Eine angemessenere Bühne hätte man sich kaum ausmalen können. Lissabon, das Stadion des Lichts. Der Spielplan verrät, dass sich hier am Freitagabend Portugal und Schweden verabredet haben. Es geht um eines der letzten vier WM-Tickets, die die FIFA an seine europäischen Verbände verteilen wird (20.45 Uhr im LIVE-TICKER).
Für die Portugiesen geht es sogar noch um ein bisschen mehr, nicht nur weil sie als Favorit in dieses Duell gehen. Vor 500 Jahren hat Pedro Alvares Cabral für sie Brasilien entdeckt und es zu einem Ableger Portugals in der Ferne gemacht. So ziemlich alles in Brasilien fußt auf den Ideen und Werten seiner Eroberer.
Sollten die Portugiesen jetzt das größte Einzelsportereignis der Welt in der ehemaligen Kolonie verpassen, käme das einer mittelschweren Katastrophe gleich. Portugal ist die Wiege der Melancholie, die das schwere Gemüt leicht in Pessimismus umschlagen lässt. Nicht umsonst haben viele Portugiesen bereits das Schlimmste im Hinterkopf: Ein Scheitern in den Playoffs.
Ronaldo, hilf!
Ganz offenbar kann es nur einen geben, der die größte Demütigung seit dem verlorenen EM-Finale von 2004 noch abwenden kann. "Portugal hat den Besten der Welt und er muss es der Welt jetzt zeigen: Du musst Gold sein, Ronaldo!", umschreibt die Sport-Tageszeitung "A Bola" die Hoffnungen von rund zehn Millionen Portugiesen.
Die Berichterstattung über das Duell mit den knurrigen Skandinaviern wird vom Tag der Auslosung eingedampft auf die Essenz beider Mannschaften: Cristiano Ronaldo und Zlatan Ibrahimovic. Kein Tag ohne Neuigkeiten, und seien sie noch so belanglos. Als Ronaldo am Montag mit einer leichten Knieverletzung im Gepäck aus Madrid angereist war und die ersten Trainingseinheiten mit der Mannschaft verpasst hatte, hielt das Land den Atem an.
Der Junge von der Blumeninsel Madeira, der in seinen ersten Monaten nach der Übersiedelung aufs Festland wegen seines Akzents nur verspottet wurde, den sie erst Heulsuse nannten, weil er nicht verlieren konnte und später kleine Biene, weil ihn niemand auf dem Fußballplatz mehr einfangen konnte. Dieser Junge soll jetzt die Nation retten.
Neuer Gegenspieler
In seiner eigenen Wahrnehmung ist Ronaldo der beste Fußballspieler der Welt. Seit Jahren. Dass er zuletzt immer wieder Leo Messi den Vortritt lassen musste, hat ihn gekränkt.
"Wenn mich jemand als den Besten der Welt bezeichnen würde, würde mich das nicht überraschen", sagt Ronaldo. Sein großer Widersacher wird heuer bei der Wahl zum Fußballer des Jahres kein Kontrahent auf Augenhöhe oder etwas darüber sein. Messis Seuchenjahr endete am Wochenende mit einem Muskelriss, seine sechste Verletzung in 2013.
Das Problem ist: Es gibt längst einen anderen scharfen Gegenspieler. Einen, der nicht so bescheiden wie Messi ist, der für sich selbst Stimmung macht, der polarisiert und manipuliert. Der Dinge kann, die kein anderer kann. Der Zlatan heißt. Und der am Freitag auf Ronaldo treffen wird.
Portugiesen oder Schweden werden im nächsten Sommer von der Hängematte aus die Weltmeisterschaft verfolgen müssen. Außerhalb der beiden Länder reduziert sich das Augenmerk der großen Mehrheit aber auf die beiden Protagonisten. Einer muss zu Hause bleiben, ist raus, darf nicht dabei sein.
Die beiden Playoff-Partien in Lissabon und am kommenden Dienstag in Solna werden auch mitentscheiden, wer Ende des Jahres den Goldenen Ball in Empfang nehmen darf. Sehr wahrscheinlich darf sich nur der Gewinner dann noch mit Franck Ribery streiten.
Unglaubliche Zahlen
"Der Hahnenkampf des Jahres" ("Berliner Zeitung") ist ein aufgeheiztes Spektakel, dafür haben beide im Vorfeld schon gesorgt. Am Wochenende haben Ronaldo und Ibrahimovic für ihre Klubs je einen Dreierpack erzielt. Ronaldo kommt auf 24 Treffer in 17 Pflichtspielen in dieser Saison. Messis Rekord von 50 Toren in einer Spielzeit wackelt. Ronaldo steht in der Liga derzeit bei 16 nach 13 Spieltagen. Im Kalenderjahr 2013 hat er unglaubliche 62 Tore erzielt, 402 sind es in seiner bisherigen Profikarriere.
"Cristiano spielt auf einem Niveau, das nicht mehr von dieser Welt ist", schüttelte Real-Trainer Carlo Ancelotti nach Ronaldos Dreierpack gegen Real Sociedad den Kopf. "Er trifft mit unglaublicher Beständigkeit und Leichtigkeit. Es ist schwer, dafür Worte zu finden." Das Bernabeu entsandte ebenfalls eine Nachricht.
"Balon de Oro, Cristiano Balon de Oro!". Gebt Ronaldo den Goldenen Ball. "Das ist mir nicht wichtig", behauptet Ronaldo, "ich spreche lieber auf dem Platz. Ich möchte der Mannschaft helfen, nicht mehr." Man würde ihm nur zu gerne glauben.
Selbstbewusst, selbstgerecht, beleidigend
Eiserne Bescheidenheit - ob nun gespielt oder nicht - ist nicht unbedingt die Stärke von Zlatan Ibrahimovic. 15 Tore hat er für Paris erzielt, acht in der Liga, sieben in der Champions League. Natürlich hat er die Schweden mit seinen Toren gegen Österreich erst in die Playoffs geschossen. Natürlich redet alle Welt auch ein Jahr danach noch von seinem kaum zu beschreibenden Treffer gegen England, das Fallrückziehertor aus 28 Metern.
Sein Selbstvertrauen ist unerschütterlich, er garniert es mit selbstgerechten Sprüchen, manchmal auch Beleidigungen. Zlatan will provozieren, einschüchtern, den großen Macker markieren. Weil er es kann. "Wer mich stoppen will, muss mich umbringen", sagt er. "Wer mich kauft, kauft einen Ferrari. Und wer einen Ferrari kauft, fährt auf die Autobahn und gibt Vollgas."
Gekauft haben ihn schon viele. In vier Ländern hat er schon gespielt, die manövrierte Transfermasse beläuft sich mittlerweile auf 170 Millionen Euro. Zwischen 2004 und 2011 ist er mit Ajax Amsterdam, Juventus, Inter, dem FC Barcelona und Milan achtmal in Folge Meister geworden.
Image des Kotzbrockens
Neulich ist er zum achten Mal zu Schwedens Fußballer des Jahres gewählt worden. Beiwerk, eine Routineveranstaltung. Die "Zlatan-Cam" des schwedischen Blattes "Aftonbladet" durfte da noch voll draufhalten. Nun sind die Lichter vorerst erloschen. Die Schweden trainieren unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Für Ronaldo hatte er auch schon einige kleine Spitzen formuliert, wie diese hier vor einigen Jahren - und derzeit mehr als aktuell. "Er verdient es nicht einmal, beim Goldenen Ball unter den Top drei zu sein. Es gibt mindestens zehn bessere Spieler als ihn."
Seine Art ist rau und das soll sie auch bleiben. Er pflegt sein Image als Kotzbrocken zu gerne. Deshalb die vielen verbalen Attacken. "Messi mag vier Goldene Bälle haben - aber ich brauche mich nicht auf einen Kasten oder Stuhl zu stellen, falls ich aus einem Süßigkeitenautomaten Schokolade ziehen möchte." Ibrahimovic fühlt sich wohl in der Rolle des Prolls.
Als Kind hat er in Malmö Fahrräder geklaut, um zum Training zu kommen und dort dann die Väter und Mütter anderer Kinder auf dem Sportplatz beleidigt. Und die Kinder selbstverständlich auch. Heute prangt er auf fünf Sonderbriefmarken der schwedischen Post, mit seinem breiten Zlatan-Grinsen. Kaum einer nimmt ihm seine Art krumm, seine Biographie verkaufte sich 2011 so gut wie kein anderes Buch in Schweden.
Als er in seiner Heimatstadt auf dem Walk of Fame verewigt wurde, kam er in kurzer Sporthose und Badelatschen. Einer kritisch nachfragenden Journalistin warf er in seiner Mailänder Zeit mal sein Haargummi gegen den Kopf, fragte: "Was guckst Du so blöd?" Später empfahl er ihr, "nach Hause in die Küche zum Kochen" zu gehen.
"Zlatan ist kein Schwede"
Jetzt also das Duell mit CR7. Mehr geht Ende des Jahres 2013 auf der Bühne des Weltfußballs nicht. "Die drei Tore sind eine Botschaft des Schweden an Portugal", schrieb "L'Equipe" am Montag. "Ibra ist eine Herbst-Legende. Wenn in Paris die Blätter von den Bäumen fallen, lässt der Schwede Tore regnen."
Sein Mitspieler Per Nilsson hat seine ganz eigene Sicht auf den Kapitän der TreKronor. "Eigentlich ist Zlatan zu gut für die schwedische Nationalmannschaft. Er ist im Moment der vielleicht beste Spieler der Welt, der Mann ist eigentlich kein Schwede. Er macht auch aus schlechten Bällen unglaubliche Sachen."
Was Ronaldo und Ibrahimovic verbindet, ist die offen zur Schau gestellte Arroganz. Vielleicht aus Selbstschutz, vielleicht aus Überzeugung. Nur laut vorgetragen sollte sie sein. "Gott hat mich gesandt, um den Menschen zu zeigen, wie man Fußball spielt." Der Satz könnte von beiden stammen, formuliert hat ihn der junge Ronaldo.
Keine Episode, eine Überraschung muss her
Bei ihm schwingt immer etwas mehr Pathos mit, wirklich direkt geht er niemanden an. Ibrahimovic lässt andere gern schlecht aussehen.
Stephane Henchoz' Verteidigungsstrategie beschrieb er bissig-humorvoll. "Erst ging ich nach links, das machte er auch. Dann ging ich nach rechts, das machte er auch. Dann ging ich wieder nach links - und er ging und kaufte sich eine Wurst." Eine Anekdote, wie er sie schon tausendfach erzählt hat.
Jetzt muss er aber mehr schreiben als eine kleine Episode. Ein Weiterkommen gegen Portugal wäre eine dicke Überraschung, Ibrahimovic hin oder her. Dafür sind die Portugiesen zu ausgeglichen besetzt, die Schweden dagegen vollumfänglich von ihrem Kapitän abhängig.
Der hat sich im Vorfeld auffällig zurückgehalten. Diese eine kleine Spitze, die er sich dann doch gegönnt hat, ist beinahe lächerlich. "Wir wurden Zweiter in einer Gruppe mit den Deutschen - eine der besten Mannschaften Europas. Portugal wurde Zweiter in einer Gruppe, die sie eigentlich hätten gewinnen müssen", sagte Ibrahimovic. Seine Schlussfolgerung: "Ich denke also, wir hätten es mehr verdient, bei der Weltmeisterschaft dabei zu sein. Die WM braucht mehr Zlatan als Ronaldo."
Die WM-Qualifikation im Überblick