WM

"Diese WM hat Abbruch-Potenzial"

SID
Pfannenstiel ist der einzige Fußballer der auf allen Kontinenten spielte
© getty

Weltenbummler und Brasilien-Experte Lutz Pfannenstiel hat Sorge vor einem gewaltsamen und vorzeitigen Ende der Fußball-WM in Brasilien. "Diese WM wird entweder die tollste aller Zeiten, oder der größte Albtraum", sagte der 41-Jährige im Interview mit dem "Sport-Informations-Dienst" (SID).

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Lutz Pfannenstiel steht nicht im Verdacht, Dinge zu dramatisieren. In Singapur saß er 2001 wegen vermeintlicher Spielmanipulation für 101 Tage in Haft, in England musste er dreimal auf dem Platz wiederbelebt werden, und im Rahmen seines Hilfsprojekts für Suppenküchen in Namibia sieht er regelmäßig große Armut.

Den Horror-Szenarien vor der WM 2010 in Südafrika war Pfannenstiel entgegengetreten, doch die am Donnerstag beginnende Endrunde in Brasilien bereitet ihm ernsthafte Sorgen.

"Diese WM wird entweder die tollste aller Zeiten. Oder der größte Albtraum", sagte der 41-Jährige im Interview: "Ich sage sogar: Wenn die Behörden gravierende Fehler machen sollten, hat diese WM Abbruchpotenzial. Ich hoffe nicht, dass es so kommt, und ich glaube es auch nicht. Aber das Potenzial ist da."

Einzige Deutsche in der ersten brasilianischen Liga

Und Pfannenstiel weiß, wovon er spricht. Er steht im "Guinness Buch der Rekorde" als einziger Profifußballer, der auf allen sechs FIFA-Kontinenten gespielt hat. Er ist der einzige Deutsche, der je in der ersten brasilianischen Liga gespielt hat. Und er verbrachte für Dokumentationen der BBC und vor allem des ZDF sechs der letzten zwölf Monate im WM-Land.

Dabei ging er mit Bayern-Star Dante zum Friseur und in ein Kinderheim, feierte mit Zico Karneval, ging mit den Bundesliga-Stars Raffael und Ronny in Fortaleza golfen, picknickte mit dem früheren Dortmunder Dédé an einem Wasserfall bei Belo Horizonte und wurde vom einstigen Bundesliga-Torschützenkönig Aílton in Cuiabá sitzen gelassen.

Pfannenstiel, der 2008 für den brasilianischen Erstligisten CA Hermann Aichinger das Tor hütete, ist sich nach all seinen Erfahrungen im "Land zum Verlieben" zu 100 Prozent sicher: "Die Demonstranten werden auf die Plattform WM nicht verzichten und alles tun, um gehört zu werden." Das Problem sei auch, "dass die Polizei nicht gerade zimperlich ist. Und wenn zwei aggressive Seiten aufeinandertreffen, kann es richtig krachen."

Kritik an Valcke-Aussagen

Die Aussage von FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke, viele Menschen seien nur von den sozialen Medien aufgehetzt und wüssten gar nicht, wofür sie auf die Straße gehen, bezeichnete Pfannenstiel als "ganz schwach. Zumal die Leute, die auf der Straße demonstrieren, zu 90 Prozent gebildete Menschen aus der Mittelschicht sind. Sie leiden keinen Hunger, aber sie erkennen, dass einiges falsch läuft im Lande." In den Bereichen Bildung, Infrastruktur und Gesundheitswesen gebe es "durchaus Grund, auf die Straße zu gehen".

Deshalb unterstützt der Weltenbummler, im "Hauptjob" derzeit Scout und Beauftragter für internationale Beziehungen beim Bundesligisten 1899 Hoffenheim, "friedliche Demonstrationen absolut".

Die Fans dürften "niemals den Abenteurer spielen oder versuchen, auf irgendwelchen Abwegen Brasilien zu erkunden". Sie seien aber sicher, "solange sie nicht aus Unwissenheit oder Dummheit ohne Absicherung in eine Favela gehen, vor allem im Nordosten."

Sportlich sind die Gastgeber für Pfannenstiel derweil der Top-Favorit. "Die Spieler sind jung, heiß und haben Biss", sagte er: "Ihr einziges Problem ist der große Druck. Seit dem Gewinn des Confed-Cups erwartet jeder Straßenhund in Brasilien den Titel."

Für die meisten anderen sei das Klima das große Problem. "Das Thema wird komplett unterschätzt. Wenn man in Manaus oder Cuiabá zur Mittagszeit spielen muss, fühlt es sich an, als ob man im Gewächshaus sitzt. Das ist ein echtes Martyrium." Für Deutschland dürfe das Klima "aber keine Ausrede sein. Alle drei Spiele in derselben Klimazone bestreiten zu dürfen, ist ein riesiger Vorteil. Außerdem liegt Deutschland nicht in der Arktis, hier sind es im Sommer auch mal knapp 30 Grad."

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