"Schlimmer als ein Miederschlüpfer"

Benjamin WahlenFrank OschwaldAdrian Fink
10. Mai 201612:02
RB Leipzig ist sieben Jahre nach der Gründung in der ersten Liga angekommenspox
Werbung

Mit dem Bundesliga-Aufstieg hält RB Leipzig ein vor sieben Jahren gegebenes Versprechen ein und spaltet Fußball-Deutschland. Die Bullen haben ehrgeizige Ziele und ein starkes Gespann in ihren Reihen. Die SPOX-Redakteure Benjamin Wahlen, Frank Oschwald und Adrian Fink und mySPOX-User ausLE diskutieren: Was bedeutet der Aufstieg von RB Leipzig?

Ist RB Leipzig eine Bereicherung für die Bundesliga?

Benjamin Wahlen (SPOX): Ja und nein. Sicherlich wird das gesamte Projekt für gehörig Zünd- und Diskussionsstoff sorgen. RB wird eine hohe Aufmerksamkeit genießen und eine schlagkräftige Truppe zusammenstellen. Außerdem wird die Stimmung in den Stadien kochen, wenn RB zu Gast ist. Für die Romantik im Fußball ist der Aufstieg hingegen schlimmer als ein Miederschlüpfer. Die Fans der Traditionsklubs werden die Spiele in Leipzig meiden, auch die Anzahl der Anhänger, die RB begleiten, wird sich entgegen Rangnicks Aussagen im überschaubaren Rahmen halten. Aber hey: An Hoffenheim hat man sich inzwischen ja auch irgendwie gewöhnt.

Frank Oschwald (SPOX): Vermutlich werde ich mir mit meiner Meinung jetzt nicht unbedingt Freunde machen. Aber ich bin der Überzeugung, dass RB Leipzig die Bundesliga bereichern wird. Klar wäre es schön(er), wenn wir wieder St. Pauli in der Bundesliga hätten. Doch anders als ein klassischer Aufsteiger hat das Projekt Leipzig das Potenzial, die Liga umzukrempeln und alte Strukturen zu lösen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte, dass auch die deutsche Nationalmannschaft auf Dauer profitiert. Die Nachwuchsarbeit bei RB ist schließlich so gut wie sonst fast nirgends. In Leipzig können sich Talente in perfekten Rahmenbedingungen entwickeln. Da fällt auf Dauer sicherlich etwas für den Bundes-Jogi ab.

Adrian Fink (SPOX): Ja, die Bundesliga wird von RB auf jeden Fall profitieren. In erster Linie natürlich sportlich, denn mit den Bullen kommt ein Team in das deutsche Oberhaus, das mit technisch versiertem Offensivfußball begeistern kann. Aber auch neben dem Platz kann sich die Bundesliga auf einen weiteren polarisierenden Verein freuen - der Diskussionsstoff wird in Leipzig nie ausgehen. Das Projekt erinnert angesichts der wirtschaftlichen Kraft zwangsweise an Hoffenheim und die TSG hat sich mittlerweile ebenfalls in der Bundesliga etabliert. Um es mit den Worten von Davie Selke zu sagen: "Die Bundesliga darf sich auf eine Mannschaft freuen, die Bock hat - und auf eine Region, die fußballbegeistert ist."

mySPOX-User ausLE: Als Leipziger kann ich darauf nur mit Ja antworten. Wir werden faire und stimmungsvolle Gastgeber sein. Die Stadt, die Fans, die Spieler und ja, das gesamte Zentralstadion freuen sich einfach darauf, dass es hier wieder Erstligafußball zu sehen gibt. Ich habe jetzt schon viele Anfragen für Karten für die kommende Saison bekommen. Auch wenn es da unten auf dem Platz um wichtige Punkte geht, ich werde mich bei Niederlagen gegen den Effzeh oder BMG mit einem Lächeln ertappen. RBL wird den Fußball nicht neu erfinden bzw. vortragen, aber mit seiner jugendlichen und manchmal naiven Spielweise hoffentlich etwas frischen Wind in die Fußballtempel der 1. Liga bringen.

Was ist in der kommenden Saison von RB zu erwarten?

Benjamin Wahlen (SPOX): Während viele bereits den Angriff auf die internationalen Plätze erwarten, sehe ich RB vor einer schwierigen Saison. Das Niveau in der Bundesliga ist viel höher als eine Klasse darunter, was den an Erfolg und Leichtigkeit gewöhnten Profis zunächst einiges abverlangen wird. Auch Ralph Hasenhüttel wird eine gewisse Anpassungszeit benötigen. Eine Platzierung zwischen Platz acht und 13 halte ich aber für realistisch.

Frank Oschwald (SPOX): Die Aufgabe der Verantwortlichen wird es zunächst sein, die Erwartungen vor dem Saisonstart erst mal zu dämpfen. Da es sich ja doch um einen speziellen Aufsteiger handelt, spricht gleich jeder von Europa und dem großen Durchmarsch. Das wird so nicht passieren. Ich gebe dir völlig Recht, Ben, in der Bundesliga weht ein ganz anderer Wind. An dieses Umfeld müssen sich die Leipziger erst mal gewöhnen. Das wird etwas dauern. Nach oben wird nicht viel gehen, mit dem Abstieg hat RB aber auch überhaupt nichts am Hut.

Adrian Fink (SPOX): Leipzig wird - ähnlich wie die Hoffenheimer damals - in seiner ersten Bundesliga-Saison nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben. Dafür ist der Kader von RB verglichen mit der Konkurrenz aus dem Tabellenkeller einfach zu stark. Zumal Rangnick und Co. im Sommer mit Sicherheit nicht untätig bleiben, sondern die Mannschaft punktuell deutlich verstärken werden. Allerdings glaube ich nicht, dass die Bullen bereits ins internationale Geschäft stürmen. Ein gefestigter Mittelfeldplatz ist realistisch.

mySPOX-User ausLE: Ich drücke bei dieser Frage gerne auf die Bremse. Die Wahrscheinlichkeit, ein zweites 1. FC Kaiserslautern unter Otto Rehhagel zu erleben, ist gleich Null. Wenn am Ende der Saison ein Platz zwischen acht und zwölf rauskommt und Rasenballsport Leipzig nix mit dem Abstieg zu tun hat, dann wäre ich mehr als zufrieden. Die 1. Liga ist eine ganz andere Nummer, und da wird jeder Fehler bestraft. Dazu kommt, dass die Gegner von RBL in der Regel mit 110 Prozent spielen, ob sie nun Meuselwitz oder Mainz heißen.

Kann RB auf lange Sicht ein Konkurrent für die Spitzenteams der Liga werden?

Benjamin Wahlen (SPOX): Wie schwer es ist, sich zu etablieren, zeigt das Beispiel Hoffenheim. Herbstmeister in der Premierensaison, jetzt ständiger Abstiegskandidat. Allerdings hat Leipzig finanziell ganz andere Möglichkeiten als Hoffenheim, das Jahr für Jahr Leistungsträger ziehen lassen musste, und mit Ralf Rangnick den Mann, der 1899 aus genau diesem Grund verließ. Rangnick hat klare Absprachen und Vorstellungen, was das Halten von Leistungsträgern und das Verpflichten von Hochkarätern angeht und weiß diese auch durchzusetzen. Um aber wirklich in die Sphären von Bayern und Dortmund vorstoßen zu können, müssten in Leipzig trotz des Drucks über einige Jahre sehr viele richtige, rationale Entscheidungen getroffen werden - und daran glaube ich nicht.

Frank Oschwald (SPOX): Langsam, langsam, Leipzig ist jetzt erst einmal in die Bundesliga aufgestiegen. Man hat also gerade einmal den ersten Schritt eines Marathons gemacht, jetzt folgen weitere 42,194 Kilometer. Jetzt schon von einem Angriff auf die Spitze zu sprechen, wäre zu früh. Das wird es in diesem Jahrzehnt nicht mehr geben. Dazu sind die anderen Mannschaften einfach viel zu weit enteilt. Leipzig muss zunächst einmal schauen, dass sie sich gesund entwickeln und in der Liga etablieren. Gelingt dies, ist ein Angriff gut denkbar, denn das Potenzial hat der Verein.

Adrian Fink (SPOX): Ja. Mit der finanziellen Potenz, die nun mal dahintersteckt, sind die Voraussetzungen für einen Angriff auf die Top-Teams der Liga auf jeden Fall gegeben. Nach dem ungefährdeten Klassenerhalt im Premierenjahr können die Roten Bullen den internationalen Wettbewerb als realistisches Ziel ausgeben. Aber auch wenn ich Leipzig durchaus zutraue, innerhalb der nächsten fünf Jahre zur dritten Kraft in Deutschland aufzusteigen, sind der BVB und die Bayern kurz- und auch mittelfristig mindestens eine Kragenweite zu groß. Bis RB sich auf einem Niveau mit den Dortmundern oder gar den Münchnern wägen darf, fließt noch reichlich Wasser die Pleiße hinunter.

mySPOX-User ausLE: Lang ist relativ. Aber wenn ich mir die Tabelle von vor sechs Jahren ansehe und schaue, wo einige Mannschaften jetzt stehen, dann gibt es viel Bewegung nach oben wie auch nach unten. Ich bin mir aber sicher: Solange Entscheidungsträger wie Mintzlaff und Rangnick das Sagen haben, wird Rasenballsport Leipzig sich Stück für Stück nach oben herantasten. Aber bei aller Euphorie vom 08.05.2016, denke ich nicht an die CL-Hymne oder eine Meisterschaft.

Ist Ralph Hasenhüttl der richtige Mann für Leipzig?

Benjamin Wahlen (SPOX): Hasenhüttl hat in Unterhaching, Aalen und vor allem Ingolstadt unter Beweis gestellt, dass er in der Lage ist, eine eigene Spielidee zu entwickeln und eine Mannschaft dabei stetig zu verbessern. Außerdem ist er es aus Ingolstadt - wenn auch in einem ganz anderen Umfang - gewöhnt, dass ein Konzern im Hintergrund die Finger mit im Spiel hat. Auch seine offensive Spielweise passt zu RB und Rangnicks Vorstellungen. Die einzig mögliche Hürde sehe ich im Umgang mit den Star-Spielern. Hier erwarten Hasenhüttl ganz andere Kaliber als bei seinen vorherigen Stationen.

Frank Oschwald (SPOX): Klar ja! Rangnick hat sich für die Trainer-Frage sehr lange Zeit gelassen und mit Bedacht entschieden. Ihm überreicht Rangnick sein kleines Baby, das er in den letzten Jahren erzogen hat. Die Grundstrukturen hat der jetzige Coach selbst geschaffen, für Hasenhüttl geht es darum, das Werk zu verfeinern und entsprechend an die Bundesliga anzupassen. Und das wird der designierte Trainer auch schaffen. Er kennt die Bundesliga und wird sich in das Projekt Leipzig reinfuchsen. Klar, die Arbeit unter den Fittichen von Rangnick könnte Probleme bergen, doch ich kann mir vorstellen, dass er eine Ära in Leipzig prägen wird.

Adrian Fink (SPOX): Eins ist klar: Hasenhüttl hat sich sportlich gesehen für das Risiko entschieden. In Ingolstadt übertraf er die überschaubaren Erwartungen deutlich und hatte nach den Erfolgen in den vergangenen Saisons ein Stein im Brett. Bei RB ist das anders. Die Erwartungen sind hoch und bleiben die Resultate aus, hat Hasenhüttl mit Ralf Rangnick einen starken und entscheidungsfreudigen Mann im Rücken. Stagnation ist bei RB Leipzig nicht vorgesehen. Alexander Zorniger lässt grüßen. Trotzdem ist es die richtige Entscheidung. Auch mit dem FCI ließ Hasenhüttl aggressives Gegenpressing spielen und feierte so den souveränen Klassenerhalt. Eine Philosophie, die beinahe schon prädestiniert ist für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Rangnick.

mySPOX-User ausLE: Auf jeden Fall! Auch für mich die 1a-Lösung. Die wichtigste Personalentscheidung 2016 ist getroffen und nun kann man in aller Ruhe für die neue Saison planen. Ralph Hasenhüttl und Ralf Rangnick kennen und schätzen sich. Dazu kommt, dass der Fußball unter Hasenhüttl dem der Leipziger nicht unähnlich ist, sprich eine ähnliche Spielphilosophie dahinter steht. Es gilt aber, den nächsten Schritt zu machen und nicht immer in Schönheit sterben, und dafür ist er meiner Meinung nach der richtige Trainer.

Was bedeutet der Aufstieg für die Traditionsvereine?

Benjamin Wahlen (SPOX): Zunächst einmal einen ernst zunehmenden Konkurrenten. Sei es Gladbach beim Kampf um die internationalen Plätze oder der HSV um einen gesicherten Mittelfeldrang: Leipzig ist jetzt da, stark, hat Geld, geballte Fußball-Kompetenz und offensiv formulierte Ziele. RB ist kein Aufsteiger wie Darmstadt oder Braunschweig, der sich meist nur kurz halten kann. Gleichzeitig ist der RB-Aufstieg für einige Klubs auch eine schallende Ohrfeige - Geld und Retorte hin oder her. In Leipzig wird gute Arbeit geleistet und die Fehler, die beispielsweise Bremen, Frankfurt, Stuttgart und den HSV in den letzten Jahren haben in den Keller durchrutschen lassen, vermieden.

Frank Oschwald (SPOX): Das sehe ich ähnlich, Ben. Da Leipzig sich in der Bundesliga festbeißen wird, fällt hinten eine Traditionsmannschaft runter. Aktuell ist das ja schon der Fall, denn Stuttgart und RB werden aller Voraussicht nach die Ligen tauschen. RB dafür an den Pranger zu stellen, ist allerdings Quatsch. Die Traditionsvereine haben es oft selbst verbockt, falsche Entscheidungen getroffen und alte Strukturen nicht aufgebrochen. Das ist bei Leipzig etwas anders. Rangnick konnte wie bei Anstoß 3 mit einem weißen Blatt Papier anfangen und genau die Vereinsstrukturen etablieren, die er für richtig hält. Das ist sicherlich ein großes Plus.

Adrian Fink (SPOX): Der Konkurrenzkampf nimmt logischerweise zu. In den letzten Jahren sind ja mit dem VfB, Werder Bremen, Eintracht Frankfurt oder dem HSV bereits einige Traditionsvereine in den Abstiegssumpf geraten und einen davon erwischt es am Wochenende auch. Da Leipzig kein gewöhnlicher Aufsteiger mit dem Ziel Klassenerhalt ist, verschärft das die Situation für den HSV und Co.. Man kann RB aber keinen Strick daraus drehen, dass sie sich als Bundesliga-Team etablieren und Teams wie Gladbach oder Schalke mächtig Feuer machen werden. In Leipzig wird das Geld sinnvoll in die Hand genommen und das Projekt mit Köpfchen voran getrieben.

mySPOX-User ausLE: Im Grunde nichts. Wenn jene, die zu dem Team Marktwert gehören, ihre Hausaufgaben machen, werden auch die Spiele gegen Rasenballsport Leipzig zu einem Highlight - inklusive guter TV-Quoten, wie es schon in der 2. Liga bewiesen wurde. Für mich schließt sich mit dem Thema "Tradition" eher ein Kreis. Denn unweit von der Red Bull Akademie bzw. dem Trainingsgelände ist 1900 der DFB gegründet worden - und Leipzig stellte den ersten deutschen Meister. Mehr Tradition geht doch eigentlich nicht.