Jamal Musiala könnte der Spieler sein, der Deutschland schon bei der WM durch seine individuelle Klasse weit nach vorne bringt.
Röhl: An Jamal begeistert mich seine Bodenständigkeit. Er ist so ein feiner und empathischer Mensch, der eine große Bescheidenheit an den Tag legt. Der sehr wissbegierig und neugierig, sehr aufmerksam und immer total fokussiert ist, seine Aufgabe auf dem Platz gut zu erfüllen. Und du siehst ihm in jeder Sekunde an, wie gerne er Fußball spielt. Er gibt der Mannschaft eine gute Energie. Dass er darüber hinaus überragende fußballerische Fähigkeiten hat, sieht jeder.
Wenn wir das Bild etwas weiter fassen. Tobias Escher hat in seinem Buch "Was Teams erfolgreich macht" die Formeln des Erfolgs beleuchtet, da geht es u.a. auch um die französische Nationalmannschaft. Was ist aus Ihrer Sicht die Formel für einen Erfolg bei der Nationalmannschaft? Nicht nur konkret auf die anstehende WM bezogen.
Röhl: Wenn ich an eine Formel für Erfolg denke, dann ist es ganz entscheidend, eine gemeinsame Vision zu kreieren. Eine Vision für die Spieler, für alle Trainer, für den gesamten Stab drumherum. Diese Vision und damit einhergehend auch eine Zielstellung musst du sehr klar formulieren und dann auch einfordern. Das hat Hansi sehr früh schon gemacht. Unser Slogan ist: Nationalspieler bist du immer. Das kann aber übertragen werden auf alle anderen bei uns im Team. Co-Trainer der Nationalmannschaft bist du immer. Physio der Nationalmannschaft bist du immer. Jeder gehört dazu, jeder muss den Weg und das Ziel kennen - und jeder muss sich tagtäglich weiterentwickeln wollen. So schaffst du eine klare Identität, wofür du nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz stehen willst.
Der Fußball hat sich in den vergangenen Jahren stark entwickelt. Inzwischen spielen Daten zumindest eine ähnliche Rolle, wie sie es beispielsweise in der NFL schon länger spielen. Alle großen Klubs haben eigene Datenabteilungen mit absoluten Masterminds. Wie gehen Sie mit dem Thema um?
Röhl: Daten sind mittlerweile ein extrem großes Thema. Ich beschreibe es immer so: Es muss ein Wechselspiel geben aus dem Analytics-Bereich und der eigenen qualitativen Beobachtung. Heutzutage geht im Fußball das eine nicht mehr ohne das andere, davon bin ich überzeugt. Dir muss es gelingen, die Theorie anhand der Daten in die Praxis zu überführen. Du musst aber auch genau schauen, welche Daten für dich entscheidend sind, die Daten müssen zu deiner Spielidee passen. Zum Beispiel: Wenn ich ein Team habe, das den Fokus auf hohes Pressing legt, dann muss ich mir darauf spezifisch ausgelegt die Daten anschauen. Wie viele hohe Ballgewinne generiere ich? Warum generiere ich sie? Oder warum habe ich da ein Problem? Ich muss schauen, was wirklich relevant für mich ist. Wir haben bei der Nationalmannschaft inzwischen umfangreiche Reports, bei denen wir uns positions- oder spielerspezifisch Daten geben lassen, am Anfang war das ein One-Pager. Das zeigt die Entwicklung.
Danny Röhl: "Es führt dazu, dass Fußball häufig sehr banal besprochen wird"
Behandeln wir das Thema in der Öffentlichkeit immer noch zu stiefmütterlich?
Röhl: Mir fehlen in den öffentlichen Diskussionen oft die Zwischentöne, es gibt meist nur Schwarz-Weiß-Denken. Es fehlt das Hintergrundwissen an vielen Stellen, ob das beim Thema Daten ist oder bei Entscheidungen eines Trainers, die man unter Umständen nicht nachvollziehen kann. Weil niemand die Interna kennt und zum Beispiel weiß, wie die Absprachen beim Anlaufverhalten waren. Am Ende führt das dazu, dass Fußball häufig sehr banal besprochen wird, dann wird zum Beispiel schnell fehlende Mentalität bemängelt. Weil verständlicherweise das Hintergrundwissen für eine andere Einschätzung fehlt.
Etwas ganz neu zu erfinden, ist praktisch unmöglich geworden im Fußball. Aber in welche Richtung könnte es denn noch gehen?
Röhl: Das ist eine gute Frage. Das Thema Virtual Reality ist sicher ein großes. In Leipzig haben wir mit dem SoccerBot gearbeitet. Einem 360-Grad-Simulator, der es ermöglicht, das Spiel aus dem Blickwinkel des Spielers zu sehen. Was sieht der Spieler eigentlich im Gegensatz zu meiner Perspektive auf der Tribüne? Ich war auch mal bei den NY Jets aus der NFL, dort habe ich gesehen, wie die Quarterbacks mit 3D-Brillen arbeiten. Im American Football haben die Teams ja auch jeweils einen eigenen Coach für die Offensive und Defensive. Ich kann mir Offensive und Defensive Coordinator im Fußball vorstellen, das wäre eine spannende Sache. Die Entwicklung dahin sehen wir ja schon. Wir haben bei der Nationalmannschaft mit Mads Buttgereit einen Spezialisten für Standards, quasi einen Special Teams Coordinator im Trainerteam. Man wird immer mehr Experten für Teilbereiche haben.
Große Turniere sind auch immer ein Zeitpunkt, an dem man nach Trends schaut. Welchen Trend erwarten Sie jetzt bei der WM?
Röhl: Ich weiß nicht, ob es schon ein Trend ist, aber meiner Beobachtung nach schauen die Top-Mannschaften wieder mehr auf sich und passen sich weniger dem Gegner an. Ich gehe davon aus, dass das gerade aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit auch bei der WM der Fall sein wird. Es geht wieder viel mehr darum, seine eigene Idee durchzubringen und seinem eigenen Stil treu zu bleiben.
Wer sind denn die Favoriten für Sie?
Röhl: Ich will mich nicht vor der Antwort drücken, ich könnte jetzt einfach Brasilien und Argentinien nennen, aber ich glaube, dass man keinen Favoriten ausmachen kann. Auf der einen Seite, weil das so stark von der Dynamik im Turnier abhängt. Momentum ist etwas ganz Wichtiges in einem großen Turnier. Und auf der anderen Seite haben wir auch in der Nations League gesehen, wie stark zum Beispiel die Ungarn waren. Die Lücke zwischen den vermeintlichen Top-Mannschaften und den scheinbar kleineren Fußballnationen ist unglaublich gering geworden. Wir müssen als Deutschland den Fokus auf uns richten und die Überzeugung in unsere eigene Stärke haben, dann können wir viel erreichen.
Danny Röhl: "Wenn ich ein Spiel schaue, liegt mein Notizblock immer direkt neben mir"
Zum Abschluss nochmal zurück zu Ihnen: Wann wollen Sie Cheftrainer sein?
Röhl: Erstmal ist die Ausbildung zum Fußball-Lehrer, die ich gerade absolviere, der letzte Schritt, den ich noch gehen muss, um alle Voraussetzungen zu schaffen. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir das nicht vorstellen kann, aber gerade ist das kein Thema. Das lasse ich alles auf mich zukommen. Für den Moment bin ich sehr froh, wie sich meine Karriere entwickelt hat. Ich habe bei RB einen Verein von der Stunde null an begleitet und den Aufbau in allen Facetten erlebt. Ich habe in Southampton die phasenweise sehr harte Situation eines Abstiegskampfs in der Premier League durchgemacht und war danach bei einem Weltverein wie Bayern München, der mit Top-Stars arbeitet und Titel gewinnen möchte und muss. Jetzt habe ich beim DFB eine super Herausforderung und Aufgabe, die mich sehr erfüllt. Ich habe einen Cheftrainer, der mir viele Freiheiten gibt und meine Entwicklung damit auch zulässt. Dafür bin ich sehr dankbar. Diese Reise will ich erstmal weiterführen und dann werden wir schauen, was die Zukunft bringt. Ich habe gelernt, dass es ohnehin schwierig bis unmöglich ist, zu weit nach vorne zu schauen.
Wie viel Zeit bleibt noch für Abwechslung neben dem Fußball?
Röhl: Nicht viel, das gebe ich zu. Mein Leben besteht seit 25 Jahren zu weit über 90 Prozent aus Fußball. Wenn ich ein Spiel schaue, liegt mein Notizblock immer direkt neben mir. Fällt mir eine Szene auf, schreibe ich sie mir sofort auf und lege sie in meinem Ordner mit Anschauungsmaterial ab. Und wenn ich im Urlaub bin, habe ich immer mindestens zwei oder drei Fußballbücher im Gepäck. Ich habe zum Beispiel die Biografie von José Mourinho gelesen. Seine Geschichte hat mich berührt, er hat sich von ganz unten nach oben gearbeitet und erstmal als Dolmetscher angefangen. Ich habe vor einigen Jahren auch mal bei einigen Klubs vorbeigeschaut und die Trainingseinheiten für mich analysiert. Für die Familie ist das nicht immer einfach mit mir, aber sie kennt es nicht anders. (lacht)
Auch da kann man sich aber weiterentwickeln.
Röhl: (lacht) Das stimmt. Ich habe mich auch schon ein bisschen verbessert und nehme mir die Zeit für meine Familie. Aber ich lese in der Freizeit einfach sehr gerne und sauge alles auf. Ich habe aktuell bestimmt mehr als zehn Bücher, die ich noch nicht mal auspacken konnte, weil die Zeit gefehlt hat. Unter anderem das schon erwähnte Buch von Tobi Escher, das habe ich mir auch bestellt.
WM 2022: Spielplan in Deutschlands Gruppe in Katar
Datum | Begegnung | Anpfiff |
23. November | Deutschland vs. Japan | 14.00 Uhr |
23. November | Spanien vs. Costa Rica | 17.00 Uhr |
27. November | Japan vs. Costa Rica | 11.00 Uhr |
27. November | Spanien vs. Deutschland | 20.00 Uhr |
01. Dezember | Costa Rica vs. Deutschland | 20.00 Uhr |
01. Dezember | Japan vs. Spanien | 20.00 Uhr |