WM

Auf den Spuren Chapuisats

Von Stefan Rommel
Josip Drmic (r.) kam im Sommer 2013 aus Zürich zum 1. FC Nürnberg
© getty

Josip Drmic könnte sich für die Schweiz zum Hoffnungsträger für die WM entwickeln. Im Abstiegskampf der Bundesliga holt sich der 21-Jährige die nötige Reife. Sein Stil und seine Zahlen erinnern jetzt schon an einen der ganz Großen des Schweizer Fußballs. Dabei war eines seiner Vorbilder ein ganz anderer - und bei Club-Legende Marek Mintal holt er sich den letzten Schliff.

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An seinen Einbürgerungstest erinnert sich Josip Drmic nur noch mit einigem Grausen. Er war 15 Jahre alt, seine Eltern vor seiner Geburt schon aus Kroatien in die Schweiz übergesiedelt.

Drmic hatte "nur" einen kroatischen Pass, wollte aber alsbald Fußball für die Schweiz spielen. Dann kam dieser Test, eine Art mündlicher Prüfung.

"Ich war ganz alleine. Zehn ältere Leute bombardierten mich mit Fragen. Darauf war ich nicht vorbereitet. Es waren auch Fangfragen und provokative Fragen dabei", sagt er über sein erstes Mal.

Dass es dabei nicht blieb, hatte er den gestrengen Prüfern zu verdanken. Gleich zweimal flog der Teenager durch die Inspektion. Erst im dritten Anlauf und mit etwas unbürokratischer Unterstützung gelang das Unterfangen.

Früher Wechsel ins Ausland

In der hitzigen Debatte um das umstrittene Votum der Schweiz "gegen Massenzuwanderung" kursieren seit ein paar Tagen zahlreiche Illustrationen, die die verbohrte Haltung der Schweizer Mehrheit karikieren. Eine davon zeigt die aktuelle Schweizer Nationalmannschaft, wie sie ohne Spieler mit Migrationshintergrund aufgestellt wäre.

Knapp Dreiviertel des Kaders blieben demnach unbesetzt, im letzten WM-Qualifikationsspiel der Eidgenossen gegen Slowenien hatten 15 von 21 Spielern im Kader einen Migrationshintergrund. Josip Drmic war einer von ihnen. Seit Herbst 2012 läuft der 21-Jährige für sein Geburtsland auf. Drmic pendelt dabei zwischen Ersatzbank und Startelf.

Im Sommer hat er sich - auch im Hinblick auf die Weltmeisterschaft zwölf Monate später - für einen Wechsel raus aus der Schweizer Liga und rein in eine der besten Ligen der Welt entschieden. Raus aus dem warmen Nest, dem FC Zürich hatte er sich mit neun Jahren angeschlossen und dort über die Jugendabteilung und die zweite Mannschaft bereits mit 17 Jahren den Sprung zu den Profis geschafft.

Schweizer Staatsbürgerschaft

Zu Hause in Bäch am Zürichsee ging es schon sehr früh nur um Fußball. "Ich kann mich erinnern, wie ich als kleiner Junge mit meinen beiden großen Brüdern bei uns zuhause den Ball hin und her gespielt habe und wir meine Mutter damit geärgert haben", sagt Drmic. Damals war er noch nicht so weit, an die große Karriere zu denken.

Die kam aber recht schnell auf ihn zugerast. Mit dem neuen Pass im Gepäck wurde er für die Schweiz attraktiv, Drmic spielte für die U 18, U 19 und U 21. Er war Schüler auf der Akademie für Leistungssport, er hat den klassischen Weg zum Fußballprofi gewählt: Mit doppeltem Boden, weil nebenbei die Schulkarriere in dem dualen System nicht zu kurz kommen darf.

Carew hatte es ihm angetan

Drmic, klein, wendig, dribbelstark, entwickelte als Teenager ein Faible für den norwegischen Stürmer-Star John Carew. Ein Brecher, knapp zwei Meter groß, 90 Kilo schwer und nur selten filigran. In seinen Anlagen das komplette Gegenteil von Drmic, der trotzdem Gefallen an Carew fand.

"Als ich etwa 15 Jahre alt oder sogar jünger war und ein Champions League-Spiel von Lyon gegen Real Madrid gesehen habe, hat Carew ein überragendes Tor erzielt. Am nächsten Tag hatten wir in der Schule das Thema E-Mails und wir sollten unsere erste E-Mail-Adresse festlegen. Wegen dieses Tores habe ich 'Carew' damals dort eingebaut", erinnert sich Drmic.

"Ich benutze die Adresse heute immer noch, weil man bei der Adresse nicht sofort auf meine Person kommt, das ist ganz angenehm. Und weil mir die Geschichte dazu gefällt."

In Nürnberg schnell Respekt verschafft

In Zürich wird er schnell zum Stammspieler, erzielt für den FCZ in zwei Spielzeiten insgesamt 18 Tore. Nebenbei absolvierte er auf der Geschäftsstelle seine Lehre als Kaufmann. In seinen ersten Monaten musste er sich durchbeißen und auch an seiner Art etwas feilen, die er selbst als "ab und zu pessimistisch" einordnete.

Einmal hat er nach einem Treffer gegen Lausanne die Fans im Stadion und zu Hause vor den TV-Geräten mit dem erhobenen Mittelfinger überrascht. Eine Jugendsünde für ihn, ein dankbares Thema für den Boulevard. "Das ist passiert und war eine große Lehre für mich. Es wird nicht mehr vorkommen."

Der Sprung nach Deutschland und wie er sich beim 1. FC Nürnberg mittlerweile durchgesetzt und Respekt verschafft hat, haben Drmic sehr schnell reifen lassen. Das Heimweh hat er verdrängt, die wichtigsten Bezugspersonen in seinem Leben bleiben aber die Lieben zu Hause.

"Eigentlich sind das alle in meiner Familie und speziell einer meiner Cousins, der so etwas wie mein bester Freund ist. Leider ist der Kontakt seit ich in Nürnberg bin nicht mehr allzu regelmäßig, aber ich weiß, dass ich mich immer an ihn wenden kann", sagt Drmic.

Fast wie Chappi

Momentan bleibt wenig Zeit zum Grübeln oder Nachdenken. Mit dem Club ist das Ziel klar definiert: Nach der missratenen Hinrunde und 17 Spielen ohne Sieg explodierte Drmic zum Auftakt der Rückrunde förmlich, erzielte gegen Hoffenheim und die Hertha je einen Doppelpack.

Nach 20 Spielen steht er schon bei zehn Saisontoren - eine starke Quote für einen, der sein erstes Jahr in der Bundesliga absolviert. Nur Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang ist in dieser Hinsicht noch besser. Schweizer Journalisten haben herausgefunden, dass Drmic' Werte die besten eines Schweizers sind seit jenen von Stephane Chapuisat Anfang der 90er Jahre.

Verbeek findet spezielle Position

Dabei durfte Drmic in der Mehrzahl der Spiele gar nicht auf seiner Lieblingsposition ganz vorne im Sturmzentrum ran. Ex-Trainer Michael Wiesinger parkte Drmic gerne auf dem linken Flügel im Mittelfeld, wo der 21-Jährige zu viel Energie in die Laufarbeit und das Defensivverhalten investieren musste. Oft fehlte es dann an dem entscheidenden Quäntchen an Konzentration beim Torabschluss.

Gertjan Verbeek hat für Drmic eine ähnliche, und doch andere Verwendung gefunden und eine abgewandelte Position geschaffen. Der Schweizer bearbeitet die linke offensive Mittelfeldseite, bisher als eine Art hängende Spitze neben Daniel Ginczek.

Anders als sein Pendant auf der linken Seite Adam Hlousek hat Drmic aber weniger Laufwege in der Defensive zu bewältigen, sondern kann sich speziell auf das Pressing des zweiten Innenverteidigers konzentrieren.

Überstunden mit dem Phantom

Jetzt, da Ginczek mit einem Kreuzbandriss ein halbes Jahr ausfällt, wird Drmic endlich ganz nach vorne rücken. Beim Sieg in Augsburg war es der Schweizer, der Ginczeks Position einnahm. Was auffällt, ist der besondere Ehrgeiz, mit dem Drmic seinen Beruf auslebt: Nach den Einheiten bleibt er immer noch länger auf dem Platz, übt zusammen mit Co-Trainer Marek Mintal den reinen Torabschluss. Dann geht es nicht die technische Ausführung, sondern einzig und allein um das Gefühl, den Ball irgendwie ins Netz zu befördern.

Mit seiner gewitzten Art hat sich Josip Drmic in Nürnberg mittlerweile in die Herzen der Fans gespielt, die Skepsis vergangener Tage hat er längst abgelegt und für eine gesunde Portion Selbstvertrauen und Selbstüberzeugung eingetauscht.

WM-Hoffnung

Vor einigen Wochen hat ihm sein Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld große Hoffnungen gemacht für die WM. Sollte Drmic der guten Vorrunde eine ähnlich starke Rückrunde folgen lassen, wäre er in Brasilien ziemlich sicher dabei. Derzeit beschränkt sich der Kontakt der beiden auf vereinzelte SMS.

Spätestens im Mai, wenn Drmic den Club zum Klassenerhalt geschossen hat und die Schweiz dann wieder ihre Spieler mit Migrationshintergrund zu Hilfe ruft, dürfte sich das ändern. So sieht jedenfalls der Plan aus. Für dessen Umsetzung ist Josip Drmic selbst verantwortlich.

Josip Drmic im Steckbrief

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