Wenn Schwergewichte Schlange stehen

Von Martin Jahns
Leon Goretzka startet beim VfL Bochum in seine erste Profisaison
© Imago

Der VfL Bochum hatte in den letzten Jahren wenig Grund zum Feiern. Selbst in der zweiten Bundesliga sind die ehemals "Unabsteigbaren" zur grauen Maus mutiert. Anlass zur Hoffnung gibt nun das 17-jährige Eigengewächs Leon Goretzka.

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Der VfL Bochum hat wahrlich schon bessere Tage gesehen: Über Jahrzehnte galt der Arbeiterverein als unabsteigbar, weil er sich selbst unter den widrigsten Begleitumständen bis in die 90er Jahre hinein in der Bundesliga hielt.

Danach ging der VfL immerhin noch als Prototyp einer Fahrstuhlmannschaft mit vereinzelten Highlights wie den UEFA-Cup-Teilnahmen unter Klaus Toppmöller und Peter Neururer durch. Dieser Tage hat sich der VfL jedoch im Mittelfeld der zweiten Liga eingenistet - musste letzte Saison sogar lange um den Klassenerhalt bangen

Dennoch gaben sich in den vergangenen Monaten die großen Namen des europäischen Fußballs an der Ruhr die Klinke in die Hand. Verantwortlich dafür: ein 17-jähriger Gymnasiast. Leon Goretzka, eines der größten deutschen Talente, lockte laut "Reviersport" Vertreter der Schwergewichte Bayern München, Juventus Turin und Inter Mailand zum VfL.

Lob von Hermann Gerland

Schon im Januar machte Bayerns Co-Trainer Hermann Gerland deutlich, dass der Rekordmeister seine Fühler nach Goretzka ausgestreckt hat. In einer Talkrunde im Bochumer Schauspielhaus verkündete der "Tiger" über das Interesse am damals 16-Jährigen: "Ein Jugendspieler, der sehr interessant ist für den FC Bayern München. Ich habe mit dem VfL auch gesprochen. Ich habe gesagt, dass ich Interesse habe, diesen Spieler nach München zu holen."

Doch Goretzka will einen Schritt nach dem anderen machen: "Ernsthafte Gedanken, jetzt schon zu wechseln, habe ich mir nie gemacht. Ich plane die nächsten Jahre anders", sagte er zu "Reviersport". 2014 will der gebürtige Bochumer sein Abitur machen, bis dahin auch Fuß in der Profimannschaft des VfL gefasst haben.

Ein Herz für Bochum

Denn der VfL Bochum ist seit jeher sein Verein: "Ich weiß ja, warum ich in der Ostkurve stehe: um den Verein anzufeuern. Ich komme aus Bochum und bin VfL-Fan. Und wenn es irgendwie möglich ist, bin ich bei jedem Heimspiel im Stadion."

Nun geht er in seine erste Saison im Profikader. Schon in der vergangenen Spielzeit hätte ihn Trainer Andreas Bergmann am liebsten gebracht, doch die DFB-Statuten verboten einen Einsatz Goretzkas: B-Junioren dürfen weder in der ersten noch in der zweiten Mannschaft eines Profivereins eingesetzt werden.

Stattdessen sorgte der Mittelfeldspieler in der letzten Saison zunächst in der B-Jugend-, später dann ohne Anpassungsprobleme in der A-Jugend-Bundesliga für Furore. Elf Tore gelangen Goretzka in 15 Einsätzen bei Bochums U 19.

Wichtige Tore bei U-17-EM

Zudem absolvierte er in der Saison 2011/2012 17 Einsätze für die U-17-Auswahl des DFB. Bei der U-17-EM sorgte der 1,89 Meter große Schlaks mit zwei Kopfballtoren nach Standardsituationen in Ballack-Manier zunächst für den Finaleinzug und im Endspiel schließlich für das Erreichen des Elfmeterschießens gegen die Niederlande.

In seiner Spielweise erinnert Goretzka ein wenig an Bayerns Toni Kroos: Mit unaufgeregten, klaren Pässen lenkt er das Spiel, bestimmt das Tempo, strahlt aber mit seiner Körpergröße und Kopfballstärke mehr Torgefahr aus.

Goretzka erfüllt glänzend das heutzutage begehrte Profil eines spielenden Sechsers oder Achters: "In der A-Jugend habe ich auf der Sechs oder auf der Zehn gespielt und auf der Doppelsechs war ich der offensive Part. Ich bin alles, aber kein Abräumer vor der Abwehr", stellt der 17-Jährige klar.

Vorbild Toni Kroos

Sein spielerisches Vorbild sieht er in Toni Kroos: "Mir gefällt seine Spielart. Ich versuche, einen ähnlichen Weg zu gehen. Und auch was man so über seinen Charakter erfährt, muss er ein guter Typ sein", offenbarte der 17-Jährige im Interview mit "Reviersport".

Dariusz Wosz, Bochums einziger deutscher Nationalspieler der 90er Jahre und Goretzkas bisheriger U-19-Trainer beim VfL, prognostiziert ihm eine ähnliche Karriere: "Ich bin mir sicher, dass Leon Goretzka nächstes Jahr im Kader der ersten Mannschaft steht. Langfristig traue ich ihm, wenn er sich so weiterentwickelt, auch den Sprung in die A-Nationalmannschaft zu. Er ist verbissen, aber nicht verkrampft."

Vom DFB geehrt

Den ersten Schritt, die Etablierung im Profikader in der 2. Liga, könnte er schon in dieser Saison gehen. Denn der VfL hatte im zentralen Mittelfeld einen enormen Aderlass zu verkraften: Takashi Inui, Giovanni Federico, Kevin Vogt und Mimoun Azaouagh haben den Verein verlassen.

Ob der neu verpflichtete Japaner Yusuke Tasaka, wie von Sportdirektor Jens Todt erhofft, ein Spieler ist, der dem VfL im zentralen Mittelfeld sofort weiterhilft, steht noch in den Sternen. Dahinter steht Goretzka schon in den Startlöchern.

Und der hat nun auch von höchster Stelle Lorbeeren eingeheimst. Am 30. Juli zeichnete ihn der DFB in seiner Altersklasse mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold aus, dem Preis für den besten deutschen Nachwuchsfußballer.

Beim VfL gleich gefordert

Doch alles Lob, das in den letzten Wochen über Goretzka ausgeschüttet wurde, wird Makulatur, wenn der VfL Bochum wie schon in der letzten Saison in den Abstiegskampf geraten sollte.

Finanziell kann sich der Verein keine großen Sprünge leisten: Lediglich bei einem erfolgreichen Verkauf Zlatko Dedics wäre an eine weitere Neuverpflichtung zu denken.

So müssen es die jungen No-Names wie Marc Rzatkowski, Sören Bertram oder eben Leon Goretzka richten. Keine besonders dankbare Aufgabe, aber eine, die aus Profi-Frischlingen schon früh Charakterköpfe machen könnte. Gelingt Goretzka dies, klopfen die Schwergewichte des europäischen Fußballs wohl schon bald wieder in Bochum an.

Leon Goretzka im Steckbrief

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