SPOX: Herr Wollitz, Sie haben als Spieler viele unterschiedliche Trainer erlebt, beispielsweise Rolf Schafstall, Rinus Michels oder Jürgen Gelsdorf. Haben Sie sich etwas von denen abgeschaut?
Wollitz: Man hat eher verschiedene Verhaltensmuster beobachtet. Wie verhält sich ein Trainer in gewissen Phasen einer Saison? Hat man seine Reaktionen auf unterschiedliche Situationen erwartet oder kommen sie überraschend? Da geht es aber nur ums Sportliche.
SPOX: Wer hat Sie dabei am meisten beeinflusst?
Wollitz: Schafstall war mein großer Förderer und mein erster Bundesligatrainer. Er hat meine Spielweise und mich als Typ gemocht. Das bleibt natürlich hängen. Mein Verhältnis mit Gelsdorf war dagegen etwas merkwürdig.
SPOX: Inwiefern?Wollitz: In Leverkusen haben wir uns nicht gemocht. Er ist dann mein Trainer in Krefeld geworden. Da hatte sich die Situation verändert, da wir uns beide mehr oder weniger aufeinander zu bewegt haben. Seitdem haben wir ein tolles Verhältnis. Bis heute. Er hat mir letztlich sehr viel gegeben. Ich sage immer, er hat meine Seele erreicht. Um das zu schaffen, muss man einiges investieren.
SPOX: Könnten Trainer vom Schlage eines Rolf Schafstall heute noch problemlos einen Bundesligisten trainieren?
Wollitz: In seinem Alter sollte er sich das besser nicht mehr antun (lacht). Das ist aber eine grundsätzliche Sache. So etwas hängt davon ab, ob er die Chance haben würde, selbst Spielertypen auszusuchen, die seiner Philosophie entsprechen. Es werden zu viele Transfers getätigt, bei denen der Verein das Gefühl hat, mit einem Spieler erfolgreich zu sein, aber sich nicht die Frage stellt, ob der Spieler auch zum Trainer passt. Die menschliche Komponente kann letztlich entscheidend sein, welche Leistung ein Spieler abruft.
SPOX: Was wünschen Sie sich aus der Zeit zurück, in der Sie noch gespielt haben?
Wollitz: Ich denke nicht an die Vergangenheit, sondern beschäftige mich mit der Gegenwart. Dieses Geschwätz von wegen früher haben wir dies und jenes so oder so gehandhabt, das ist doch lächerlich.
SPOX: Wieso?
Wollitz: Früher wurden doch auch Fehler gemacht und schlechte Leistungen abgeliefert. Wenn heutzutage einer nach einer Niederlage mit seinen Kumpels weggeht und irgendwo versackt, wird ein Riesenzinnober gemacht. Eine Woche später gewinnt man 4:1, macht dasselbe und keinen juckt es.
SPOX: Welche Entwicklung im Fußball geht Ihnen am meisten gegen den Strich?
Wollitz: Ich habe beispielsweise ein großes Problem mit Gesängen wie "Wir wollen euch kämpfen sehen". Es gibt keinen Spieler, der nicht kämpfen will. Es gibt aber Spieler, die es an manchen Tagen nicht rüberbringen können und nicht in Tritt kommen. Dann heißt es: Das sind Profis, die verdienen so viel Geld. Das hat doch damit nichts zu tun. Dazu gibt es noch das Bosman-Problem.
SPOX: Das gibt es aber schon lange.
Wollitz: Berater beeinflussen definitiv zu viele Spieler. Mit dieser Beeinflussung habe ich als Trainer jeden Tag zu tun. Wenn ein Spieler mehrmals in Folge gut spielt, ruft dich kein Berater an. Wenn er aber ein paar Mal auf der Bank sitzt, ruft er an und spricht von Vereinswechsel. Es wird sich nur sehr selten damit auseinander gesetzt, warum der Spieler in dem Moment nicht spielt, nicht in Form ist und wo generell das Problem liegen könnte.
SPOX: Heutzutage hat sich immer mehr eine Fußballersprache etabliert, die Begriffe wie "vertikales Spiel" oder "Matchplan" beinhaltet. Woher kommt das?
Wollitz: Irgendeiner fängt mit solchen Begriffen an und dann werden sie eben übernommen. Ich habe irgendwann mal von Selbstreflexion gesprochen, seitdem lese ich das immer öfter. Das hängt mit unserer rasanten Zeit zusammen. Die Welt entwickelt sich so schnell, da kommt man in meinem Alter gar nicht mehr richtig hinterher (lacht).
SPOX: Sie übertreiben.
Wollitz: Wenn ich nach Hause komme und meine Tochter frage, was sie gemacht hat, sagt sie: 'Ich hab' gechillt.' Ruft dann eine Freundin an und fragt, ob die Kim da ist, sage ich jetzt immer: 'Die ist bestimmt am Chillen.' Da passe ich mich einfach ein, das ist kein Problem für mich.
SPOX: Dennoch wirken Begriffe wie "Spielauslösung" irgendwie pikiert.
Wollitz: Man möchte vom Klischee von früher weg. Fußball war früher immer eine ganz banale und einfach Sache. Schauen Sie einmal, wer auf den Tribünen in den ganzen neuen Stadien sitzt. Da sieht man Politiker, Schauspieler, Geschäftsleute und vieles mehr. Der Fußball hat ein Ansehen innerhalb der Gesellschaft bekommen, das ist unfassbar.
SPOX: Ist der neue Stellenwert des Fußballs nach Ihrem Geschmack?
Wollitz: Man versucht eben, unserer heutigen Zeit gerecht zu werden. Ein Beispiel: eine Autorisierung von Interviews hat es früher nicht gegeben. Vor einer Kamera sagt auch niemand mehr: 'Ich sach' jetzt ma'." Vor zehn Jahren hat das jeder zweite gesagt und alle haben mit dem Kopf geschüttelt von wegen typisch Fußballer. Mittlerweile ist man darin besser geschult. Wenn man heutzutage in diesem Business bestehen möchte, muss man das können.
SPOX: Viele Menschen im Profifußball erwecken den Eindruck, sich nicht so zu geben, wie sie wirklich sind, auch um Kritik aus dem Weg zu gehen. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung?
Wollitz: Ganz ehrlich: Wenn Sie Erfolg haben, können Sie sagen, was Sie wollen und aussehen wie Sie wollen. Bei Misserfolg sieht's ganz anders aus. Da gibt es enormen Druck, dem man nur schwer standhalten kann. Da kommen sie dann aus allen Ecken. Man glaubt gar nicht, wie viele Ecken es gibt.
SPOX: Hört sich extrem an.
Wollitz: Man muss sich eben anpassen. Auch im Erfolg. Zwar nicht bei allen Dingen, aber eine gewisse Entwicklung gehört nun mal auch dazu. Um in diesem Haifischbecken zu bestehen, muss man mit der Zeit gehen.
SPOX: Welchen Ruf hatte Energie Cottbus bei Ihnen, als Sie noch nicht dort gearbeitet haben?
Wollitz: Keinen guten.
SPOX: Wieso?
Wollitz: Nicht, weil man dort meist nur auf ausländische Spieler gesetzt hat. Mir geht es um die Art, wie dort Fußball gespielt wurde. Und die war für mich unattraktiv, wenn auch zeitweise recht erfolgreich. Der Fußball, der in Cottbus gespielt wurde, hatte für mich so wenig Entwicklungspotenzial. Doch eine Entwicklung einzuleiten, ist eine wichtige Aufgabe als Fußballlehrer.
SPOX: Kaum zu glauben, dass Sie dort nun Trainer sind.
Wollitz: Ich habe lange vorher unseren Präsidenten Ulrich Lepsch kennengelernt. Aufgrund der Gespräche, die wir geführt haben, habe ich einen anderen Eindruck vom Verein bekommen. Dem Präsidium wurde damals von der sportlichen Leitung mitgeteilt, dass man gute deutsche Spieler nicht bekommen würde und sich dem osteuropäischen Markt öffnen müsse.
SPOX: Wieso sollte man denn keine deutschen Spieler bekommen?
Wollitz: Gute Frage. Wenn man sie nicht anspricht, kann man sie auch nicht bekommen. Dadurch entstand nicht nur bei mir eine gewisse Wahrnehmung dieses Vereins.
SPOX: Letztlich haben Sie dort aber unterschrieben.
Wollitz: Es kam dann noch mal ein Anruf. Darin wurde mir bestätigt, dass in Cottbus die sportliche Leitung die Freiheit besitzt, den Kader so besetzen zu können, wie es ihr vorschwebt. Das war für mich sehr interessant und das hat sich auch voll und ganz bestätigt.
SPOX: Wie lange dauert es dennoch, bis Cottbus das Image eines Klubs, bei dem überwiegend Ausländer spielen, ablegen kann?
Wollitz: Das dauert lange. Mindestens fünf, sechs Jahre. So etwas geht nicht in eineinhalb Jahren. Dass wir in dieser Zeit die Art des Fußballs und die Identität des Vereins so verändert haben, ist schon bemerkenswert. Dieses neue Image ist aber noch nicht so etabliert, dass es in der Außendarstellung eine Selbstverständlichkeit wäre, wenn man von Energie Cottbus spricht.
SPOX: Wurden dahingehend früher Fehler gemacht?
Wollitz: Dieser Verein ist sehr gut geführt und arbeitet inhaltlich hervorragend. Es ist daher einfach schade, dass man auf diesen Nebeneffekt jahrelang nicht geachtet hat. Das Loch zwischen den Leuten, die wirtschaftlich und sportlich das Sagen hatten, war zu groß.
SPOX: Schauen wir in die Zukunft: Die neue Zweitligasaison startet am 15. Juli. Kommt Cottbus ins DFB-Pokal-Finale, fehlt der Mannschaft eine Woche Urlaub, was eine noch kürzere Vorbereitung nach sich ziehen würde. Kann man sich da überhaupt auf das Halbfinale freuen?
Wollitz: Diese Entscheidung ist verantwortungslos und nie zu Ende gedacht worden. Die Idee, die 2. Liga eine Zeit lang ins Schaufenster stellen zu können, ist ja prinzipiell gut. Aber was passiert dann?
SPOX: Sagen Sie es uns.
Wollitz: Wir spielen im Pokal-Halbfinale und wenn wir viel Pech haben, werden wir in der Liga Dritter.
SPOX: Wie bitte?
Wollitz: Ich weiß, diese Aussage ist der Hohn. Das sagt ein leidenschaftlicher Trainer, der den Fußball liebt und braucht. Das ist jedoch die Wahrheit. Schauen Sie: Das zweite Relegationsspiel ist am 23. Mai. Da ich sechs Wochen Vorbereitung benötige, fange ich Anfang Juni wieder mit der Vorbereitung an. Die Spieler müssen bis dahin aber vollständig regeneriert und wieder belastbar sein. Zudem muss ich derzeit zweigleisig planen. Ich weiß ja gar nicht, in welcher Liga wir überhaupt spielen.
SPOX: Die Voraussetzungen sind aber für alle 18 Vereine mehr oder weniger gleich schlecht.
Wollitz: Absolut richtig. Das kann ja Duisburg auch passieren. Im Winter hatten wir kaum Urlaub. Wir spielen seit letztem Juli durch. 2. Liga ist vom ersten Tag an purer Existenzkampf. Da braucht man fünf Wochen, in denen man abschalten kann.
SPOX: Was würde eine internationale Teilnahme für Cottbus bedeuten?
Wollitz: Die Stadt Cottbus würde damit sicherlich aufgewertet. Sportlich sehe ich diese mögliche Doppelbelastung allerdings nicht nur positiv. Wir haben jetzt schon damit zu kämpfen, nach einem Highlight wie dem Sieg über Hoffenheim unsere Leistung drei Tage später in Karlsruhe so abzurufen, wie es eigentlich möglich wäre. Der 1. FC Nürnberg ist als amtierender Pokalsieger abgestiegen.
SPOX: Ihr Torjäger Nils Petersen hat kürzlich seinen Vertrag bis 2014 verlängert. Angesichts des Interesses aus der Bundesliga: Wie haben Sie das denn hinbekommen?
Wollitz: Er hat eine hohe Selbstreflexion und Bodenhaftung...
SPOX: Selbstreflexion also...
Wollitz: Da haben wir es wieder (lacht). Nein, im Ernst: Er macht nicht den siebten Schritt, ohne die ersten sechs nicht vernünftig hinter sich zu bringen. Er sieht sich auch selbst nicht hundertprozentig so weit. Zudem spielen die interessierten Vereine meist nur mit einer Spitze. Um seine Stärken zu entfalten, auch in Zukunft, braucht er einen zweiten Stürmer.
SPOX: Beinhaltet sein neuer Vertrag eine Ausstiegsklausel?
Wollitz: Zuvor gab es keine, jetzt aber schon. Das ist bei einer vorzeitigen Vertragsverlängerung in seiner persönlichen Situation aber auch klar und absolut nachvollziehbar. Letztlich dürfen sich der Verein, Nils selbst, seine Berater und sein Elternhaus als Gewinner fühlen.
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