Dariusz Wosz kam aus Polen in die DDR. Fast wäre er professioneller Eisschnellläufer geworden, doch die Liebe zum Fußball sollte das verhindern. Nach einem Turnier im Westen bot man ihm die Flucht aus der DDR an. Beim VfL Bochum ist er eine Legende, auch dank Peter Neururer. Mit dem Fußballgeschäft hat er trotzdem ein großes Problem. SPOX sprach mit Wosz über seine bewegte Karriere.
SPOX: Herr Wosz, Sie siedelten als Kind von Polen in die DDR über. Wie groß war der Kulturschock?
Dariusz Wosz: Da ich Deutsch weder sprechen noch schreiben konnte, war es extrem schwierig. Ich habe in der Schule niemanden verstanden, musste aber trotzdem den Sprung in die nächste Klasse schaffen. Ich habe damals mit Fußball vieles kompensiert, besonders schulische Probleme. Auf dem Platz konnte ich mich ausleben. Fußball war meine Rettung.
SPOX: Wie kam es, dass Sie neben dem Fußball auch Eisschnellläufer wurden?
Wosz: Das war der Zusatzsportunterricht in der DDR. Entweder man ging schwimmen oder hat Eisschnelllauf gemacht - und ich war ein mieser Schwimmer. Beim Eisschnelllauf war ich hingegen begabt und man hat mich gefragt, ob ich nicht für die Jugendauswahl der DDR laufen möchte. Ich musste denen dann eine Absage erteilen, weil ich als Jugendlicher beim Halleschen FC gespielt habe.
SPOX: Dort hat Sie Karl Trautmann trainiert. Welche Bedeutung hat er in Ihrer Karriere eingenommen?
Wosz: Er war mein Entdecker, dem ich meine ganze Karriere verdanke. Er ist für mich so etwas wie mein zweiter Vater gewesen. Über mich hat er mal gesagt: Vom Körperwuchs her ist er ein Kleiner, aber er kann ein ganz Großer werden.
SPOX: Stimmt es, dass Sie mit 16 Jahren nach einem Auslands-Turnier eine Flucht-Möglichkeit aus der DDR abgelehnt haben?
Wosz: Mich hat damals im Flieger jemand aus dem Westen gefragt, ob ich mir vorstellen kann, in der Bundesliga zu spielen. Da lag ein konkretes Angebot vor und es wäre gleichzeitig meine Flucht aus der DDR gewesen. Es hätte aber auch jemand von der Stasi sein können, der mich testen wollte. Da konnte man sich damals nicht sicher sein.
SPOX: Hätten Sie damals schon gerne in der Bundesliga gespielt?
Wosz: Mein großes Ziel war immer der Westen und die Bundesliga, aber ich war nie so Fußball-bekloppt, dass ich Vorbilder hatte. Wenn ich Fußball gespielt habe, sah ich vielleicht bekloppt aus, aber ich habe auch nie Trikots gesammelt oder so. Das war mir nie wichtig.
SPOX: Ihre erste Station im Westen war der VfL Bochum. War Ihre Herkunft in Bochum ein Thema?
Wosz: Nein, mit mir kamen weitere fünf Spieler aus dem Osten zum VfL Bochum und ich habe versucht, mich mit jedem anzufreunden. Mir war es egal, ob die Leute aus dem Westen, Osten oder aus Kamerun kamen. Das größere Problem war für mich war vielmehr meine Ablösesumme. Der Verein hatte viel Geld für mich bezahlt und ich hatte den Druck, diese Summe mit guter Leistung zurückzuzahlen.
SPOX: Das hat aber gut geklappt: Nach dem Aufstieg in die Bundesliga 1996 sind Sie mit Bochum in den UEFA Cup gekommen...
Wosz: Das war schon eine unglaubliche Leistung, die wir natürlich gefeiert haben - und das nicht zu knapp. Das Feierbiest der Mannschaft war ich allerdings nie. Ich kam ja aus dem Osten und da muss man sich auch ein bisschen zügeln. Für die Eskapaden waren die Kollegen zuständig.
SPOX: Jemand, der beim Feiern auch nicht zu kurz tritt ist Peter Neururer, unter dem Sie jahrelang gespielt haben.
Wosz: Ja zum Glück! Für mich ist Peter Neururer der beste Trainer, den ich hatte. Er hat sich immer vor die Mannschaft gestellt. Wenn wir Mist gespielt haben, hat er sich vor die Presse gestellt und gesagt: "Ich bin daran Schuld und nicht die Mannschaft. Ich habe die Sprüche gemacht, also kritisiert mich.'' Im Training hat er uns dann aber spüren lassen, was wir da für Mist gespielt haben. Ähnlich wie auch Klaus Toppmöller hat er immer positiv gedacht und so das Maximum aus uns herausgeholt.
SPOX: Obwohl der von Ihnen gelobte Klaus Toppmöller noch Trainer war, wechselten Sie 1998 zur Hertha. Warum?
Wosz: Ich habe damals beim VfL Bochum ein paar Probleme gehabt und nicht viel gespielt. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen und ich hatte Angebote vom FC Valencia, von Paris Saint Germain und der Hertha. Die Entscheidung fiel dann auf Berlin.
SPOX: Im Endeffekt die richtige Entscheidung?
Wosz: Dritter Platz in der Bundesliga, Champions League und zwei Jahre UEFA Cup - alles richtig gemacht. Als Hertha dann neue Spieler gekauft hat, haben sie mich wieder weggejagt. Und trotzdem: Bei der Hertha hatte ich die geilste Zeit, die ich als Fußballer je erleben durfte, weil wir auch neben dem Platz eine geniale Truppe waren. Michael Preetz, Pal Dardai und Gabor Kiraly, das waren noch Typen! Dass der Gabor immer noch spielt, ist unfassbar. Er ist ein einmaliger Junge!
SPOX: Nicht nur auf Vereinsebene haben Sie Erfolge gefeiert: Sie waren sowohl für die DDR, als auch später für die deutsche Nationalmannschaft aktiv. Wie haben sich die Verbände unterschieden?
Wosz: In der DDR haben wir wesentlich mehr trainiert und auch deutlich härter, das war eine richtig gute Ausbildung. Es kam nicht von ungefähr, dass viele aus dem Osten dann nach der Wende für Deutschland gespielt haben. Mein Problem war nur, dass ich auf meiner Position viele namhafte Spieler wie Stefan Effenberg, Icke Häßler, Mehmet Scholl, Andreas Möller und später Sebastian Deisler vor mir hatte.
SPOX: In beiden Auswahlen haben Sie mit Matthias Sammer zusammen gespielt. Wie haben Sie ihn erlebt?
Wosz: Matthias ist kein einfacher Typ. Der wollte immer etwas erreichen und das hat man gemerkt. Er hat sich vom Weg nicht abbringen lassen.
SPOX: Gemeinsam haben Sie auch die EM 2000 bestritten. Wie war diese Erfahrung für Sie?
Wosz: Da wir lächerlicherweise in der Gruppenphase ausgeschieden sind und ich keine Minute auf dem Platz stand, war es sportlich gesehen schwach. Für mich war es trotzdem eine Ehre mit Leuten wie Lothar Matthäus zu spielen. Man kann sagen: großartige Erfahrung, beschissenes Turnier.
SPOX: Zum Abschluss Ihrer Karriere wechselten Sie vom VfL Bochum in der Bezirksliga zu Union Bergen. Gab es keine anderen Angebote?
Wosz: Unter Marcel Koller habe ich nur noch 20 Minuten gespielt und deshalb den Entschluss gefasst, aufzuhören. Sonst trainiert man ein Jahr für nichts, dafür ist mir mein Körper zu schade. Ich hätte auch in die zweite Liga gehen können, aber nach jahrelanger Bundesliga-Erfahrung wollte ich zum Karriereende hin nicht eine Etage tiefer. Eine andere Alternative wäre ein Wechsel die USA gewesen, aber ich fühle mich hier in der Gegend wohl.
SPOX: Können Sie sich vorstellen, irgendwann als Cheftrainer in der Bundesliga zu arbeiten?
Wosz: Nein auf keinen Fall, Sie werden mich nie als Cheftrainer in den ersten drei Ligen Deutschlands sehen.
SPOX: Warum?
Wosz: Man muss sich das Geschäft nur anschauen. Fußball ist ein knallhartes Business, in dem sich nur nach Ergebnissen orientiert wird. Kaum ein Trainer kann noch langfristig eine Idee entwickeln. Deshalb werde ich vielleicht mal als Co-Trainer arbeiten, aber nie im Leben als Cheftrainer.
SPOX: Für ihren ehemaligen Kollegen Pal Dardai läuft es allerdings ganz gut...
Wosz: Es gibt so Typen wie Pal, die den ständigen Druck brauchen. Ich will das nicht haben, weil ich weiß, wie das Geschäft läuft. Das geht schon mit dem Verhalten der Jugend los. Wie die heute mit Trainern, Profis oder Ex-Profis reden, das ist unverschämt. Früher hieß es: "Kann ich mal bitte ein Autogramm haben?" Heute hört man nur: "Ey Bruder, ey Alter." Danke und Bitte hört man nur noch selten.
SPOX: Das sind deutliche Worte, die man so selten hört. Haben Sie auch keine Lust auf einen Funktionärsposten?
Wosz: Um Gottes Willen! Nichts gegen gewisse Leute, aber da sind teilweise Typen am Werk, die noch nie gegen einen Ball getreten haben. Oft sind Vorstände, Präsidenten und Manager auch die Problemzonen im Verein. Es klingt abgedroschen, aber die Wahrheit liegt auf dem Platz und nicht an der Tafel oder im Laptop.
SPOX: Also halten Sie auch nicht auch nicht viel von Laptop-Trainern?
Wosz: Ich sehe es zumindest kritisch, denn das größte und schönste Konzept kann trotz der Datenanalysen in die Hose gehen. Auch wenn Spieler Berechnungen zufolge nach 80 Minuten übersäuert sind, können die dann nicht zum Schiedsrichter gehen und sagen: "Schiri ich muss raus ich bin übersäuert." Man muss bei Spielen wie bei der EM oder der Champions League auch mal in den roten Bereich gehen.