Bastian Schweinsteiger setzte sich nochmal kurz hin. Ganz außen auf der Trainerbank nahm er Platz, dort wo normalerweise sein Vorgesetzter Joachim Löw sitzt, wenn er nicht gerade in seiner Coachingzone unterwegs ist und versucht, Anweisungen zu geben.
Es schien, als würde er die neue Position auch nochmal nutzen, um sich Gedanken über dieses Spiel zu machen. Aber er musste auch warten, wie sein Trainer reagieren würde. Schweinsteiger hatte sich an der Seitenlinie kurz zuvor bereit gemacht, um eingewechselt zu werden.
Doch dann passiert etwas, was sonst nie passiert: Philipp Lahm spielte einen Fehlpass. Und in dieser Phase des Spiels lief bei den Deutschen so wenig zusammen, dass keiner den Fehler mehr ausbügeln konnte und Ghana dieses Missverständnis zum 2:1 nutzte.
Spezialkräfte funktionieren
Löw musste sich also überlegen, ob Schweinsteiger jetzt noch der richtige Mann war für die veränderte Situation. Der Bundestrainer beantwortete diese Frage mit einem Ja und legte Miroslav Klose noch oben drauf.
Nicht nur einmal hatte Löw seit der Ankunft in Brasilien betont, wie wichtig die Ersatzspieler sein werden, die mit neuer Energie von der Bank ins Spiel kommen. Er gab ihnen den Namen "Spezialkräfte". Am Tag vor dem Spiel in Fortaleza gegen Ghana nahm er dann auch nochmal konkret Bezug auf Schweinsteiger und Klose.
Die beiden erfahrenen Stützpfeiler der deutschen Mannschaft kamen im ersten Spiel gegen Portugal nicht zum Einsatz, lieferten aber ein sehr positives Bild in Sachen Teamspirit ab. Jetzt waren sie gegen Ghana gefragt. Und sie lieferten.
Emotion schlägt Vernunft
Deutschland hatte nach der Führung durch Mario Götze das Spiel schleifen lassen und sich einen Rückstand eingehandelt. Mit Schweinsteiger gewann das DFB-Team vorübergehend die Kontrolle über die Partie zurück. Er strahlte Ruhe aus, spielte ein paar gute Pässe und erzwang die Ecke, die zum Ausgleich durch Klose führte.
Sein 15. Tor bei einer WM und die Einstellung des Rekordes von Ronaldo feierte Klose mit einem Salto, den "ich in diesem Alter eigentlich schon gar nicht mehr machen wollte". Die Emotionen überrollten die Vernunft.
Spiele im Wildwest-Modus
Genauso erging es dem deutschen Spiel über weite Strecken der zweiten Halbzeit. Götzes Tor fiel aus dem Nichts, ebenso der schnelle Ausgleich. Mit dem Gegentreffer schien bei Deutschland aber auch ein Stück Souveränität verloren gegangen zu sein.
Zwar fehlte das komplette Spiel über die gewohnte Ballsicherheit, aber nach dem Führungstreffer erlebten die Deutschen zum ersten Mal die gesamte Wucht dieses Turniers in Brasilien. Entgegen der Annahme vor der WM laufen viele Spiele in einem Wildwest-Modus ab, ein undurchschaubares Hin und Her mit Tempoläufen und Fehlern in beide Richtungen.
Ein willkommener Schock
Einen "offenen Schlagabtausch" mit "irrsinnigem Tempo" hatte der Bundestrainer gesehen. Geplant war das nicht. Die Sauna Estadio Castelao ist für solche Art von Spielen eigentlich nicht der richtige Ort und Deutschland hat dafür auch nicht die Spielertypen. Lahm, Schweinsteiger, Kroos, Mertesacker: sie alle wollen Kontrolle und keine Partie Flipper.
Aber sie fanden keinen Zugang zu diesem Spiel gegen aggressive Afrikaner und gingen das Gehetze mit. Die Chance auf den Sieg überwog auch bei den Deutschen die sichere Aussicht auf einen Punkt, mit dem man Ghana auf Distanz halten kann.
ch dem spielerisch leichten Auftaktsieg über Portugal war der wilde Ritt gegen Ghana wie ein Eisbad in der Hitze, ein kleiner, willkommener Schock. Manuel Neuer sprach von einem "Wachmacher". Es war wie zuletzt häufig bei Turnieren, das zweite Spiel ist aus deutscher Sicht immer das schwerste.
Im Turnier angekommen
In Deutschland wich die Skepsis vor dem Turnier nach der Gala gegen Portugal großer Euphorie. Nach dem Remis gegen Ghana wird auf einmal wieder gezittert. Aber warum eigentlich? Deutschland ist jetzt erst richtig im Turnier angekommen, sie haben Widerstand gespürt.
Schon nach Portugal haben die Spieler betont, dass nicht jedes Spiel so optimal laufen könne. Gegen Ghana haben sie es erlebt. Es ist wichtig, ein Gefühl für solch enge Spiele in einem Turnier zu bekommen. Das hilft in den K.o.-Runden. Außerdem gehört es zur Dramaturgie von Welt- und Europameisterschaften, dass man nach zwei Spieltagen nicht durch ist - selbst nach zwei Siegen.
"Haben super Ausgangsposition"
Und so kommt das Endspiel gegen die USA mit Trainer Jürgen Klinsmann nicht unvorhergesehen. Natürlich wäre es eine bittere Pointe der Geschichte, wenn ausgerechnet der Reformator der Nationalmannschaft Mitte der Nullerjahre Deutschland aus dem Turnier kegeln würde.
Aber mit vier Punkten aus zwei Spielen und einem ordentlichen Torverhältnis hat das DFB-Team alle Trümpfe in der Hand. "Wir haben eine super Ausgangspositionen", sagte Per Mertesacker. "Da braucht man nicht drumherum reden."