Marokkos neue Nationalhelden lagen sich jubelnd in den Armen und ließen Nationaltrainer Walid Regragui hochleben, dann sprinteten Achraf Hakimi und Co. ihren ekstatischen Landsleuten in der Fankurve entgegen. An einem der größten Abende des marokkanischen Fußballs fiel der Jubel über den ersten WM-Achtelfinaleinzug seit 36 Jahren grenzenlos aus.
Das letztlich hart erkämpfte 2:1 (2:1) gegen Kanada sicherte den Nordafrikanern den Sieg in Gruppe F. Das mögliche K.o.-Rundenduell gegen Deutschland fiel aus, stattdessen trifft Marokko auf Spanien.
"Wir haben Geschichte geschrieben", sagte Spielmacher Hakim Ziyech, der Marokko nach schweren Patzern des Gegners früh in Führung gebracht hatte (4.). Sein Treffer? "Ein Traum!" Youssef En-Nesyri (23.) als zweiter Torschütze konnte es nachempfinden.
Das Eigentor von Nayef Aguerd (40.) war in einem Duell mit zwei unterschiedlichen Halbzeiten schnell vergessen. "Ab jetzt ist alles möglich. Ich habe schon vor der WM gesagt, dass wir Weltmeister werden", sagte Bayern-Profi Noussair Mazraoui begeistert.
Die Kanadier um Bayern-Star Alphonso Davies wirkten von der lautstarken Kulisse und den aggressiv verteidigenden Marokkanern beeindruckt - und leisteten sich früh einen folgenschweren Blackout: Nach einem zu kurzen Rückpass von Steven Vitoria spielte Torhüter Milan Borjan den Ball in Ziyechs Fuß. Der Offensivspieler des FC Chelsea traf aus rund 30 Metern gefühlvoll ins leere Tor.
Kanada nach der Pause das bessere Team
Marokko war das große Selbstvertrauen anzumerken. Das Regragui-Team spielte kombinationssicher, zeigte technische Klasse und sorgte mit temporeichen Vorstößen stets für Gefahr. Zudem stand die Defensive um Bayern-Profi Noussair Mazraoui wie schon zuvor gegen Kroatien und Belgien zunächst enorm sicher.
Marokko zog sich etwas zurück, blieb aber gefährlich und offenbarte die Defizite der Kanadier: Ein Steilpass des früheren Dortmunders Hakimi düpierte die Nordamerikaner, En-Nesyri erhöhte. Marokko blieb auch danach spielbestimmend - und kassierte doch aus dem Nichts den ersten Gegentreffer des Turniers. Aguerd klärte eine scharfe Hereingabe von Sam Adekugbe unglücklich ins eigene Tor.
Die Kanadier zeigten sich nach dem Seitenwechsel mutiger und kämpften um den ersten Punkt ihrer WM-Geschichte, Marokko geriet unter Druck. Davies war dabei ein Aktivposten für den Außenseiter, der 22-Jährige agierte als Sturmspitze offensiver als zuvor.
Pech hatte der eingewechselte Kapitän Atiba Hutchinson, der an die Unterkante die Latte köpfte (71.). "Es war nicht genug. Wir haben alles gegeben, um die ersten Punkte für unser Land zu holen. Leider haben wir es nicht geschafft", sagte Hutchinson.
Kanada - Marokko: Stimmen
John Herdman (Nationaltrainer Kanada): "Natürlich wollten wir länger im Turnier bleiben, aber wir haben es genossen. In jedem Spiel hatten wir unsere Momente, wir haben ein junges Team, entwickeln uns. Die Marokkaner sind rausgekommen mit kochendem Blut, wir haben ihre Intensität wirklich gespürt. Zu Beginn hingen wir in den Seilen, aber wir sind zurückgekommen. Wir sind nicht zerbrochen, haben umgestellt, hatten dann mehr Stabilität. Es war wie ein Endspiel für uns und auch für sie."
Walid Regragui (Nationaltrainer Marokko): "Wir haben Geschichte geschrieben, daran werden wir uns erinnern. Die erste Halbzeit war eine der besten seit langer Zeit. Wir haben die Marokkaner stolz gemacht. Das Eigentor hat uns ein bisschen aus dem Rhythmus gebracht. Trotz des Drucks haben wir uns gewehrt und standgehalten. Ich bin der stolzeste Mann heute Abend. Meine Spieler sind in den 90ern geboren, die können sich nicht an die WM 1986 erinnern. Jetzt sind sie daran, ihr Kapitel zu schreiben."
Kanada - Marokko: Die Daten zum Spiel
Kanada: Borjan - Johnston, Vitoria, Miller, Adekugbe (61. Kone) - Osorio (65. Laryea), Kaye (60. Hutchinson) - Davies, Buchanan - Hoilett (76. Wotherspoon), Larin (60. David). - Trainer: Herdman
Marokko: Bono - Hakimi(ab 85. Jabrane), Aguerd, Saiss, Mazraoui - Amrabat - Ounahi (ab 77. El-Yamiq), Sabiri (ab 65. Amallah) - Ziyech (ab 76. Hamed-Allah), En-Nesyri, Boufal (ab 65. Aboukhlal). - Trainer: Regragui
Schiedsrichter: Raphael Claus (Brasilien)
Tore: 0:1 Ziyech (4.), 0:2 En-Nesryi (23.), 1:2 Aguerd (40., Eigentor)
Zuschauer: 40.000 (in Doha)