"Lynchjustiz!", "Hinrichtung!", "Skandal!" Nach dem WM-Ausschluss von Torjäger Luis Suárez stürmt Uruguay wütend in das WM-Achtelfinale gegen Kolumbien am Samstag. Imaginärer Gegner im Maracana sind dann auch die "Regelherren" des Fußball-Weltverbandes FIFA.
"Nichts kann uns stoppen", brüllte Kapitän Diego Lugano den "Verschwörern" entgegen - völlig außer sich über das Urteil der Disziplinarkommission, die "Vampiro" Suarez nach dessen Beiß-Attacke gegen den Italiener Giorgio Chiellini für neun Spiele gesperrt hatte. "Die das Sagen haben, befehlen, die Starken sind die Starken ... und über uns richten sie nicht mit dem gleichen Gesetz", wetterte der 33-Jährige weiter.
Lugano traf damit den Nerv des Drei-Millionen-Volkes am Rio de la Plata. Seine Mitspieler wetterten ebenfalls. "Eine Lynchjustiz im 21. Jahrhundert", schimpfte Horacio Yanes. "Es fehlt nur der elektrische Stuhl. Eine Sache ist eine Strafe, die andere eine Hinrichtung", meinte Sergio Abreu. "Wenn die FIFA auch gegen sich selber so streng wäre wie gegen Luis, bliebe niemand in seinem Amt", sagte Ney Castillo. Und in Uruguay polterte die Politprominenz.
Wiederholung von 1950
Der Verband hat bereits Einspruch gegen die Neun-Spiele-Sperre, die Geldstrafe in Höhe von 100.000 Franken (82.000 Euro) sowie die viermonatige Verbannung von Fußball-Aktivitäten eingelegt. Bei der WM wird Suarez allerdings auch im Erfolgsfall nicht mehr auflaufen. Er ist schon abgereist, bei seiner Ankunft in einem Privatjet in Montevideo am Donnerstagabend wartete eine Fan-Menge auf den Volkshelden.
Der Übeltäter will indes persönlich gegen das Urteil vorgehen. Im fernen Barcelona stellt sein Berater Pere Guardiola, Bruder von Bayern-Trainer Pep, bereits ein Anwalt-Team zusammen. Mit dabei: Alejandro Balbi, der Uruguays Verband in Rechtssachen vertritt und bei der FIFA-Anhörung in Rio de Janeiro vor Ort war. Weil der Jurist aber nur mit dem Personalausweis in Brasilien eingereist war, musste ihm das Konsulat in Rio für den Flug über den Atlantik über Nacht noch eilig einen neuen Reisepass ausstellen. Aus dem Fall Suárez ist längst eine Staatsaffäre geworden.
Nach dem Verlust des "Pistolero", der den zweimaligen Weltmeister nach der Auftaktniederlage gegen Costa Rica (1:3) mit seinen beiden Toren beim 2:1 gegen England erst wieder ins Turnier zurückgeschossen hatte, hofft Trainer Óscar Tabarez auf eine Trotzreaktion. So wie 1950, als Uruguay just im Maracana Brasilien den schon bereitgestellten WM-Pokal entriss.
Auf den Spuren von Valderrama
Mehr Gedanken als über die Historie muss sich Tabárez über die Aufstellung machen. Altstar Diego Forlán wäre der logische Ersatz für Suarez. Die Internetgemeinde hat jedoch eine Lösung für das Problem parat. "Wir sind jetzt alle Suarez!", schreiben die Fans bei Twitter und praktizieren über die Grenze zu Brasilien hinweg den Schulterschluss mit ihren Lieblingen. Die sollen jetzt mit "elfmal Suárez" gegen die ungerechte Welt und die böse FIFA anrennen.
Gegner Kolumbien will sich vor dem Südamerika-Duell von der Aufregung beim Copa-America-Champion erst gar nicht beeinflussen lassen. "Er ist schon wichtig für Uruguay, aber wir bereiten uns auf ein Spiel gegen Uruguay vor, nicht auf eins gegen ihn", kommentierte Mittelfeldspieler Fredy Guarín.
Zumal die Cafeteros sich bestens mit dem Ausfall eines Superstars auskennnen. Coach José Pekerman fand für den Verlust des verletzten Torgaranten Radamel Falcao schon in der Vorrunde taktisch und personell Antworten. Eine davon ist James Rodríguez, mit drei Toren neuer "El Pibe" (Junge) und Nachfolger des legendären Carlos Valderrama. Der hatte Kolumbien 1990 zum bisher einzigen Mal ins Achtelfinale geführt, scheiterte damals aber an Kamerun.