Die Selecao und Superstar Neymar sind im Achtelfinal-Kracher gegen Chile zum Siegen verdammt. Alles andere als ein Weiterkommen gegen den Lieblingsgegner im ersten Südamerika-Duell der WM würde ganz Brasilien in ein Tal der Tränen stürzen. Doch der Respekt vor den Kriegern der La Roja um Arturo Vidal und Alexis Sanchez ist im Lager des Top-Favoriten gewaltig.
"Hätte ich die Wahl gehabt, ich hätte sie sicher nicht ausgesucht", sagt Brasiliens Trainer Luiz Felipe Scolari. Gegen die extrem aggressiven Quälgeister des Rivalen setzt der 65-Jährige wieder alle Hoffnungen auf sein Wunderkind Neymar. Der erst 22 Jahre alte Star des FC Barcelona hielt dem riesigen Erwartungsdruck der 200 Millionen Fußball-Fans im Gastgeberland bisher stand und sorgte im Alleingang für die wenigen lichten Momente des Teams - vier der sieben Treffer gehen auf das Konto des Hoffnungsträgers. Der Hype um den Mädchen-Schwarm mit der merkwürdigen Frisur könnte größer nicht sein.
Auch Ronaldo, der Brasilien 2002 gegen Deutschland zum fünften und bisher letzten Titel geschossen hatte, ist von Neymars Zauber begeistert. "Neymar ist herausragend, meiner Meinung nach der beste Spieler bei der WM", sagt Il Fenomeno: "Er macht keine Fehler, hat sich als sehr erwachsen gezeigt, ist technisch unglaublich stark. Ich habe von Messi noch nicht so viel gesehen, aber Neymar ist der Mann."
"Wollen nicht gegen Brasilien spielen"
Doch bei aller Bewunderung für Neymar: Er ist auch der wunde Punkt der Selecao. Wenn Chile den Zauberkünstler aus dem Spiel nimmt, ist von Brasilien nicht mehr viel übrig. "Wir wollten nicht gegen Brasilien spielen", sagt der frühere Leverkusener Arturo Vidal: "Aber Brasilien wollte noch viel weniger gegen uns spielen. Weil wir eine Mannschaft sind wie ein Selbstmord-Kommando. Wir geben unser Leben für diese WM." Die Mannschaft von Trainer Jorge Sampaoli fiel bisher wie ein wild gewordener Moskito-Schwarm über seine Gegner her und will endlich ihr Brasilien-Trauma ablegen.
Chile konnte sich bisher dreimal für die K.o.-Runde einer WM qualifizieren und scheiterte dann immer an - Brasilien. 1962 unterlag La Roja bei seiner Heim-WM im Halbfinale 2:4. Zuletzt musste man sich 1998 und 2010 im Achtelfinale geschlagen geben (1:4 und 0:3). "Brasilien war schon oft Chiles Nemesis, aber der Fußball ändert sich", sagt Vidal: "Wir sind eine neue Generation von Spielern."
Polizei bestens gerüstet
Zudem kann Chile, das sein Trainingscamp vor den Toren des Spielortes Belo Horizontes aufgeschlagen hat, auf die Unterstützung von rund 30.000 Fans bauen. Die Polizei ist in Alarmbereitschaft und versucht mit rund 15.000 Beamten die Sicherheit bei diesem Traditionsduell zu gewähren. Tickets werden auf dem Schwarzmarkt für rund 2500 US-Dollar gehandelt.
Der ganze Rummel, die Aufregung um eine vermeintliche Ex-Geliebte, die sich für den brasilianischen Playboy ausgezogen hat, scheint Neymar indes nicht zu belasten. Der Angreifer telefonierte bis zuletzt mit Chiles Sturmhoffnung Sanchez, seinem Kollegen in Barcelona. "Ich telefoniere immer mit Alexis", sagt Neymar bestens gelaunt und warnt vor seinem Kumpel: "Er ist ein Star, ich bewundere ihn. Wir dürfen ihm keinen Raum lassen." Denn auch Neymar weiß: Der Hype um ihn kann ganz schnell im Super-GAU enden.