WM

Held einer Nation - egal wie

Von Jan Dafeld
Andriy Yarmolenko traf gegen Frankreich per Elfmeter zum 2:0-Endstand
© getty

Andriy Yarmolenko ist der große Hoffnungsträger der ukrainischen Nationalmannschaft. Sowohl gegen Frankreich als auch gegen Polen erzielte er wichtige Treffer für sein Land. Auch im Rückspiel der WM-Playoffs liegt eine besondere Verantwortung auf dem Angreifer. Dabei hätte er als Kind bereits beinahe aufgegeben.

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Es können häufig wenige Zentimeter sein, die zwischen einem Helden und einem Deppen der Nation unterscheiden. Spätestens seit dem 15. November 2013 weiß dies auch Andriy Yarmolenko.

Die ukrainische Nationalmannschaft führt im Hinspiel der WM-Playoffs bereits mit 1:0 gegen die klar favorisierten Franzosen. Es ist ein Schock für die Equipe Tricolore. Für die Ukraine hingegen eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel. Ein 2:0 allerdings wäre eine fantastische Ausgangsposition.

Glücklicher Elfmeter

Andriy Yarmolenko hat die Gelegenheit, genau dieses Ergebnis zu erzielen. Elf Meter trennen ihn vom französischen Tor und Keeper Hugo Lloris. Zwölf, dreizehn vielleicht, wenn man die Schritte hinzufügt, die er für seinen Anlauf zurückgeht. Sein Elfmeter ist nicht gut geschossen. Halbhoch zielt er, fast genau in die Mitte. Lloris bekommt eine Hand an den Ball, er prallt gegen die Latte und kommt hinter der Linie auf. Tor. 2:0.

Im Nachhinein interessiert sich niemand mehr dafür, wie der 24-Jährige diesen Elfmeter verwandelte. Er hat den Torwart nicht ausgeguckt, hat den Ball nicht mit an Unhaltbarkeit grenzender Präzision oder Kraft getreten. Größtenteils hatte Yarmolenko wohl einfach Glück. Doch das spielte keine Rolle. Spätestens jetzt ist er der Garant für die wichtigen Tore der Ukraine.

Siegtreffer gegen Polen

Schon im Oktober ist er am vorentscheidenden Spieltag der Gruppe H der Matchwinner im Duell mit Polen. Den Gruppenersten und -vierten trennen an diesem Freitag gerade mal drei Pünktchen. Die Schwergewichte der Division treffen allesamt direkt aufeinander. Die Voraussetzungen sind dabei klar. Ein Sieg bedeutet eine nahezu sichere Teilnahme an der nächsten Runde, eine Niederlage hingegen unnötiges Zittern.

In der Partie tun sich die Ukrainer lange schwer. Die Polen kontrollieren das Spiel und haben fast 70% Ballbesitz. Als in der 64. Minute allerdings Tomasz Brzyski an einer harmlosen Flanke vorbeifliegt, behält Yarmolenko die Nerven. Aus kurzer Distanz schließt er trocken in die linke obere Ecke ab. Dass dies die einzige ukrainische Großchance im Spiel ist und auch bleibt, kümmert niemanden.

Was im Gedächtnis bleibt, sind die erstklassigen Chancen der ukrainischen Nationalmannschaft auf die WM und das gesteigerte Prestige ihres wahrscheinlich besten Spielers: Andriy Yarmolenko. Dabei hätte der in Russland geborene Ukrainer das Fußballspielen bereits im Kindesalter schon fast wieder aufgehört.

Heimweh in der Jugend

Mit vier Jahren ist der kleine Andriy in der gerade erst unabhängig gewordenen Ukraine bereits so mit dem Fußball-Virus infiziert, dass er unbedingt im Fußballverein angemeldet werden will. Yarmolenko dominiert nicht in seiner Altersklasse, doch man merkt ihm sein Talent an. Als er mit dreizehn Jahren an der Fußballakademie von Dynamo Kiew vorspielt, wird er aufgenommen.

Doch es reicht nicht für einen Weg zu den Profis. Nach nicht einmal einem Jahr will Yarmolenko zurück in seine Heimatstadt Chernigov. Der 13-Jährige leidet unter Heimweh und vermisst seine Eltern. Der Klub legt ihm keine Steine in den Weg. Yarmolenko gilt als zu schwach und zu klein, als dass er sich jemals in der besten Akademie des Landes durchsetzen könnte.

Zweite Chance bei Dynamo

Als drei Jahre später gleich mehrere Scouts dem Verein von einem "neuen Shevchenko" in einem Vorort von Kiew berichten, trauen die Verantwortlichen ihren Augen kaum. Unter dem ehemaligen russichen Nationalspieler Waleri Gassajew entwickelt sich Yarmolenko zu einem hervorragenden Stürmer. "Vielleicht hätten wir ihn nicht so einfach ziehen lassen sollen", gibt der ehemalige Dynamo-Star Anatoliy Demyanenko zu.

Doch die Sorgen Kiews sind unbegründet. Yarmolenko ergreift die zweite Chance bei Dynamo und feiert nach zwei Jahren in der Jugend und der zweiten Mannschaft des Vereins sein Debüt bei den Profis. 2009 gelingt dem damals 20-Jährigen endgültig der Durchbruch. In den ersten drei Saisonspielen erzielt er jeweils einen Treffer und legt damit sein Image als Chancentod ab.

Der "neue Shevchenko"

Seitdem galt Yarmolenko bis zu dessen Abgang in diesem Sommer als das Dynamo-Pendant zu Donezks Henrikh Mkhitaryan . Ebenso wie der Dortmunder Neuzugang ist der 24-Jährige in der Offensive variabel einsetzbar. Sowohl auf dem linken als auch auf dem rechten Flügel wird er aufgeboten. Auch als hängende Spitze kommt er zum Einsatz und strahlt aus jeder Position heraus Torgefahr aus.

Mit einer hervorragenden Schnelligkeit und Technik gesegnet, ist er im Konterspiel ein Alptraum für jede gegnerische Verteidigung, kann aber dank seines guten Auges und seines kraftvollen Distanzschusses auch aus der zweiten Reihe gefährlich werden.

Nähere Beobachter des Angreifers überraschte es nicht, dass der FC Liverpool in diesem Sommer großes Interesse am Ukrainer zeigte und angeblich mehr als 20 Millionen Euro für seine Dienste zu zahlen bereit war. Doch Kiew lehnte ab. Es ist die Wichtigkeit und Abhängigkeit für seinen Klub und sein Land, nicht sein Spielstil, die Yarmolenko den Spitznamen "neuer Shevchenko" einbrachten.

Hoffnungsträger im Rückspiel

Auch im Rückspiel gegen die französische Nationalmannschaft lastet eine besondere Verantwortung auf dem Offensivallrounder. Mit Artem Fedetsky und Oleksandr Kucher fallen gleich zwei feste Mitglieder der ukrainischen Viererkette für das Rückspiel aus. Die bombensichere Verteidigung, die die Elf von Mykhaylo Fomenko in der Qualifikation noch auszeichnete, ist daher in Gefahr.

In der Ukraine hofft man daher auf ein frühes Tor im Rückspiel gegen die Franzosen und somit indirekt auch auf Andriy Yarmolenko. Er ist ihr Mann für die wichtigen Treffer. Egal, auf welche Art und Weise sie erzielt werden.

Andriy Yarmolenko im Steckbrief