Louis van Gaal musste jede Menge Spott ertragen. Als antiquiert war die 5-2-1-2-Formation des niederländischen Nationaltrainers vor dem WM-Auftaktspiel gegen Weltmeister Spanien gescholten worden.
Nach dem 5:1-Triumph von Oranje über die dominierende Nationalmannschaft der letzten sechs Jahre lacht aber niemand mehr.
Van Gaal scheint damit ein altes Bonmot von Otto Rehhagel zu bestätigen: "Modern spielt, wer gewinnt." Trendsetter ist der Bondscoach mit seiner Taktik allerdings bislang nicht, denn ganz neu ist seine Fünferabwehrkette, die sich bei eigenem Ballbesitz und dem Aufrücken der Außenverteidiger ins Mittelfeld wieder in eine Dreierkette verwandelt, nicht.
4-2-3-1 die beliebte Wahl
Anno 2014 sind nach wie vor die Grundausrichtungen 4-2-3-1 und 4-1-4-1 vorherrschend. Titelverteidiger Spanien, Gastgeber Brasilien, Deutschland, Italien, Frankreich und über ein Dutzend weiterer Teams setzen auf eine dieser Spielarten.Ihr Vorzug: Auf dem Papier versprechen sie die größtmögliche Kontrolle des Mittelfeldes.
Hierfür sind auf nahezu jeder Position technisch, taktisch und läuferisch starke Spieler gefragt, die ihren Trainern größtmögliche Flexibilität erlauben.
Diesem Anforderungsprofil ist auch die Position des Mittelstürmers mehr und mehr unterworfen, weswegen unter anderem Spanien und Deutschland die sogenannte "falsche Neun" mit einem gelernten Mittelfeldspieler als Angriffsspitze im Repertoire haben.
Costa nicht der Heilsbringer
Welt- und Europameister Spanien hatte allerdings mit Torjäger Diego Costa vom spanischen Meister Atletico Madrid wieder einen echten Keilstürmer. Gegen Oranje half das der Furia Roja allerdings nichts. Für Bundestrainer Joachim Löw scheint diese hierzulande umstrittene Variante sogar die bevorzugte Option beim Griff nach dem vierten deutschen WM-Titel zu sein.
Doch nicht nur in Deutschland drohen die klassischen Angreifer an Wert zu verlieren. Mit Ausnahme der in der Spitze erstklassig aufgestellten Argentinier um Superstar Lionel Messi, Sergio Agüero und Gonzalo Higuain spielt ein Dreiersturm kaum noch eine Rolle.
Eine, maximal zwei Spitzen prägen das Bild. Tore müssen damit keineswegs ausbleiben, wie nicht zuletzt das niederländische Schützenfest gegen Spanien bewiesen hat.
Neuner-Riegel auch möglich
Fußballtaktik ist ohnehin immer auch eine Frage der Interpretation und der Situation. Defensiv eingestellte Mannschaften interpretieren ein 4-2-3-1-System nicht selten als "Neuner-Riegel" mit einer einsamen Sturmspitze, die von den Kollegen allenfalls sporadisch unterstützt wird.
Ganz anders sieht es bei den spielstarken Teams aus. Die deutsche Nationalelf etwa greift aus einem 4-2-3-1-System heraus nicht selten mit gleich mindestens vier Spielern an.
Hierbei mutieren die Außen der offensiven Viererreihe unter Umständen sogar zu Außenstürmern, die Außenverteidiger rücken ins Mittelfeld nach. Bei Ballverlust setzt mit dem Gegenpressing weit in der gegnerischen Hälfte der sofortige Versuch der Ball-Rückeroberung ein.
Doppel-Sechs oder "spanische Variante"?
Entscheidend für die Spielphilosophie einer Mannschaft ist die Besetzung der Mittelfeldzentrale. Die sogenannte "Doppel-Sechs" oder aber die ursprünglich "spanische" Variante mit einem einzelnen Abräumer vor der Abwehr gelten als proaktiv und mutig.
Ein kompakter Dreierverbund, der im Turnier beispielsweise von den Griechen praktiziert wurde, verheißt dagegen eine auf Sicherung bedachte Spielweise. Dass diese keineswegs zum Erfolg führen muss, belegen die nackten Zahlen: Griechenland war beim 0:3 gegen die Kolumbianer, die auf ein 4-2-3-1 setzten, auch in der Defensive unterlegen.
Eine weitere Statistik der noch jungen Weltmeisterschaft verheißt eine Rückkehr zu alten Tugenden: Fast jedes dritte Tor resultierte bislang aus Standardsituationen - für den Ex-Nationaltorhüter und ZDF-Experten Oliver Kahn keine Überraschung:
"Standardsituationen sind ein unglaublich wichtiges Mittel, gerade dann, wenn man das Tempo aufgrund der klimatischen Bedingungen nicht permanent hochhalten kann." Modern ist eben, was erfolgreich ist.
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