"Kämpfen und siegen" - was unter Fans oftmals in aussichtslosen Spielsituationen als Appell an die eigene Mannschaft gerichtet ist, sich doch bitte "den Allerwertesten aufzureißen", hat sich Benjamin Köhler im Februar 2015 nach seiner erschreckenden Diagnose eines bösartigen Tumors im Lymphsystem in der Bauchregion wohl als Lebensmotto gesetzt. Die Nummer 7 von Union Berlin hat den Krebs besiegt. Und es kommt noch besser: Köhler steht wieder für die Eisernen auf dem Platz.
Wenn sich bei der Auswechslung eines Spielers das ganze Stadion samt Auswärtsblock erhebt, tritt meist ein Superstar von der großen Fußballbühne ab. Oder aber einer der großen Helden kehrt nach langer Verletzungspause auf den Rasen zurück. Beide Szenarien sind dennoch nicht vergleichbar mit dem Jubelsturm, der am Abend des 18. März 2016 in der Alten Försterei losbrach, als sich die 19.026 Zuschauer zu stehenden Ovationen erhoben.
"Das war sehr emotional, ich hätte nicht gedacht, dass es so laut wird", beschrieb Köhler, wie er den Moment erlebt hatte. Der wichtige Heimsieg Unions gegen den direkten Konkurrenten Eintracht Braunschweig geriet zur Randnotiz. "Du kommst gleich rein. Mach dich fertig." Schon die Worte von Co-Trainer Sebastian Bönig um 19.58 Uhr beim Stand von 2:1 für sein Team müssen für Köhler wie die schönste Sinfonie geklungen haben.
Besonders bemerkenswert: Köhler war die erste Einwechslung der Eisernen an diesem besonderen Abend. Der Routinier kam in der 77. Minute laut Coach Andre Hofschneider, um den Dreier zu halten. Mit Erfolg.
"Eigentlich hatte ich Urlaub geplant"
So märchenhaft die Geschichte des Pflichtspiel-Comebacks nach 455 Tagen Abstinenz auch klingt - die Zeit vor der Rückkehr ins Trikot der Köpenicker war für den gebürtigen Berliner ein harter Kampf. Die Tage nach der Diagnose glichen einem Höllenritt: "Eigentlich hatte ich geplant, in den Urlaub zu fahren, doch statt in der Sonne zu liegen, begann wenig später die erste Chemotherapie", erzählte Köhler in 11 Freunde.
Die Behandlung zermürbte den austrainierten Mittelfeldmann. "Tagelang hatte ich mit üblen Bauchschmerzen zu kämpfen, auch die Schmerztabletten halfen nichts. Ich konnte mich nicht viel bewegen und lag zu Hause vor der Glotze. Diese Zeit war echt beschissen", gab Köhler ungewohnt offen Einblick in seinen Krankheitsverlauf.
Sechs mal Chemo - und Köhler lächelt
Sechs Zyklen dieser strapaziösen Behandlung musste Köhler über sich ergehen lassen. In der Zeit kursierten Fotos von Köhler im Netz - ohne Gesichtsbehaarung, mit einer Cap zum Verdecken des kahlen Kopfes sowie blassem Teint. Der Fußballprofi war kaum noch wiederzuerkennen. Doch eins passte nicht dieses Bild eines Krebspatienten: Köhlers Lächeln - eine demonstrative Widerspiegelung seines positiven Denkens und eines unbändigen Kampfgeistes.
Ende Juli vergangen Jahres setzte Köhler auf seiner Facebook-Seite der Leidenszeit auch symbolisch ein Ende: "GOTT ich danke dir. I am healthy." Aufatmen. Vor allem für die Familie.
Hauptsächlich für sie hatte er der Krankheit den Kampf angesagt. "Ich habe Familie, bin Vater zweier Kinder, da kann ich nicht einfach aufgeben", sagte Köhler zwei Monate später der Frankfurter Rundschau. Seinem Sohn Dian gegenüber hatte er die Situation während seiner Krankheit verharmlost, vorgegeben "Bauchschmerzen" zu haben. Er hatte Dian aber aber versprochen, in naher Zukunft wieder die Fußballtreter zu schnüren.
Tattoo erinnert an die schwere Zeit
Die Leidenszeit hat ihre Spuren hinterlassen, auch ganz plakativ: Sein Nacken ziert seither ein Tattoo mit symbolischem Wert. Die Botschaft: "Hard times will always reveal true friends" ("In harten Zeiten zeigen sich die wahren Freunde"). Gestochen wie immer vom Tätowierer seines Vertrauens aus Frankfurt am Main. Die Stadt, in der er die längste und erfolgreichste Zeit seiner Karriere verbrachte.
Dort stülpte er sich in neun Jahren (2004 bis 2013) 257 Mal das Trikot mit dem Adler im Wappen über, steuerte 33 Tore bei, legte 35 weitere auf. Bei der Eintracht betrat der quirlige Sechser im Uefa-Cup auch das europäische Parkett. Über Kaiserslautern zog es ihn schlussendlich in den östlichen Teil Berlins. An den Ort, wo er im März 2016 wieder mit der Nummer 7 auf dem Trikot den Rasen der Alten Försterei betreten sollte. In einem unbeschreiblich emotionalen Moment.
Emotion und Willen, das sind Köhlers Zauberwörter. Im Fußball aber regieren bekanntlich Verträge. Der des Publikumslieblings in der Hauptstadt läuft im Sommer aus.
Zeit, nach seinem emotionalen Comeback abzutreten? "Das passiert dann, wenn es keinen Weg mehr gibt, irgendwo zu spielen oder mich nichts reizt. Davon gehe ich aber nicht aus. Ich habe es bis hierhin geschafft. Deswegen werde ich nicht direkt aufhören", hatte Köhler bereits vor seinem Comeback gesagt.
Zeit, wieder in die Zukunft zu blicken. Im August wird Köhler 36.
Benjamin Köhlers Karriere in Zahlen