Kylian Mbappé stützte sich erschöpft und zerschunden auf seine Oberschenkel, dann tauschte er sein schmutziges Trikot mit seinem alten Freund Achraf Hakimi. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron jubelte oben auf der Ehrentribüne - doch alles wurde übertönt von 30.000 marokkanischen Fans, die ihre müden Fußball-Helden wie Weltmeister feierten. Den WM-Titel aber können die Franzosen als erste Mannschaft seit Brasilien 1962 zum zweiten Mal in Folge holen.
Mbappé gegen Messi - die Wüsten-WM bekommt ihr glühend erwartetes Traumfinale der Superstars und Teamkollegen. Mbappé und Frankreichs standhafte Weltmeister beendeten das marokkanische Märchen in einem packenden Halbfinale mit einem 2:0 (1:0). Sie können am Sonntag gegen Lionel Messi und Argentinien den Goldpokal schon wieder nach Paris holen.
"Ich bin sehr stolz. Das war wieder wichtig und gewaltig - aber ein Spiel kommt noch", sagte Trainer Didier Deschamps, der 1998 als Spieler und vor vier Jahren auch als Trainer Weltmeister geworden war. "Wir streben wieder den Titel an. Wunderbar!"
Für die stets mutigen und aggressiven Marokkaner platzte nach dem historischen Vorstoß in die Vorschlussrunde der Traum, als erste afrikanische Mannschaft das Endspiel zu erreichen. Frankreich gegen Argentinien, das ist das perfekte Finale für Katar: Die Weltstars beider Nationen sind Vereinskollegen bei Paris St.-Germain - und der französische Meister gehört dem WM-Gastgeber. Die Argentinier hatten Kroatien 3:0 besiegt.
Frankreich steht im Finale der WM 2022
Die Franzosen zogen nach. Die 68.294 Zuschauer im "Beduinenzelt" von Al-Khor unterstützten zum Großteil den Außenseiter, doch es half nichts: Theo Hernandez (5.), jüngerer Bruder des verletzten Bayern-Spielers Lucas, und der 44 Sekunden zuvor eingewechselte Frankfurter Randal Kolo Muani (79.) führten Frankreich ins Finale.
Kolo Muani hat sich mit diesem Treffer in die Bestenliste der schnellsten Jokertreffer bei Weltmeisterschaften katapultiert. Einzig der Uruguayer Richard Morales (16 Sekunden) und der Däne Ebbe Sand (26 Sekunden) waren seit Beginn der detaillierten Datenerfassung ab 1966 noch schneller.
So werden sie sich also treffen am Sonntag (16 Uhr): Kylian Mbappé, 23 Jahre jung, gewandt, blitzschnell, sagenhaft torgefährlich, der teuerste Spieler der Welt, bereits Weltmeister von 2018. Und: Lionel Messi, 35, sechsmaliger Weltfußballer, der dann alleinige WM-Rekordspieler (26 Einsätze), der begabteste Spieler seiner Zeit - dem nur dieser eine Titel zur Krönung fehlt.
Bela Rethy kommentierte im ZDF zum Abschied an seinem 66. Geburtstag ein Spiel, das sportlich, historisch und gesellschaftspolitisch aufgeladen war. Trainer Walid Regragui und einige Spieler haben französische Wurzeln, Frankreich hatte Marokko als Kolonialmacht 1956 in die Unabhängigkeit entlassen. Nicht nur in Paris wurden angesichts der vielen Marokkaner im Land Ausschreitungen befürchtet.
Auf dem Platz übernahm Frankreich ohne einen Spieler des München-Quartetts das Kommando - und traf fast sofort. Fünf Marokkaner warfen sich im Strafraum in zwei Schussversuche von Mbappé, dadurch stand Hernandez frei und traf mit hohem linken Bein.
Kylian Mbappé bereitet das 2:0 für Frankreich vor
Marokko, in Rückstand unbeirrt mit Fünferkette, eroberte einige Bälle im Mittelfeld und fand so ins Spiel, Hugo Lloris musste gegen Azzedine Ounahi das erste Mal parieren (10.).Der Keeper stellte übrigens den WM-Rekord für Torhüter von Manuel Neuer ein und bestritt sein 19. WM-Spiel. Sollte Lloris auch im Endspiel zum Einsatz kommen, wäre er die alleinige Nummer eins.
Olivier Giroud ließ auf der Gegenseite den Pfosten beben (17.). Es ging hoch und runter, Marokkos hochgelobte Abwehr wankte, weil sie höher stand als zuvor. Zudem wurde Roman Saiss früh ausgewechselt.
Dennoch blieb die große Überraschungsmannschaft der Endrunde risikobereit, kreativ, stark. Beispiel: Verteidiger Jawad El Yamiq setzte einen Fallrückzieher spektakulär an den Pfosten (44.). Pässe in die Tiefe lösten immer wieder Unruhe aus. Marokko lebte jedoch gefährlich, wenn Mbappé oder Aurelien Tchouameni loszogen: Giroud vergab eine zweite Großchance (36.).
Marokko löste im Spielverlauf einen Verteidiger aus der Kette, Noussair Mazraoui vom FC Bayern blieb zur Pause angeschlagen in der Kabine. Sogleich stieg der Druck: Frankreich hatte einige Mühe, brandgefährliche Hereingaben an den Fünfmeterraum zu entschärfen.
Frankreich: Didier Deschamps zum dritten Mal Weltmeister?
Hakim Ziyech und Achraf Hakimi trieben energisch an, Sofiane Boufal drehte als Dribbler auf. Es war eine Phase, in der Marokko alle Stärke und Wucht entfaltete, mühsam im Zaum gehalten vom Weltmeister. Mbappé bekam Härte zu spüren, hielt aber dagegen: Der abgefälschte Schuss vor dem 2:0 war seiner.
Frankreich kann nun als drittes Land seinen Titel bei einer Fußball-WM erfolgreich verteidigen. Eine erfolgreiche Titelverteidigung ist in der WM-Geschichte bisher nur Italien (1934 und 1938) sowie Rekordchampion Brasilien (1958 und 1962) gelungen.
Didier Deschamps wäre zudem erst der zweite Trainer nach dem Italiener Vittorio Pozzo, der zum zweiten Mal Weltmeister wird. Deschamps hatte den Titel auch 1998 als Spieler gewonnen.
Frankreich - Marokko: Die Stimmen zum Spiel
Didier Deschamps (Nationaltrainer Frankreich): "Es sind so viele Emotionen, auch Stolz. Das war wieder wichtig und ein gewaltiger Schritt - aber ein Spiel kommt noch. Wir sind seit einem Monat mit den Spielern zusammen, es ist nie einfach, aber bisher macht es Freude. Die Spieler sollen diesen Moment genießen dürfen. Wir streben wieder den Titel an. Wunderbar!"
Walid Regragui (Nationaltrainer Marokko): "Wir haben das Maximale gegeben, das ist das Wichtigste. Wir hatten einige Verletzte, haben Aguerd beim Aufwärmen verloren, Saiss, Mazraoui zur Halbzeit. Gegen eine Mannschaft wie Frankreich wird der kleinste Fehler teuer bezahlt. Mit der Leistung der ersten Halbzeit können wir nicht ins Finale kommen. In der zweiten war es viel besser, auch wenn uns das zweite Tor getötet hat. Es nimmt uns nicht alles weg, was wir vorher gegeben haben."
Frankreich - Marokko: Die Aufstellungen
Frankreich: Lloris - Kounde, Varane, Konate, T. Hernandez - Tchouameni, Fofana - Dembele (ab 79. Kolo Muani), Griezmann, Mbappé - Giroud (ab 65. Thuram).
Marokko: Bono - Hakimi, Dari, Saiss (ab 21. Amallah ab 78. Ezzalzouli), El-Yamiq, Mazraoui (ab 46. Attiat-Allah) - Amrabat - Ziyech, Ounahi, Boufal (ab 66. Aboukhlal) - En-Nesyri (ab 66. Hamed-Allah).
Frankreich - Marokko: Die Daten des Spiels
Tore: 1:0 Theo Hernández (5.), 2:0 Kolo Muani (79.)
Schiedsrichter: Cesar Ramos (Mexiko)
Gelbe Karte: - Boufal