US-Präsident Barack Obama hatte die Flimmerkiste an Bord seiner Air Force One längst ausgeschaltet, da platzte es aus Jürgen Klinsmann heraus. "U-S-A, U-S-A", brüllte der deutsche Trainer zusammen mit Tausenden amerikanischen Fans und reckte seine geballten Fäuste immer wieder in den Abendhimmel von Recife.
Es war nicht bloß die pure Freude über den geglückten Achtelfinal-Einzug seines Teams. Denn all die Anspannung der letzten Tage, Wochen, gar Monate fand endlich ihr Ventil.
"Flüge nach dem 13. Juli"
"Es wurde viel Wind gemacht über die Monate. Ich bin froh, dass das jetzt abgehakt ist. Das beschäftigt schließlich auch die Familie", sagte Klinsmann später mit einem erschöpften Lächeln. Das enorme Bohei um das Wiedersehen mit seiner früheren Mannschaft, allen voran mit seinem damaligen Assistenten Joachim Löw, hatten ihn am Ende sichtlich geschlaucht.
Doch schon am Freitag richtete Klinsmann den Blick nach vorn. Auf dem Trainingsgelände des FC São Paulo sprach der 49 Jahre alte Schwabe ganz unverblümt sogar vom Finale. "Ich möchte auf Nummer sicher gehen und habe heute alle Spieler gefragt, ob sie ihre Flüge nach dem 13. Juli gebucht haben", sagte Klinsmann und plötzlich fingen seine blauen Augen wieder zu leuchten an. So müsse man eine WM angehen. "Flüge kann man immer umbuchen", sagte der Weltmeister von 1990.
"Do or die"
Dass in der Runde der letzten 16 am Dienstag (22.00 Uhr/MESZ) in Salvador mit Belgien einer der WM-Geheimfavoriten wartet, ist dem einstigen Sonnyboy des deutschen Fußballs herzlich egal. "Das Ziel war nicht, in die K.o.-Runde zu kommen. Jetzt geht es um 'do or die'. Wir sind dazu in der Lage, Belgien zu schlagen", sagte Klinsmann vor mehr als 20 Kamera-Teams. Bei den Buchmachern wird das US-Team allerdings als Außenseiter geführt. Sportwettenanbieter bwin sieht Belgien (18:10) klar vor den Amerikanern (46:10).
Im Spiel gegen das deutsche Team (0:1) konnte "Soccer USA" zwar nicht ganz an die Leistungen der vorherigen Partien gegen Ghana (2:1) und vor allem gegen Portugal (2:2) anknüpfen - doch das war für Klinsmann zweitrangig. "Natürlich können wir es besser, aber wir haben die Gruppe überstanden. Das zählt." Und auch der starke Jermaine Jones, der trotz erlittenen Nasenbeinbruchs gegen Belgien auflaufen kann, meinte: "Wir hatten unsere Chancen, aber im Großen und Ganzen sind wir zufrieden. Es ist so gesehen eine schöne Niederlage. Wir sind weiter, das war unser großes Ziel."
Selbst der Gegner zog am späten Donnerstagabend den Hut vor den bisherigen Auftritten des US-Teams. "Das Weiterkommen ist ein großer Sieg für den amerikanischen Fußball", sagte der deutsche Nationalspieler Lukas Podolski und lobte die Arbeit seines früheren Trainers in den höchsten Tönen: "Auch gegen uns haben sie ziemlich stark gespielt."
"Todesgruppe G"
Podolski ist einer von fünf Spielern (Schweinsteiger, Lahm, Mertesacker und Klose), die bereits beim Sommermärchen 2006 unter dem damaligen Bundestrainer Klinsmann auf dem Platz gestanden hatten. Sie alle wurden von ihrem früheren Mentor nach der Partie am Donnerstag geherzt und gedrückt.
Egal, wie es in Brasilien weitergeht - Klinsmann darf die WM schon jetzt als persönlichen Erfolg werten. Mit dem Achtelfinal-Einzug in der "Todesgruppe G" hatte vor dem Turnier kaum jemand in den Staaten gerechnet - und so löste das unerwartete Weiterkommen nicht bloß bei Präsident Obama, der die Partie gegen Deutschland im Flieger schaute, wahre Jubelstürme aus.
"Die Amerikaner marschieren in die K.o.-Phase", titelte die New York Times. Und die Washington Post schrieb: "Gestolpert, aber weiter. Freude in Brasilien und in der Heimat."
Soldaten feiern mit
Tatsächlich feierten Tausende Fans auf Public-Viewing-Veranstaltungen in ganz Amerika und selbst die Soldaten in Afghanistan feierten Klinsmann und seine "deutsch-amerikanische" Rasselbande bei den drei teilweise begeisternden Vorrunden-Auftritten in Brasilien. Der WM-Virus hat die USA rechtzeitig zum Beginn der K.o.-Phase erreicht.
Auch bei den großen Zeitungen ist der World Cup inzwischen "front page news". Plötzlich sei das ganze Land "fußballverrückt" geworden, heißt es nicht nur auf den Sportseiten, sondern in Aufmachern und Leitartikeln. Spätestens das dramatische Remis gegen Portugal im zweiten Gruppenspiel war so etwas wie ein Erweckungserlebnis. Durchschnittlich 18,2 Millionen Menschen sahen auf ESPN zu, so viele wie nie in den USA bei einem Fußballspiel.