"Die Jungs sind fast zu gut vom Charakter"

Christian Bernhard
07. Dezember 201116:30
Sportchef Florian Hinterberger peilt mit 1860 München mittelfristig die Bundesliga anGetty
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1860 München befindet sich in einem Konsolidierungsjahr - finanziell wie sportlich. Sportchef Florian Hintersberger spricht im SPOX-Interview über die Sparzwänge der Löwen, die Differenzen zwischen Verein- und Investorenseite sowie Kevin Volland und illustriert, wie er die Mannschaft mittelfristig zurück in die Bundesliga bringen will.

SPOX: Herr Hinterberger, trotz der guten Resultate zuletzt ist im Verein erneut Unruhe. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Florian Hinterberger: Prinzipiell tangiert es meine Arbeit nicht. Ich mache die Schotten dicht und konzentriere mich auf meinen Job. Das habe ich auch der Mannschaft gesagt: Wir, die sportliche Abteilung, konzentrieren uns auf den Fußball und lassen uns von den anderen Dingen nicht beeinflussen. Für den Sportdirektor ist es wichtig zu wissen, was er an finanziellen Mitteln zu Verfügung hat. Ich plane jetzt mehrere Szenarien durch: Kein Geld steht zur Verfügung, wenig oder etwas mehr - wobei ich immer vom schlechtesten Fall ausgehe. Es ist einfach eine schwierige Situation: Zum ersten Mal im deutschen Profi-Fußball gibt es so eine Investoren-Konstellation.

SPOX: Sie würden im Winter gerne personell nachlegen. Wann wissen Sie, mit was Sie planen können?

Hinterberger: In den kommenden zwei, drei Wochen sollte das klar sein. Spätestens Mitte Dezember sollten wir wissen, ob und was wir machen können. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass es nicht funktioniert, wenn man sagt: Ich pumpe mehrere Millionen in die Mannschaft und die steigt dann sofort auf. Das klappt nicht, man sieht ja auch bei den großen Vereinen wie Chelsea oder ManCity, wie lange das dauert - selbst mit hunderten von Millionen. Du musst einfach konzeptionell, nachhaltig arbeiten und dich nach und nach verstärken. Wir würden gerne jemanden für den Defensivbereich holen, aber das muss keine Millionen kosten. Im Moment weiß ich noch nicht, wie die Mittel ausschauen. Unser Ziel für die Zukunft ist natürlich klar: Wir möchten langfristig planen.

Florian Hinterberger zu den Gerüchten um Jarolim, Bell und Hornschuh

SPOX: Vergangene Woche wurden sie mit den Worten zitiert, man könne auch mit dem aktuellen Budget einen Kader zusammenstellen, der sich verbessert, "nicht zuletzt in punkto Charakter und Mentalität". Fehlen Ihnen denn Charakter und Mentalität?

Hinterberger: Wir haben eine charakterlich sehr gute Mannschaft. Ich sage Ihnen was: Die Jungs sind fast zu gut vom Charakter. Du musst als Fußballer manchmal auch ein kleiner Drecksack sein. Unsere Spieler sind alle wohlerzogen, zielstrebig und ehrgeizig. Ich meinte damit was anderes, die Mentalität, auch mal Widerstände zu überwinden, so wie zuletzt gegen Ingolstadt und Frankfurt: Mal einen Pass weniger und dafür einen Zweikampf mehr. Wir sind eine sehr spielerisch orientierte Mannschaft, was für die 2. Liga eher ungewöhnlich ist. Die Mischung, die Balance stimmt nicht so ganz, finde ich. So ein Jarolim würde von der Mentalität gut passen, weil der genau diese Dinge verkörpert. Auf Dauer gesehen würden uns zwei, drei solcher Spieler gut tun. Ich bin ein Verfechter des Fußballspiels, aber es braucht eben auch die richtige Balance.

SPOX: Auf gut deutsch, Sie suchen einen Leader, einen Typ Stefan Effenberg.

Hinterberger: Es bräuchte jemand, der die anderen mitreißen kann. So einen Effenberg braucht man heute nicht mehr, denn es hat sich ja viel verändert: Selbst in der Nationalmannschaft ist das mit dem Machtgefüge ganz anders geworden, aber die spielen so gut Fußball, dass es schon wieder egal ist. So gut sind wir in der 2. Liga nicht, deshalb braucht man eine gute Mischung.

SPOX: Im Sommer laufen deutlich mehr als zehn Verträge aus, darunter so wichtige wie die von Gabor Kiraly und Stefan Aigner. Wie ist da der Stand?

Hinterberger: Momentan stehen keine Vertragsverlängerungen an. Ich schaue, wie sich jeder einzelne entwickelt, es geht ja auch ums Preis-Leistungs-Verhältnis. Das werden wir im neuen Jahr genau beobachten.

SPOX: Das gilt also auch für Aigner, der ja ein sehr spezielles Verhältnis zum Verein hat?

Hinterberger: Ja. Stefan hat in letzter Zeit in Sachen Leistung etwas Luft nach oben, das weiß er auch selbst. Wir werden uns zeitnah unterhalten.

SPOX: Hat sich bei Verhandlungen mit Vereinen oder Spielern was verändert, seit Investor Hasan Ismaik an Bord ist?

Hinterberger: Am Anfang, aber eher im Spaß. Es ist allerdings keiner mit unvorstellbaren Forderungen gekommen. Alle haben mehr oder weniger realisiert, dass das erst einmal eine Rettung war. Wir haben das Budget runtergefahren und haben jetzt den geringsten Zweitliga-Etat der Vereinsgeschichte. Deshalb muss man aber nicht schlechter sein.

SPOX: Sind Sie im Tagesgeschäft mit Herrn Ismaik in Kontakt?

Hinterberger: Nein. Ich konzentriere mich voll auf das Sportliche, mit Trainern, Spielern und Nachwuchs-Leistungszentrum. Wir haben dafür gesorgt, dass die Verzahnung mit dem Jugendzentrum besser funktioniert. Ich arbeite eng mit Geschäftsführer Robert Schäfer und Präsident Dieter Schneider zusammen. Alle anderen Gremien treffe ich hin und wieder, man tauscht sich aus, aber in das Tagesgeschäft sind sie eigentlich nicht involviert.

SPOX: Zwischen Schäfer und Schneider gibt es derzeit große Dissonanzen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Hinterberger: Überhaupt nicht. Mein Verhältnis zu beiden ist völlig normal, ich arbeite mit beiden sehr vernünftig zusammen. Ich bin hier hergekommen und wusste zwei Monate lang nicht, ob es überhaupt weiter geht. Das war mir keinesfalls egal, aber ich habe es ausgeblendet. Und das mache ich jetzt auch.

Seite 2: Florian Hinterberger über das mittelfristige Ziel Bundesliga

SPOX: Zuletzt hat auch das Tauziehen mit Hoffenheim um Kevin Volland die Schlagzeilen bestimmt.

Hinterberger: Wir hatten auf allen Ebenen Kontakt mit Hoffenheim: Herr Schneider und Herr Schäfer mit Ernst Tanner, Rainer Maurer mit Holger Stanislawski. Und ich habe versucht, herauszufinden, was Kevin am liebsten will. Da wurde mir klar, dass er sehr gerne bis zum Sommer in München bleiben würde. Ich habe Kevin dann geraten, dass er das auch Herrn Tanner sagen soll, dass er merkt, wie wohl sich Kevin hier fühlt. Das alles hat schon eine Rolle gespielt.

SPOX: Am Ende haben Sie sich bei Hoffenheim bedankt.

Hinterberger: Ja, denn noch im Oktober hätte ich nicht damit gerechnet, dass uns Kevin erhalten bleibt. 1899 hätte ja auch sagen können: Das ist unser Spieler, der soll kommen. Mit dieser Entscheidung haben sie über den Tellerrand hinausgeblickt und bewiesen, dass ihnen viel am Spieler und seiner Entwicklung liegt - unabhängig davon, dass es uns zu Gute kommt. Kevin hat eine längere Pause bei uns, er kommt nicht im Winter in ein neues Umfeld und kann dann im Sommer neu anfangen. Andere hätten vielleicht gesagt: Der kommt, und uns ist es egal, wenn er auf der Bank oder Tribüne sitzt. Dafür habe ich mich explizit bei Ernst Tanner bedankt und darüber hat er sich gefreut.

SPOX: Gab es alternative Pläne, falls Volland doch hätte gehen müssen? Der Name Peniel Mlapa fiel beispielsweise.

Hinterberger: Das war nie ein Thema. Wir haben uns auf Kevin konzentriert, und hätte das nicht funktioniert, hätten wir jetzt eine Lösung finden müssen. Diese Geschichte war die mit Abstand wichtigste für den Winter.

SPOX: War Volland der letzte der jungen 1860-Spieler, der verkauft werden musste?

Hinterberger: Stand jetzt, ja. Und ich hoffe, dass es so bleibt: Lange, ewig, für immer. Unser Ziel ist es, keine Spieler unter Wert verkaufen zu müssen. Bei einem perfekten Transfer sollten alle Parteien einverstanden sein und der Preis sollte stimmen. Das war in der Vergangenheit nur selten der Fall.

SPOX: Rosig ist die finanzielle Situation aber immer noch nicht.

Hinterberger: Der Konsolidierungskurs ist nicht einfach. Man sieht, wie schwer es ist, nicht in die roten Zahlen zu rutschen - selbst wenn man sehr sparsam ist. Wir werden wohl auch in dieser Saison kein ausgeglichenes Ergebnis erzielen. Ein gewisses Niveau im Hinblick auf den Etat sollten wir halten. Wir gehören sicher zum Mittelfeld der Zweiten Liga. Damit kann man mittelfristig eine gute Mannschaft aufbauen.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Hinterberger: Es wäre schon schön, wenn wir einen gewissen Spielraum im Budget hätten. Das man mal sagt: Okay, jetzt bin ich ein bisschen drüber, aber beim nächsten Mal sparen wir das wieder ein. Das Korsett ist schon sehr eng - aufgrund der Geschichte des Vereins ist das nachvollziehbar.

SPOX: Der Verein muss also mittelfristig aufsteigen, um die Kosten, wie zum Beispiel die Arena-Miete, stemmen zu können?

Hinterberger: Ja, alleine schon wegen unserer Kostenstruktur sollten wir mittelfristig aufsteigen - unabhängig von der Tradition und vom Fakt, dass Sechzig in die Bundesliga gehört. Das müssen wir in den nächsten Jahren schaffen - am liebsten so schnell wie möglich. Sonst haben wir immer ein Problem. Das Ziel muss sein, die Mannschaft kontinuierlich voranzubringen, ohne hunderte von Millionen rauszuschmeißen.

SPOX: Provokant gefragt: Auf was können sich die Löwen-Fans in den kommenden drei, vier Jahren freuen?

Hinterberger: Erst einmal, dass wir nicht tot sind und in der Bayernliga spielen, und dass wir noch unser Nachwuchs-Leistungszentrum und eine Profimannschaft haben. Das ist das allerwichtigste und das sollte man so schnell auch nicht vergessen, denn die Rettung kam in allerletzter Sekunde. Hätte das nicht geklappt, wäre das Gejammer ganz groß und heute würde man auch nicht mehr hochkommen - vor allen Dingen, wenn die Strukturen des Vereins kaputt sind. Das ist schon mal große Freude. Dann hoffe ich, dass sie sich auf eine Mannschaft freuen können, die sich sukzessive Richtung Bundesliga entwickelt und die guten Fußball spielt. Wenn man wirklich um die ersten Plätze mitspielt, dann kommt alles andere von alleine: die Zuschauer, die Begeisterung. Das ganz große Ziel ist der Aufschwung. Aber wenn es so ist, dass man langsam dahinkommt, dann soll es so sein. Und noch einmal: In den letzten acht Jahren haben wir das Geld zum Fenster rausgeschmissen und zum Teil gegen den Abstieg gespielt. Das wollen wir nicht mehr erleben.

Florian Hinterberger im Steckbrief

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