holte mit der Équipe Tricolore letztlich den Titel. Treffer beisteuern konnte er jedoch im gesamten Turnier keinen, spätestens im Finale gegen Brasilien sah sich die Öffentlichkeit bestätigt, dass Guivarc'h auf allerhöchstem Niveau Probleme hat.
Guivarc'h wechselt nach der WM 1998 nach England
Nichtsdestotrotz waren die französischen WM-Helden nach dem Turnier gefragt und auch Guivarc'h hatte mehrere Angebote. Aus einem Wechsel zu PSG wurde nichts, stattdessen wechselte er für umgerechnet rund vier Millionen Euro zu Newcastle United in die Premier League. Doch schon wenige Monate später verließ er die Magpies wieder und wurde Jahre später in einer Umfrage der Daily Mail zum schlechtesten Stürmer gewählt, der es je in Englands höchste Spielklasse schaffte.
"Ich habe nur vier Spiele gemacht, zwei als Einwechselspieler. Und ich habe ein Tor gegen Liverpool geschossen, wie kann man mich nur so bewerten?", wehrte sich Guivarc'h. "Ich pfeife auf diese Umfrage. Nach zwei Spielen hat Kenny Dalglish, der mich unter Vertrag genommen hatte und mich an der Seite von Alan Shearer spielen lassen wollte, aufgehört. Ruud Gullit kam und ließ mich sofort fallen. Noch nie hatte mich ein Trainer so behandelt."
Guivarc'h zog weiter zu den Glasgow Rangers und wurde dort prompt Meister und Pokalsieger. Am Saisonende kehrte er dennoch nach Frankreich zurück und spielte dort bis zu seinem Karriereende im Jahr 2002.
Swimming Pools: Guivarc'h steigt in Firma des Vaters ein
Zunächst wollte er nach der Spielerkarriere im Fußball bleiben und stieg als Sportdirektor bei Guingamp ein, doch nach sechs Monaten zerstritt er sich mit dem damaligen Präsidenten und wandte sich dem professionellen ab. Er stieg in der Firma seines Vaters ein, der Swimming Pools aus Polyester verkauft und montiert.
"Ich sagte ihm scherzhaft, dass ich Verkäufer für seine Poolfirma sein könnte. Das hat ihm einen Floh ins Ohr gesetzt. Er rief mich später an, wir sprachen am nächsten Tag miteinander, und jetzt arbeite ich schon seit 14 Jahren für seine Firma", erzählte Guivarc'h Jahre später. "Nur weil ich die WM gewonnen habe, heißt das nicht, dass ich nicht in einem anderen Bereich arbeiten kann."
Er ist ein Familienmensch, der seinem Vater nach dem Tod seiner Mutter eben nicht nur privat, sondern auch beruflich zur Seite stand. Der heute 52-Jährige ist verheiratet, hat drei Kinder und genießt sein Leben fernab der glamourösen Welt des Fußballs.