Das Achtelfinale zwischen Deutschland und Algerien hat Karim Benzema in einen moralischen Konflikt gestürzt. Zum einen dürfte er mit den Afrikanern gezittert haben, schließlich ist es das Heimatland seiner Eltern. Und zum anderen dürfte er froh sein, dass sich Deutschland durchgesetzt hat und er jetzt nicht gegen Algerien antreten muss.
"Algerien ist mein Land, Frankreich ist Sport", hat Benzema über seine Beziehung zu seinen beiden Nationen einmal gesagt. Das kam natürlich nicht gut an bei den Franzosen. Ebenso wenig seine Weigerung, die Hymne vor den Spielen zu singen.
Franzose oder Araber
Frankreich ist zwar ein Multi-Kulti-Land und aufgrund der Kolonialzeit mit vielen afrikanischen Einwanderern. Aber das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Nationalitäten gestaltet sich nicht immer einfach. Die sozialen Unterschiede und die daraus resultierenden Brennpunkt sind enorm.
Auf diesem Boden hat sich in der Grande Nation ein starker rechtspopulistischer Flügel entwickelt, der selbst Stimmung macht gegen Nationalspieler des eigenen Landes - und damit auch noch punkten kann.
"Treffe ich, bin ich Franzose. Treffe ich nicht, bin ich Araber", sagt Benzema dazu. Er hat sich mit seiner Situation arrangiert, er ist ein Sinnbild der Errungenschaften und Probleme der Republik. Er weiß, dass er vermutlich nie der große Liebling der Nation wird, außer er schießt Frankreich zum WM-Titel. Aber selbst dann wäre es vermutlich mehr Respekt und Anerkennung als wahre Liebe.
2010 von Domenech aussortiert
Dabei trägt Benzema nicht mal den Makel der missratenen WM 2010 in Südafrika, als die Spieler angeführt von Franck Ribery und Patrice Evra gegen Trainer Raymond Domenech rebellierten. Das Fiasko von Knysna hält sich zwar ständig im Umkreis der französischen Nationalmannschaft, aber Benzema trägt diese Last nicht auch noch auf seinen breiten Schultern.
Er war vor vier Jahren nicht dabei, Domenech hatte ihn nicht nominiert. Dabei galt er schon damals als größtes Talent im französischen Fußball. Als legitimer Nachfolger von Thierry Henry. Aber nach seinem Wechsel für 35 Millionen Euro 2009 von Olympique Lyon zu Real Madrid stockte die Karriere.
Mit 21 Jahren ließ er sich vom Ruhm ablenken, kostete das Nachtleben in Spaniens Hauptstadt zu sehr aus und stagnierte im sportlichen Bereich. Die Affäre um eine minderjährige Prostituierte, in die er und Franck Ribery verwickelt waren, schadete seinem Image ebenfalls.
Als Mensch gereift
Benzema hat sich aus diesem Loch herausgearbeitet, er ist reifer geworden. Er hat geheiratet und eine Tochter bekommen. Die Clubs in Madrid sind nicht mehr sein zuhause. Dafür hat er im Verein den entscheidenden Schritt in seiner Karriere gemacht, den ihm alle schon viel früher zugetraut hatten.
Trainer Carlo Ancelotti hat ihm vor der Saison das Vertrauen ausgesprochen und auch damit gestärkt, dass er Gonzalo Higuain ziehen hat lassen. Benzema hat zwar auch in den Jahren zuvor reichlich Tore geschossen für die Königlichen, aber Trainer Jose Mourinho hatte eine Vorliebe für Higuain.
Im von Ancelotti eingeführten 4-3-3 ist Benzema gesetzt, und das nicht nur als klassischer Mittelstürmer, sondern als Hybrid zwischen Torjäger und Spielmacher. Auch der Abschied von Mesut Özil hat ihm in dieser Hinsicht geholfen.
Zidane der Schlüssel zum Erfolg
Benzema war schon immer ein Angreifer, der mehr drauf hatte, als nur Tore schießen. Er ist ein Kombinationsspieler, kann dribbeln und entscheidenden Pässe spielen. Er ist der optimale Stürmer für das Umschaltspiel Madrids und Frankreichs.
Dass er das nun alles zeigen kann, hängt an einem ehemaligen großartigen französischen Nationalspieler. "Keine Frage, Zidane ist der Schlüssel zu meinem derzeitigen Erfolg", sagt Benzema.
Zinedine Zidane war in der abgelaufenen Saison Ancelottis Assistent und hat sich intensiv um seinen Landsmann gekümmert. Zidane konnte nachfühlen, wie es Benzema geht. Auch er ist der Sohn algerischer Einwanderer, auch er hat die Hymne nicht gesungen und wurde deshalb angefeindet, auch er hat in Frankreich lange um die Anerkennung kämpfen müssen.
Auf links oder im Zentrum?
Zidane hat Frankreich 1998 mit 26 Jahren zum Weltmeistertitel im eigenen Land geführt, nachdem er wegen seiner Roten Karte in der Vorrunde harsche Kritik hat einstecken müssen. Auch Benzema ist aktuell 26 Jahre alt, die WM läuft bisher sehr gut für ihn. Er hat drei Tore geschossen und zwei weitere vorbereitet.
Mit etwas Glück könnte er schon bei sechs Treffern stehen. Ein Tor hat ihm die FIFA aberkannt und als Eigentor des honduranischen Torhüters gewertet, sei Traumtor gegen die Schweiz zählte nicht, weil der Schiedsrichter mitten in der Aktion abpfiff und er verschoss noch einen Elfmeter.
Im Achtelfinale gegen Nigeria blieb seine Wirkung lange Zeit gering. Trainer Didier Deschamps hatte wie schon beim 5:2 über die Schweiz auf Olivier Giroud im Sturmzentrum gesetzt und Benzema auf den linken Flügel geschoben, wo der Trainer seit der Verletzung von Franck Ribery noch nach der besten Lösung sucht. Erst als Giroud ausgewechselt wurde und Benzema ins Zentrum rückte, wurde Frankreich stärker und setzte sich schließlich mit 2:0 durch.
Gegen Deutschland ist wieder von Beginn an mit ihm im Zentrum zu rechnen. Er wird die Hymne nicht singen, aber auf dem Platz alles geben, sich für Frankreich zerreißen und versuchen, der deutschen Abwehr Probleme zu bereiten. Er spielt dann auch für die Ehre Algeriens.