Die deutsche Nationalmannschaft ist nach einem Jahrzehnt der permanenten Erfolge erstmals in seiner Geschichte in einer WM-Vorrunde gescheitert. Hier erzählt der österreichische SPOX-Redakteur Nino Duit ganz subjektiv, was er dabei in seiner Wahlheimat erlebte.
Irgendwas stimmte bei dieser WM nicht mit der deutschen Mannschaft und auch nicht mit ihren Fans. Was? Das habe ich nicht bei den beiden Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea herausgefunden, sondern beim Sieg gegen Schweden dazwischen. Für einige Tage war ich gerade von meinem Wohnort München aus in eine andere deutsche Großstadt gereist. Welche, das tut nichts zur Sache. Vermutlich lief es überall ähnlich ab.
Beim Public Viewing wollte ich mir das Spiel eigentlich anschauen, aber die spontane Recherche ergab: gibt hier keines. Es mangle anders als bei den vergangenen Weltmeisterschaften an "geeigneten Sponsoren", erfuhr ich in einem erklärenden Artikel im Internet. Heißt: es wurde nicht mit genügend Besuchern gerechnet. Und das in Deutschland, der vermeintlichen Erfinder-Nation des Public Viewing. Komisch, dachte ich, aber egal: dann eben in einer Bar. Kompakter und enger, auch super Stimmung.
Noch in der Halbzeit des 17-Uhr-Spiels zwischen Südkorea und Mexiko meinte ich von meiner Unterkunft aufbrechen zu müssen, um in einer Bar mit Bildschirm auch noch einen Platz zu bekommen. Vermeintliches Endspiel, da werden die Leute schon früh da sein. Aber eineinhalb Stunden vor Anpfiff? Alles leer. Eine halbe Stunde vorher? Immer noch reichlich Plätze vorhanden.
Verliert eure Nationalmannschaft, dann seid ihr raus! Wisst ihr das? Wo ist dieses prickelnde und zusammenschweißende Gemisch aus Vorfreude und Anspannung nur geblieben? Hier jedenfalls war es nicht. Wenige Körper waren mit Deutschland-Trikots geschmückt und noch weniger Fenster mit Deutschland-Fahnen. WM-Euphorie, wo bist du nur?
Die entlarvende Einstellung
Mich beschlich das Gefühl, viele Fans sehen das ein bisschen so wie Bundestrainer Joachim Löw. Wirklich los geht das Turnier eh erst in der sogenannten "heißen Phase". Dem Hochsommer einer WM sozusagen, der K.o-Runde. Marco Reus hatte sich ja zuvor verplappert, er war im ersten Spiel nicht in der Startelf gestanden, weil er für die "wichtigen Spiele" geschont werden sollte. Eine entlarvende Einstellung, die sich offenbar auch auf die Fans übertragen hatte. Während des Pflichtprogramms namens Gruppenphase galt es sich zu schonen für ein Viertelfinale gegen Argentinien oder ein Halbfinale gegen Brasilien.
Doch dafür brauchte es nun einen Sieg gegen Schweden! Ein eigentlich "heißes Spiel" also mitten im Pflichtprogramm. Es wirkte aber nicht so, als wüssten die Leute hier in dieser Bar, wie sie damit umgehen sollten. Emotional ein bisschen verwirrt schienen sie, es fehlten ja die Erfahrungswerte. So früh schon unter Zugzwang? Deutsche Fans kannten seit Jahren fast nur Siege und die meisten dachten wohl wie ich: das wird schon.
Auch nach dem zwischenzeitlichen Rückstand hegte ich absolut keine Zweifel. 0:1? Dann am Ende eben 3:1. Ich war der Gary Lineker zwischen all den Deutschen. Nicht aber, weil ich mal für den FC Barcelona spielte oder in Unterhose im Fernsehen moderierte. Sondern weil ich mir sicher war, dass Deutschland gewinnen wird - und das auch permanent betonte. Obwohl die Fans um mich herum nur so vor sich hin haderten und zweifelten, hatte ich das Gefühl: tief drinnen wussten sie auch, dass ihre Mannschaft gewinnen wird. Einfach, weil es immer so war.
Die alle zwei Jahre wiederkehrende Routine
Und natürlich auch diesmal - aber immerhin knapper als sonst. Dass Toni Kroos den Sieg erst in letzter Sekunde fixierte, ließ mich einen langen Abend vermuten. Vor meinem inneren Auge spielte sich das Spektakel schon ab: raus aus der Bar, ab auf die Straße! Und dort die jubelnden Massen beobachten: Hupkonzerte und Humba, Bierduschen und Ballermannstimmung.
Aber nein: nichts. Wirklich nichts. Die Leute zahlten gesittet und zwar für Bier, das sie zuvor noch pflichtbewusst und bis zum letzten Schluck ausgetrunken, anstatt entstellt in Ekstase um sich geschüttet hatten. Die Straßen ziemlich leer, die Bars in der Gegend bald auch.
Dieses Verhalten der Fans schrie lauthals nach: es war ja nur Schweden, richtig los geht es erst in der "heißen Phase". Natürlich wird die in diesem Turnier auch noch kommen, es ist schließlich Deutschland und Deutschland kommt mindestens bis ins Halbfinale - dann wird mitgefiebert und letztlich entweder der Titel bejubelt oder ein Aus kurz vor dem Ziel betrauert. Den Fans war noch nicht klar: diesmal eben nicht.
Deutschland hat sich an große Siege in wichtigen K.o.-Spielen gewöhnt - und das macht kleine eben automatisch uninteressanter. Das gilt für die Spieler, genau wie für die Fans. Sie alle mögen Hupkonzerte und Humba, Bierduschen und Ballermannstimmung nach Siegen der Nationalmannschaft prinzipiell ja lieben. Aber offenbar nicht, wenn es zur alle zwei Jahre wiederkehrenden Routine wird und gleichzeitig die "Bierhoffisierung der Nationalmannschaft" immer weiter voranschreitet. Dann driftet all das Richtung Gleichgültigkeit ab - vor allem während der Vorrunde.
Dieser Sieg gegen Schweden und die nach kurzem Jubel fast schon emotionslose Reaktion darauf - zumindest in dieser Bar und dieser Stadt - zeigte aus meiner Sicht noch vor der entscheidenden Niederlage gegen Südkorea: viele deutsche Fans sind nach einem Jahrzehnt der permanenten Erfolge einfach satt.