WM-Aus für Neymar - die unfassbare Nachricht brannte sich wie ein gefräßiges Feuer durch die Partymeilen der brasilianischen Metropolen. Der 2:1 (1:0)-Sieg der Brasilianer im Viertelfinale gegen Kolumbien, das Halbfinale gegen den Traumgegner Deutschland - alles verblasste hinter dem Desaster der goldenen Nummer 10. "Es herrscht große Trauer", sagte Brasiliens Torhüter Julio Cesar: "Aber wir werden jetzt wie Krieger für unseren Bruder kämpfen."
In den Katakomben des Estadio Castelao von Fortaleza hatte Teamarzt Rodrigo Lasmar 100 Minuten nach dem Abpfiff gegen Kolumbien mit Grabesstimme das Unvorstellbare verkündet, die Diagnose, die Neymar vom Hauptdarsteller zum WM-Zuschauer machte: Fraktur des Querfortsatzes auf Höhe des dritten Lendenwirbels, Stützkorsett, vier bis sechs Wochen Pause. Eine Operation, so Lasmar, sei nicht erforderlich, wohl aber eine längere Pause.
Neymars Gegenspieler Juan Zuniga hatte den viermaligen WM-Torschützen mit dem Knie am Rücken getroffen und sich damit wohl zum Staatsfeind Nummer eins in Brasilien gemacht. Die englische Wikipedia-Seite des Verteidigers erhielt sofort nach dem Spiel im ersten Absatz den Zusatz: "Er ist der Kerl, der Neymar Jr. den Rücken brach." Zuniga beteuerte, er habe den Superstar nicht verletzten wollen: "Es war ein normaler Kampf um den Ball, ich wollte ihm nichts tun."
Fans halten Wache
Viele Fans pilgerten zum Krankenhaus Sao Carlos, in dem Neymar behandelt wurde. Als er die Klinik auf einer Rolltrage wieder verließ, verbarg er das verweinte Gesicht hinter einem weißen Handtuch. Um 22.30 Uhr hob der Flieger der Brasilianer mit Neymar an Bord Richtung WM-Quartier ab.
Für das fußballverrückte Brasilien hätte jeder ausfallen dürfen, nur nicht Neymar. So dachte auch Trainer Luiz Felipe Scolari, der schon vor der endgültigen Diagnose das Schlimmste befürchtet hatte. Das Bild von Neymar, der auf einer Trage vom Platz gebracht wurde und dabei "vor Schmerzen schrie", ging Scolari nicht mehr aus dem Kopf. Sein wichtigster Offensivspieler sei seit WM-Beginn "gejagt" worden, beschwerte sich Felipao: "Wir haben das immer wieder angesprochen, aber das hat ja keiner so gesehen."
Laut Informationen der brasilianischen Zeitung "O Estadao" hat der Weltverband FIFA eine offizielle Untersuchung des Vorfalls angeordnet. Zusätzlich habe der brasilianische Verband CBF seine Anwälte angewiesen, die Möglichkeit einer juristischen Klage gegen Zuñiga zu prüfen.
Zahlreiche Genesungswünsche
Via "Twitter" wünschten unter anderem Lukas Podolski und Lionel Messi ihrem Kollegen gute Besserung. Auch Kolumbiens Superstar James Rodríguez, der nach dem Viertelfinal-Aus seiner Mannschaft trotz seines Elfmetertores zum 1:2-Endstand (80.) selbst wie ein Schlosshund geheult hatte, drückte sein Mitleid aus: "Ich hoffe, er wird sich schnell erholen."
Für das Halbfinale gegen Deutschland am Dienstag in Belo Horizonte und auch für das mögliche Endspiel im Maracana wird es aber definitiv nicht reichen. Gegen die DFB-Auswahl fehlt zu allem Überfluss auch noch der gelbgesperrte Abwehrchef Thiago Silva. Der Kapitän hatte sich gegen Kolumbien wegen einer Attacke gegen Torwart David Ospina beim Abschlag eine völlig unnötige gelbe Karte abgeholt. "Thiago bekommt für so einen Unsinn Gelb, aber Zuniga kommt ungeschoren davon", schimpfte Trainer Scolari.
Für den ansonsten bärenstarken Thiago Silva wird sehr wahrscheinlich Dante zu seinem WM-Debüt in Brasilien kommen. "Besser geht es nicht. Ich habe in Deutschland meine Karriere gemacht, auf der anderen Seite stehen meine Kollegen", sagte der Abwehrspieler von Bayern München: "Ich freue mich sehr und bin schon ein bisschen heiß." Die kommenden Tage werde er mit seinen deutschen Vereinskollegen via SMS flachsen, verriet Dante.
Luiz warnt bereits vor Deutschland
Der Respekt vor dem Gegner sei jedenfalls sehr groß: "Die Deutschen sind sehr, sehr gut drauf. Wir kennen ihre Qualitäten." Das bestätigte auch Matchwinner David Luiz: "Deutschland ist ein großes Team mit einer großen Spielkultur, vielen großen Spielern und einem großen Trainer. Es wird ein großes Spiel, ein echtes WM-Halbfinale."
Gegen die schwachen Kolumbianer überraschten die Brasilianer allerdings mit einer grenzwertigen Zweikampfführung - vor allem gegen Superstar Rodríguez. 31 Fouls wies die Statistik am Ende für die Ballzauberer vom Zuckerhut auf. Zuvor hatte ihr Durchschnitt bei 16,25 Fouls pro Spiel gelegen. "King James" Rodriguez wurde damit aber der Zahn gezogen.
Ganz mit leeren Händen stand der Shootingstar aber nicht da. Kolumbiens Nummer zehn ist der erste Spieler seit 36 Jahren, dem in seinen ersten fünf WM-Spielen jeweils mindestens ein Tor gelungen war. Zudem winkt ihm mit nun sechs WM-Treffern die Torjägerkrone. Sein größter Verfolger Neymar ist ja seit Freitag aus dem Rennen.