WM

"Wir sind der Stolz des Landes"

Von Stefan Rommel
Ermin Bicakcic (l.) ist in Bosnien-Herzegowinas Innenverteidigung eine feste Größe
© getty

2013 war sein Jahr: Mit Eintracht Braunschweig schaffte Ermin Bicakcic den Aufstieg in die Bundesliga - und mit seinem Heimatland Bosnien-Herzegowina die erstmalige Qualifikation für eine WM-Endrunde (Gruppenauslosung Fr., 17 Uhr im LIVE-TICKER). Im Interview spricht der 23-Jährige über die Saison der Eintracht, seinen bitteren Abgang aus Stuttgart und interessante Gruppengegner.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Bicakcic, Eintracht Braunschweig ist kurz vor dem Ende der Hinrunde Letzter, nicht wenige dürften sich bestätigt fühlen, dass die Bundesliga für die Eintracht eine Nummer zu groß ist. Was sagen Sie?

Ermin Bicakcic: Natürlich ist unsere Lage nicht besonders erfreulich. Aber ganz ehrlich: Es war doch klar, dass wir von Anfang an unten drinstehen würden und gegen den Abstieg kämpfen. Insofern ist noch rein gar nichts passiert, der Abstand auf den Relegationsplatz und Platz 15 beträgt drei Punkte. Die kann man in einem Spiel wettmachen.

SPOX: Mittlerweile sind schon 14 Spiele gespielt. Definiert die Mannschaft jedes einzelne Spiel in der Bundesliga immer noch als neue, große Herausforderung?

Bicakcic: Für uns ist es wichtig, in jedes Spiel top vorbereitet zu gehen. Dann wollen wir kratzen und beißen und uns jeden einzelnen Punkt hart erarbeiten. Auf das Gerede der Experten im Vorfeld habe ich keinerlei Wert gelegt. Wenn es um Einschätzungen vor einer Saison geht, dann ist auf einmal jeder ein Experte und redet irgendwas daher. Ich kann aber versprechen, dass mit uns zu rechnen ist und dass wir weiter ein unangenehmer Gegner sein werden. Wir geben die ganze Saison Vollgas und schauen dann im Mai...

SPOX: Die Mannschaft variiert ganz gut und sicher zwischen einzelnen Spielsystemen. Das ist nicht bei jedem Team selbstverständlich - schon gar nicht bei einer Mannschaft, die tief unten drin steht.

Bicakcic: Wir können im 4-2-3-1 oder im 4-3-3 spielen oder mit zwei klassischen Angreifern vorne drin. Die Ausrichtung orientiert sich dabei am Gegner, wir wollen da flexibel bleiben und unsererseits vielleicht auch mal einen Überraschungsmoment setzen. Mir als Innenverteidiger ist es dabei übrigens auch egal, ob ich einen oder zwei Sechser vor mir spielen habe. Entscheidend ist die Mischung aus Offensiv- und Defensivbewegung, nicht unbedingt die Anordnung unserer Spieler.

SPOX: Wie lässt sich Ihr Trainer Torsten Lieberknecht als Typ einordnen?

Bicakcic: Zwischen Kumpeltyp und harter Hund. Unter der Woche ist auch eine gewisse Lockerheit da, es wird gerne gelacht. Je weiter es auf den Spieltag zugeht, desto mehr zieht er aber an. Dann wird er unmissverständlich und verlangt uns alles ab. Aber das muss man auch bringen im Bundesligageschäft, sonst hat man keine Chance. Das Trainerteam bereitet uns jedenfalls immer punktgenau und optimal auf jede Partie vor. An der Umsetzung hapert es manchmal, also im Endeffekt an der Mannschaft.

SPOX: Nach dem 0:4 gegen den VfB schien es beinahe so, als würde der Trainer das Handtuch werfen.

Bicakcic: Die Höhe der Niederlage und die davor gegen Mönchengladbach (1:4, Anm. d Red.) hat schon Spuren hinterlassen bei jedem Einzelnen. Da musste sich jeder hinterfragen, ob er immer alles für den Erfolg gegeben hat, ob die Spielvorbereitung bei jedem gepasst hat. Die Woche nach dem Stuttgart-Spiel mit den Bekundungen der Fans hat uns aber wieder enger zusammengeschweißt.

SPOX: Vom VfB Stuttgart wurden Sie damals sofort verkauft und nicht wie manch anderer erstmal verliehen, um dann gestärkt wieder zurückzukehren. Nicht jeder konnte diese Entscheidung damals nachvollziehen. Hegen Sie noch einen gewissen Groll?

Bicakcic: Ich kann dazu keine Details sagen, nur so viel: Ich bin Fußballprofi, mein Beruf findet auf dem Platz statt. Alles andere habe nicht ich entschieden. Die Entscheidung fiel damals im Trainingslager und sie hat mich hart getroffen. Als ich weg musste, das erste Mal raus aus Stuttgart, habe ich mich auch gefragt, was ich hätte besser oder anders machen können. Warum musst du hier jetzt gehen? Das hat mich emotional sehr berührt. Ich bin und bleibe ein Stuttgarter Junge und hätte es nur zu gerne in meinem Verein auch bei den Profis gepackt. Letztlich war es für mich aber auch wichtig, dann meinen Weg weiterzugehen. Es bringt einen auch weiter, wenn man Umwege gehen muss. Und ich bin mittlerweile hochzufrieden, dass ich hier in Braunschweig arbeiten darf.

SPOX: Können Sie sich eine Rückkehr zum VfB irgendwann vorstellen?

Bicakcic: Man weiß ja nie, was so alles passiert. Aber ich bin glücklich in Braunschweig.

SPOX: Bosnien-Herzegowina hat sich erstmals für ein großes Turnier qualifiziert. Können Sie die Gefühlslage im Land seit der Qualifikation Mitte Oktober beschreiben?

Bicakcic: Die Qualifikation war ein historischer Moment für das ganze Land. Es ist spürbar, dass das Nationalteam und das, was wir erreicht haben, der ganze Stolz des Landes ist. Ich persönlich kann es selbst noch nicht ganz begreifen. Aber je näher die WM rückt, desto mehr wird einem bewusst, was man da erreicht hat. Ich bin mittendrin statt nur dabei, was mich ungemein freut. Das wird ein Riesenschritt in meiner Karriere.

SPOX: Wie weit kann die WM das immer noch zerstrittene Bosnien-Herzegowina zumindest für ein paar Wochen einen?

Bicakcic: Die Situation ist sehr komplex, aber die WM-Qualifikation hat den Menschen nach der tristen Zeit Freude und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit gegeben. Fußball hat dort den höchsten Stellenwert. Die Menschen opfern einiges, um ein Teil dessen sein zu können. Sie geben ihr letztes Geld für Tickets aus, um bei unseren Spielen dabei sein zu können. Mit dem Erreichen der Qualifikation konnten wir ihnen ein wenig zurückgeben.

SPOX: Was würde Ihnen und ganz sicherlich auch vielen Ihrer (Bundesliga-)Kollegen ein Aufeinandertreffen mit Deutschland bedeuten?

Bicakcic: Das wäre ein ganz besonderes Spiel für mich und sicherlich auch für andere Kollegen aus der Bundesliga. Ich bin in Bosnien geboren, aber in Deutschland aufgewachsen. Ich verbinde sehr viel mit beiden Ländern und allein schon deshalb hätte diese Partie einen sehr hohen Stellenwert.

SPOX: Über welchen Gegenspieler würden Sie sich am meisten freuen?

Bicakcic: Bei einer Weltmeisterschaft sind so viele Hochkaräter dabei. Egal auf wen ich treffe oder wen ich bearbeiten muss, es gibt nur Top-Gegenspieler. Ich wüsste jetzt nicht, wen ich da hervorheben sollte.

SPOX: Baumeister des Erfolgs ist Trainer Safet Susic. Der hat als einziger im Tross WM-Erfahrung, war als Spieler des ehemaligen Jugoslawien zweimal bei einer WM dabei. Was konnte er Ihnen schon über die Erfahrungen und Eindrücken eines Endrundenturniers vermitteln und können Sie Ihren Trainer kurz vorstellen, der in Deutschland ja ein recht unbeschriebenes Blatt ist...

Bicakcic: Der Trainer hat uns seine WM-Erfahrungen noch nicht mitgeteilt, aber das wird sicher noch kommen. Safet Susic hat in Bosnien und Frankreich Legendenstatus. Er hat jahrelang bei Paris St. Germain gespielt und wohnt auch noch immer in Paris. Er ist dort sehr anerkannt und sein Name ist jedem ein Begriff. Er ist ein ruhigerer Typ, verglichen mit Torsten Lieberknechts Emotionalität. Susic haut eher punktuell Anweisungen an der Seitenlinie raus.

SPOX: Beim entscheidenden Spiel in Litauen hatten einige bosnische Fans den Spielort verwechselt und sich nach Lettland verirrt. Die historische Partie haben sie somit verpasst. Gibt es Überlegungen, diese Fans bei ihren möglichen Reiseplanungen für Brasilien in welcher Form auch immer zu unterstützen?

Bicakcic: Nicht, dass ich wüsste. Das ist auf jeden Fall eine witzige Geschichte und zeigt, dass unsere Fans überall hinreisen würden. Sogar nach Lettland, wenn das Spiel in Litauen stattfindet.

Das ist Ermin Bicakcic