Es ist bislang die WM der jungen Stars. Neymar (22 Jahre alt), James Rodriguez (22), Thomas Müller (24) oder Kevin de Bruyne (23) gehören zu den prägenden Gesichtern des Turniers und begeistern mit spektakulären Offensivauftritten.
Wie der Gegenpol dazu wirkt Mario Yepes. Für den 38-jährigen kolumbianischen Innenverteidiger es zwar, ähnlich wie für einige der Youngster, die erste WM, ansonsten hat er aber nicht viel mit ihnen gemeinsam. Bis auf eines: Yepes spielt bislang eine herausragende Weltmeisterschaft und scheint sich von Spiel zu Spiel zu steigern.
"Ich bin vielleicht der älteste Feldspieler der WM. Aber ich fühle ich nicht so alt", wird er folgerichtig nicht müde zu betonen: "Ich akzeptiere es, dass ich ein erfahrener Spieler im Herzen dieses Teams bin, aber ich sehe mich als einer von ihnen und nichts anderes."
"Der Inbegriff des Wortes Erfahrung"
Trotz seines Alters und der zum Teil schwierigen klimatischen Bedingungen ist Yepes für sein Team unersetzlich. "Mario hat die Persönlichkeit, um Kapitän dieses Teams zu sein, denn er ist mental stark und ein Vorbild für alle seine Mitspieler", lobte Trainer Jose Pekerman zuletzt. Gegen Didier Drogba lieferte sich der Abwehrmann im Gruppenspiel packende Duelle und im Achtelfinale gegen Uruguay strahlte er gelassen die pure Ruhe aus.
Auf dem Platz hat es der Routinier gelernt, seine Kräfte geschickt einzuteilen und mit gutem Stellungsspiel Kilometer zu sparen. Gleichzeitig dirigiert er die Abwehr und ist der unumstrittene Boss auf dem Platz. "Yepes ist der Inbergriff des Wortes Erfahrung. Er ist unser Kapitän, wir haben enorm viel Respekt vor ihm, und jedes Mal, wenn er spielt, gibt er alles auf dem Platz", huldigte Kolumbiens Torhüter David Ospina dem 38-Jährigen.
Revolte vor sieben Jahren
Dabei ist es kein Wunder, dass die Mannschaft, deren Altersdurchschnitt Yepes im Achtelfinale um zehn Jahre übertraf, Respekt vor ihrem Anführer hat. Der Innenverteidiger war 2001 bereits dabei, als Kolumbien seine bislang einzige Südamerika-Meisterschaft gewann und steht bei 101 Länderspielen. Mit dem Viertelfinale gegen Brasilien wird er Leonel Alvarez in Kolumbiens Rekordliste überholen.
1999 debütierte Yepes beim 3:3 gegen Deutschland - und flog nach Einwechslung zur Halbzeit mit Gelb-Rot vom Platz. Um das in den richtigen Zusammenhang zu setzen: Die deutschen Treffer erzielten Michael Preetz und Marco Bode.
Doch Yepes könnte bereits Rekord-Nationalspieler sein, hätte er sich nicht mit dem Verband angelegt: Während der Copa America 2007 führte er einen Aufstand gegen Nationaltrainer Jorge Luis Pinto an, der wegen seiner harten Trainingsmethoden den Unmut seiner Mannschaft auf sich gezogen hatte. Danach verweigerte er die Teilnahme an Länderspielen, bis Pinto 2008 gefeuert wurde.
Karrierestart als Stürmer
Seine stürmischen Tage hat der charismatische Abwehrmann aber hinter sich. In Brasilien glänzt "Captain Jack Sparrow", wie er in Italien wegen seiner Autorität und dem verwegenen Aussehen genannt wird, vor allem mit Ruhe und Gelassenheit sowie als Dirigent der Defensive.
Angesichts der Eindrücke bei der WM scheint es heute kaum vorstellbar, dass der Haudegen einst seine Karriere als Stürmer begann. Schnell entdeckten die Verantwortlichen beim kolumbianischen Klub Cortulua, im Jahr 1994, also zwei Jahre nach Neymars Geburt, Yepes' erste Profistation, aber die Zweikampfqualitäten des Linksfußes und beorderten ihn in die Abwehr - als Libero, eine längst ausgestorbene Position.
Über den großen argentinischen Klub River Plate folgte 2002 der Sprung zum FC Nantes nach Europa sowie zwei Jahre später für zehn Millionen Euro der Wechsel zu Paris St. Germain. Dort erlebte er vier gute Jahre mit insgesamt zwei Titeln und fiel bereits damals durch seine herausragende Fitness auf.
Zweiter Frühling in Bella Italia
Doch nach vier Jahren war die Zeit für den Abschied gekommen. Der Kolumbianer hatte schon in den zwei Jahren zuvor ein schwieriges Verhältnis zu Trainer Guy Lacombe gehabt und den Coach öffentlich kritisiert, 2008 folgte schließlich der Wechsel nach Italien. Über Chievo Verona landete er schließlich beim AC Milan, wo er von 2010 bis 2013 trotz seines hohen Alters noch Topleistungen brachte.
Dennoch war er in der WM-Quali zunächst nicht gesetzt, erst als Pekerman Anfang 2012 übernahm wurde Yepes auch wieder auf dem Platz der Kopf der Mannschaft. Der Routinier nimmt auch deshalb nichts für selbstverständlich und genießt seine letzten Auftritte auf der großen Fußballbühne in vollen Zügen. "Ich habe etwas geschafft, das viele meiner Weggefährten nicht geschafft haben", so der Innenverteidiger.
Vor dem Spiel gegen Uruguay gab er weiter zu Protokoll: "Ich freue mich wie ein Kind, dass ich hier dabei sein kann. Wir wollen unserem Land noch viel Freude bereiten hier bei der WM." Der Einzug ins Viertelfinale ist schon jetzt der größte WM-Erfolg einer kolumbianischen Nationalmannschaft.
Yepes: "Wir sind bereit"
Und während die Weltöffentlichkeit vor dem Viertelfinale gegen Brasilien Kolumbiens explosive Offensive um James Rodriguez und Juan Cuadrado feiert, hält Yepes, der gemeinsam mit dem 27-jährigen Cristian Zapata das älteste Innenverteidiger-Duo der WM bildet, das Team zusammen - wenngleich selbst der ewige Kolumbianer zugibt, dabei gelegentlich an seine Grenzen stoßen.
"Unser System ist darauf ausgerichtet, anzugreifen und einen offenen Stil zu spielen. Wenn wir das machen, leiden die Verteidiger am meisten darunter", erklärte Yepes, allerdings nicht ohne hinzuzufügen: "Aber wir sind bereit dafür."
Schon in Südamerikas WM-Quali kassierte kein Team weniger Treffer als Kolumbien (13 in 16 Spielen) und gegen Brasilien braucht Pekerman seine erfahrene Defensive, um dem zu erwartenden Druck der Brasilianer standhalten zu können. "Kolumbien war schon lange nicht mehr bei einer WM, das ist neu für sie. Deshalb muss ich meine Erfahrung mit ihnen teilen. Wir müssen ruhig bleiben", mahnte der Trainer.
Zweifellos verlassen kann er sich dabei auf seinen Abwehrchef, den auf einem Fußballplatz nichts mehr aus der Ruhe bringt und der sich mit der Ankündigung seines Karriereendes noch zurückhält: "Wir werden unsere Schlüsse nach dem Turnier ziehen." Jung genug für eine weitere Saison fühlt sich Mario Yepes garantiert.