"Lahm muss zurück ins Mittelfeld"

Andreas LehnerThomas GaberBen Barthmann
06. Juli 201423:51
Sollte Philipp Lahm beim Halbfinale gegen Brasilien wieder im zentralen Mittelfeld auflaufen?getty
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Da waren es nur noch Vier. Europa oder Südamerika - wer setzt sich durch? Ist Brasilien durch die prominenten Ausfälle nur noch die Hälfte wert? Was macht Holland so gefährlich? Im Panel geben die SPOX-Redakteure Andreas Lehner, Thomas Gaber und Ben Barthmann sowie my-Spox-User Pseudoexperte ihre Meinung ab.

Europa vs. Südamerika - das ewige Duell: Wer setzt sich durch?

Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Südamerika. Aus deutscher Sicht wäre das Traumfinale natürlich Deutschland gegen Holland. Aber hier wollen alle Brasilien gegen Argentinien sehen. Und ich glaube, dass der Wille und die Leidenschaft bei den südamerikanischen Teams noch einen Tick stärker ausgeprägt sind und diese Faktoren den Unterschied ausmachen können. Ich bin auch gespannt, wie Deutschland mit dem ersten südamerikanischen Gegner und dessen Spielweise zurechtkommt. Die Holländer haben schon drei Teams aus Süd- und Mittelamerika gespielt, immer gelitten, aber sich auch durchgesetzt. Nur ist Argentiniens Offensive zu stark für Oranje.

Thomas Gaber (SPOX): Europa. Brasilien und Argentinien werden ihr ersehntes Duell im Finale bekommen - im kleinen um Platz 3. Deutschland wird sich frei machen von jeglichen Gedanken um ein angeblich stärkeres Brasilien ohne Neymar und sein Spiel erfolgreich durchziehen. 2006 wurde die DFB-Elf als Gastgeber im Halbfinale aus dem Turnier geworfen, diesmal dreht sie den Spieß um. Das Maracana wird am 13. Juli eine Neuauflage des Finals von 1974 erleben.

Ben Barthmann (SPOX): Europa. Brasilien muss zwei richtig harte Schläge verdauen. Das kann zusammenschweißen und die letzten Prozente herauskitzeln. Weil Brasilien aber mental ohnehin schon am Limit spielt, glaube ich nicht an eine Steigerung, Neymar und Thiago Silva sind nicht zu ersetzen. Gegen Deutschland wird sich das Fehlen beider Leistungsträger bemerkbar machen. Im anderen Halbfinale spricht vielleicht nominell wenig für die Niederlande, aber ich glaube sie werden ins Finale einziehen. Die Mannschaft von van Gaal reitet auf einer Euphorie-Welle, alles scheint zu gelingen und das wird es auch im Halbfinale. Zudem sind sie perfekt darauf eingestellt, gegen ballbesitzorientierte Mannschaften zu spielen.

mySPOX-User Pseudoexperte: Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage: Weltmeister wird, wer das Halbfinale Deutschland gegen Brasilien für sich entscheidet - für mich das vorgezogene Finale. Deutschland verfügt über die höchste individuelle Qualität aller verbleibenden Teams. Brasiliens großer Trumpf ist dagegen nach wie vor der Heimvorteil, dazu wirkt die Mannschaft für mich am entschlossensten. Argentinien und die Niederlande fallen da deutlich ab, werden lediglich den zweiten Platz unter sich ausmachen.

Europa vs. Südamerika - das ewige Duell: Wer setzt sich durch?

Ist Brasilien ohne Neymar und Thiago Silva nur die Hälfte wert?

Muss Deutschland mit der Frankreich-Aufstellung spielen?

Lassen die Schiedsrichter bei dieser WM zu viel durchgehen?

Was macht Holland so gefährlich?

Ist Brasilien ohne Neymar und Thiago Silva nur die Hälfte wert?

Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Brasiliens Spiel basierte auf einer starken Defensive und Neymar in der Offensive. Die Sperre und die Verletzung haben der Selecao nun Kapitän und Superstar geraubt. Thiago Silva ist vielleicht qualitativ gut zu ersetzen, aber seine Führungsstärke wird auf dem Platz fehlen. Neymars Ausfall ist ohnehin nicht zu kompensieren. Trotzdem halte ich Brasilien für sehr gefährlich. Ohne Neymar wird Scolari sein Team noch mehr auf Defensive einstellen und Deutschland in eine Favoritenrolle drängen. Das könnte für die DFB-Auswahl zum Problem werden.

Thomas Gaber (SPOX): Ja, wobei mir die Dimension des Neymar-Ausfalls befremdlich vorkommt. Die Brasilianer klammern sich lediglich an den Glauben, ihre Selecao werde das Finale mit der Hilfe von höheren Mächten erreichen. Das Land gibt sich sportlich geschlagen, weil ihr bester Spieler ausfällt. Das zeigt das geringe Vertrauen der Brasilianer in die restlichen 22 Spieler. Die Selecao wird mit noch mehr Schaum vorm Mund spielen als im Viertelfinale gegen Kolumbien. Doch ihr fehlt entscheidende Qualität.

Ben Barthmann (SPOX): Auf jeden Fall. Natürlich sind auch die Hinterleute wie Bernard, Willian oder Dante nicht zu Unrecht bei einer Weltmeisterschaft dabei. Aber Thiago Silva und Neymar sind Säulen einer instabilen Mannschaft, Spieler die herausstechen und an denen sich andere hochziehen. Beide sind sowohl für das Mannschaftgefüge, als auch aus sportlicher Sicht nicht Eins zu Eins zu ersetzen. Vielleicht ist Brasilien nicht nur noch die Hälfte wert, ein ganzer Teil ist aber verloren gegangen.

mySPOX-User Pseudoexperte: Den Ausfall von Silva sehe ich als weniger schwerwiegend an. Mit Dante und Henrique hat man zwei gute Alternativen; dazu wird David Luiz keine Probleme haben, die Rolle als wichtigste Führungsfigur anzunehmen, wenn er sie nicht eh schon inne hat. Der Verlust von Neymar hat da schon eine andere Dimension. Allerdings dürfte sein Ausfall Brasilien als Kollektiv eher stärken: Jeder Spieler weiß, dass er nun mehr leisten muss, um den Ausfall von Neymar zu kompensieren und wird das auch tun.

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Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Das Mittelfeld hat mich nicht vollends überzeugt, vor allem Khedira ist nach wie vor weit von seiner Top-Form entfernt und auf der Halbposition nicht der richtige Mann. Gegen Brasiliens starke Physis mit den nicht ganz fitten Schweinsteiger und Khedira zu spielen, halte ich für ein Risiko. Also: Lahm wieder ins Mittelfeld, damit mehr Sicherheit und Kontrolle. Boateng auf rechts und Mertesacker in die Innenverteidigung. Dessen mangelnde Geschwindigkeit wäre kein so ein großer Risikofaktor wie gegen Frankreich.

Thomas Gaber (SPOX): Es gibt keinen Grund, etwas zu ändern. Ich habe mich schon vor WM-Beginn für Boateng und Hummels in der Innenverteidigung und Lahm auf rechts ausgesprochen. Ich hätte lieber Durm auf links gesehen, aber Höwedes' Leistungen überraschen mich positiv. Müller sollte wieder in die offensive Mittelfeldreihe, um Dante aus dem Weg zu gehen. Denn wenn ein Brasilianer weiß, was Müller kann und was nicht, ist es sein Bayern-Kollege. SPOX

Ben Barthmann (SPOX): Nein, viel mehr muss Löw sich die Frage stellen, was die beste Aufstellung gegen Brasilien ist. Welcher Spieler kann auf welcher Position sein Können am besten einbringen? Dabei geht es nicht nur um Lahm. Es muss mit einberechnet werden, wie Scolari auf die Ausfälle reagiert. Defensiv stellt sich die Frage, wer oder wie Neymar ersetzt wird und ob der Spielertyp Fred erneut seine Chance erhält. Dies bestimmt die Höhe der Abwehrreihe und damit auch den Einsatz von Mertesacker und/oder Boateng.

mySPOX-User Pseudoexperte: Auch wenn es derzeit populärere Meinungen gibt: Lahm muss zurück ins zentrale Mittelfeld. Seine Qualitäten auf rechts in allen Ehren, aber Spiele werden meist im Zentrum entschieden und dort sehe ich bei Deutschland aktuell die größte Problemstelle. Während sich Schweinsteiger gefangen hat und ein gutes Turnier spielt, fällt Khedira merklich ab. Ob man nun auf den Außenverteidigerpositionen auf defensivere oder offensivere (Durm, Großkreutz) Leute setzt, bleibt eine Philosophiefrage. Im Sturm würde ich gerne Schürrle statt Klose sehen.

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Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Es ist mal wieder die Verhältnismäßigkeit, die nicht stimmt. Unabhängig von Zunigas Foul an Neymar wurden einige brutale Fouls nicht oder falsch bestraft, dafür aber Nichtigkeiten sofort mit Gelb geahndet. Ob die Schiedsrichter aufgrund von möglichen Sperren verhaltener Karten verteilen, weiß ich nicht. Aber ich bin schon lange dafür, Sperren nach zwei oder drei Gelben Karten abzuschaffen. Das würde die Tragweite einer (un)gerechtfertigten Verwarnung und unterschiedlichen Bewertungen von ähnlichen Situationen der Schiedsrichter eindämmen.

Thomas Gaber (SPOX): Ich kann mit der Schiedsrichter-Diskussion nicht viel anfangen. Klar ist, dass einige vermeidbare Fehler gemacht wurden, besonders in der Vorrunde. Aber machen wir uns nichts vor: Wie oft wurde über die Referees geschimpft, weil ihre Gelben Karten zu locker saßen? Spieler haben Finals verpasst, weil sie gesperrt waren - der Aufschrei war riesig. Jetzt wird großzügiger gepfiffen und es passt wieder nicht.

Ben Barthmann (SPOX): Schwere Frage. Die FIFA hat ihre Schiedsrichter natürlich auf dieses Turnier vorbereitet und wird in zahlreichen Sitzungen und Schulungen auf die bevorstehende Spielweise eingegangen sein. So derart viele taktische Fouls und kleine Unsportlichkeiten müssten unter normalen Umständen bestraft werden. Allerdings ist es auch die Aufgabe eines Unparteiischen, das Spiel zu lenken und sich der Situation anzupassen, wichtig hierbei ist nur die Konsequenz. Die Mannschaften orientieren sich am Klima, die Schiedsrichter müssen sich an deren Herangehensweise ausrichten. Dementsprechend: Nein, sonst erleben wir ein Karten-Festival.

mySPOX-User Pseudoexperte: Eindeutiges Ja. Besonders auffällig ist, dass viele schwerere oder taktische Fouls nicht mit Gelb geahndet werden. Insgesamt verteilten die Schiedsrichter bisher gerade einmal 2,78 Gelbe Karten pro Spiel (2006 waren es 5,09). Das mag zu weniger Sperren durch die Zwei-Karten-Regel führen, bewirkt jedoch auch eine sinkende Hemmschwelle bei der Härte der Zweikampfführung. Trauriger Höhepunkt ist nun die Verletzung von Neymar, eines der bisherigen Gesichter dieser WM. Seine Verletzung wäre durch früheres Eingreifen definitiv vermeidbar gewesen.

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Was macht Holland so gefährlich?

Was macht Holland so gefährlich?

Andreas Lehner (SPOX-Reporter in Brasilien): Louis van Gaals Bereitschaft, seine Idee dem jeweiligen Gegner anzupassen. Es deckt sich zwar nicht mit dem Bild des beratungsresisten Oberlehrers, das sich in Deutschland verfestigt hat, aber van Gaal ist für mich der mutigste und variantenreichste Trainer der WM. Ich bin gespannt, wie er auf die individuelle Qualität der Argentinier in der Offensive reagiert.

Thomas Gaber (SPOX): Die Kombination aus Flexibilität, Wille und Teamgeist. Louis van Gaal muss in der Vorbereitung in vielerlei Hinsicht gute Arbeit geleistet haben. Seine Mannschaft hat die Systemveränderung problemlos bewältigt, die Spieler folgen ihrem Trainer blind. Da ist eine Einheit entstanden, die es im Kreise der Elftal in der Form noch nie gab. Ein Dirk Kuyt spielt pro Spiel drei Positionen und war nie wertvoller für Oranje. Van Gaal sollte sein goldenes Händchen allerdings nicht überstrapazieren...

Ben Barthmann (SPOX): Louis van Gaal. Er hat sich gegen jede Kritik durchgesetzt, lässt alternativ, aber immer perfekt angepasst spielen. Er hat seine eigenen Prinzipien über den Haufen geworfen, das finde ich beeindruckend. Die Mannschaft tut das Übliche, die Mischung passt und die Stimmung im Team scheint überragend zu sein. Dazu kommt dieses goldene Händchen, wie zuletzt bei Tim Krul. Natürlich ist auch Glück dabei, aber das gibt zusätzlichen Rückenwind.

mySPOX-User Pseudoexperte: Hollands größte Waffe ist sicherlich ein Robben in Überform. Seit seinem Tor im Champions-League-Finale wirkt er noch befreiter, die unbändige Gier nach einem weiteren Erfolg ist ihm in jeder Sekunde anzumerken. Um jedoch den ganz großen Wurf zu landen, wird es auch stärker auf die "Co-Stars" van Persie und Sneijder ankommen, welche beide (abgesehen von Sneijders Fernschüssen) in der K.o.-Phase bisher eher untertauchten. Und falls alles nichts mehr hilft, bleibt ja immer noch van Gaals goldenes Händchen...

Europa vs. Südamerika - das ewige Duell: Wer setzt sich durch?

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