Dirk Schuster erlebte als Trainer einen steten Aufstieg, der 2015 mit dem Durchmarsch in die Bundesliga und dem sogenannten Wunder von Darmstadt gipfelte. Nach dem ebenfalls sensationellen Klassenerhalt mit dem SVD übernahm der 50-Jährige beim FC Augsburg - und musste nur fünf Monate später wieder gehen.
Seit Dezember 2017 ist Schuster zurück an alter Wirkungsstätte in Darmstadt. Im Interview spricht er über die Laptop-Trainer-Diskussion, das Aus beim FCA, den Beinahe-Wechsel nach Zypern und sein Alter.
SPOX: Herr Schuster, seit längerer Zeit schwelt die Diskussion um sogenannte "Laptop-Trainer", die für manche den Trainermarkt derzeit überfluten. Was halten Sie von der Debatte?
Dirk Schuster: Ich brauche diese Klassifizierungen nicht, sondern empfinde die Entwicklung auf dem Trainermarkt als sehr positiv. Julian Nagelsmann war die Initialzündung, die sich nun fortsetzt. Diese jungen Trainer haben bislang allesamt einen sehr guten Job gemacht. Das gilt aber wiederum auch für einen alten Haudegen wie Friedhelm Funkel, der mit Fortuna Düsseldorf sehr ernsthaft an der Tür zur Bundesliga klopft. Davon auszugehen, dass sich gestandene Trainer nicht mit den Mitteln der modernen Kommunikation auseinandersetzen, ist ein Irrglaube. Diese Entwicklung kann doch gar nicht an einem Trainer vorübergehen. Heruntergebrochen gibt es bei Trainern dieselben fließenden Grenzen wie bei Spielern: Es gibt sehr gute, gute und Trainer, die nicht ganz so erfolgreich waren.
SPOX: Es heißt, ein ehemaliger Spieler hätte viele Situationen schon durchlebt und dadurch einen praktischen Erfahrungsvorsprung. Ist der aber heutzutage überhaupt noch notwendig, wenn sich die Zeiten im Fußball derart verändert haben?
Schuster: Nein. Das war er im Grunde auch nie, wenn ich da an Christoph Daum oder Peter Neururer in der Vergangenheit denke. Diese Fragestellung hat eben die Diskussion um die jungen Trainer mit sich gebracht. Es ist aber ohne Zweifel hilfreich, gewisse Situationen und Strömungen innerhalb der Kabine abschätzen zu können. Denn dort hat sich über die Jahre nur wenig verändert. Man kann einem Spieler leichter erklären, weshalb er nicht spielt oder welchen Platz er in der Hierarchie in der Mannschaft einnimmt, wenn man diese Gespräche selbst schon als Spieler erlebt hat. So lassen sich auch Reaktionen und ein gewisses Verhalten bei den Spielern hervorrufen.
spoxDirk Schuster über Mehmet Scholl, Stefan Effenberg und Lothar Matthäus
SPOX: Thomas Tuchel, Manuel Baum, Julian Nagelsmann oder Domenico Tedesco hatten alle keine hochtrabenden Spielerkarrieren, stehen aber für die Zukunft der deutschen Trainergilde. Warum scheinen diesen Trainern die Erfahrungswerte als Spieler nicht zu fehlen?
Schuster: Diese Trainer sind nicht nur im theoretischen Bereich stark. Sie bringen alle ihre eigenen Charakteristika und Ideen vom Fußball mit, noch dazu haben sie durch die UEFA Pro Lizenz eine tolle Ausbildung genossen. Cheftrainer arbeiten zudem in einem hervorragenden Umfeld, in dem ihnen viele Spezialisten zur Seite stehen, die ihnen aus anderen Bereichen heraus zuarbeiten. Diese Expertisen fließen heute alle bedeutend mehr ein als noch vor zehn Jahren. Für sie sind diese Begebenheiten weniger neuartig als für Trainer oder ehemalige Spieler, die schon seit 20, 30 Jahren dabei sind.
SPOX: Mehmet Scholl ist der Meinung, dass der deutsche Fußball mit dieser Entwicklung des Trainermarkts sein blaues Wunder erleben wird.
Schuster: Ich kenne Mehmet gut. Er ist jemand, der die Dinge klar beim Namen nennt und mit seinen Sprüchen auch mal bewusst über das Ziel hinausschießt. Er hätte gern, dass diese typischen Fußballer von früher, die den Fußball permanent gelebt haben, mehr Möglichkeiten bekommen, ihr Können als Trainer unter Beweis zu stellen. Das ist seine Sichtweise, die ich auch nicht verurteile. Ich weiß, dass sie bei einigen Kollegen auf Verständnis stößt. Seine Meinung ist inhaltlich vielleicht etwas überzogen, aber sie ist es wert, darüber nachzudenken.
SPOX: Scholl ist der Urheber des Begriffs "Laptop-Trainer". Er wünscht sich mehr ehemalige Spieler als Trainer und auch Typen, die ihm weniger aalglatt erscheinen. Andererseits haben die in diesem Kontext oft bemühten Stefan Effenberg oder Mario Basler auf ihren bisherigen Trainerstationen keinen Erfolg vorweisen können.
Dirk Schuster: "Von Gehirnwäsche kann keine Rede sein"
Schuster: Ich bin überzeugt davon, dass Effenberg ein hervorragender Trainer sein kann. Sein kurzes Intermezzo in Paderborn stand wohl unter keinem günstigen Stern. Aber seine Erfahrung als Spieler, seine Persönlichkeit und die Werte, die er verkörpert, passen eigentlich ideal zum Trainerberuf. Ähnliches gilt für Lothar Matthäus, der ein absoluter Fachmann ist und einen riesigen Erfahrungsschatz mitbringt. Ich finde es schade, dass er in den deutschen Bundesligen nie eine Chance erhielt zu zeigen, was er auf dem Kasten hast.
SPOX: Halten Sie eigentlich die Tatsache, dass für Trainer kaum Ablösesummen gezahlt werden, noch für zeitgemäß?
Schuster: Man muss das in Relation sehen: Es muss nicht das Ziel sein, die Ablösesummen von Trainern in die Höhe zu treiben. Der Markt bestimmt auch immer den Preis. Ich stelle die Gegenfrage: Was wäre beispielsweise Borussia Dortmund bereit gewesen zu zahlen, wenn nach dem Ende von Peter Bosz Jürgen Klopp zur Verfügung gestanden hätte? Das wäre bestimmt kein geringer Betrag gewesen. Wie sich die Ablösesummen in Zukunft entwickeln, vermag ich aber nicht zu beurteilen.
SPOX: Im Dezember 2007 bestanden Sie als Lehrgangsbester den 54. Lehrgang für DFB-Fußballlehrer an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Köln. Wie haben Sie den Lehrgang wahrgenommen - auch als "elfmonatige Gehirnwäsche", wie Scholl behauptet?
Schuster: Überhaupt nicht, von Gehirnwäsche kann keine Rede sein. Es war ein sehr sachlicher Kurs, bei dem wir sehr gut auf sämtliche Gebiete des Fußballs vorbereitet wurden. Als ich dort als ehemaliger Bundesligaprofi ankam, der bereits im Nachwuchsbereich Erfahrung gesammelt hat und einen unterklassigen Verein trainierte, dachte ich, dass ich schon ein bisschen Wissen mitbringen würde. Wie sich aber herausstellte, bin ich gewissermaßen als Vollidiot dorthin gefahren. Ich habe in der Folge die Inhalte wirklich aufgesaugt, weil sie so lehrreich waren.
Schuster und Co. - die Jahrgangsbesten des DFB-Lehrgangs
Jahrgang | Bester Absolvent |
2017 | Damir Dugandzic |
2016 | Domenico Tedesco |
2015 | Florian Kohfeldt |
2014 | Achim Beierlorzer |
2013 | Frank Kramer |
2012 | Alexander Zorniger |
2011 | Jan-Moritz Lichte |
2010 | Mario Himsl |
2009 | Holger Stanislawski |
2008 | Dirk Schuster |
2007 | Karsten Baumann |
SPOX: Ihr Lehrgang liegt zehn Jahre zurück. Sie genossen die Ausbildung noch unter Erich Rutemöller, nun ist Frank Wormuth der Chefausbilder.
Schuster: Es hat sich seitdem innerhalb des Lehrgangs natürlich einiges verändert. Er dauert nun länger, verschiedene Inhalte werden - soweit ich das gehört habe - anders akzentuiert. Man legt mehr Wert auf Videoanalysen und Power-Point-Präsentationen. Durch die technischen Hilfsmittel hat sich das in den letzten Jahren mehr in diese Richtung entwickelt.
SPOX: Nachdem Sie die Ausbildung abgeschlossen haben, ging es im Grunde nur bergauf für Sie. Beim FC Augsburg hielten Sie sich zuletzt aber nur fünf Monate. Hätten Sie gedacht, dass der erste Job nach der erfolgreichen Zeit Darmstadt so zügig in die Hose geht?
Schuster: Natürlich hatten wir das Ziel, längerfristig in Augsburg zu arbeiten, wenngleich man als Trainer ja ohnehin nie wirklich langfristig planen kann. Die Sache mit der Schnelllebigkeit ist wirklich keine Floskel. Es wird schnell sehr vieles in Frage gestellt, wenn mal drei Ergebnisse am Stück nicht passen. Für mein Team und mich war es eine zwar ungewollte, aber wertvolle Erfahrung - gerade im Hinblick auf die Zukunft und die Arbeit hier in Darmstadt. Wir haben viel gemeinsam reflektiert und geschaut, was gut lief und wo es auch Verbesserungsmöglichkeiten in unserer Arbeit gibt.
SPOX: Was hat dieses Nachdenken ergeben?
Schuster: Es hat zunächst einen gewissen Zeitraum gebraucht, bis wir als Trainerteam das Geschehene überhaupt richtig einordnen konnten. Wir haben uns ein paar Monate nach dem Aus beim FCA an einen ruhigen Ort zurückgezogen und die Zeit in Darmstadt und Augsburg selbstkritisch aufgearbeitet. Da ging es um den Umgang mit grundsätzlicheren Themen: wie man Konflikte besser löst oder wo wir gegenüber handelnden Personen falsch reagiert haben. Wir haben auch gesehen, dass es uns zum Beispiel gut tat, uns bei der Vorbereitung der Mannschaft auf die Spiele stärker hinsichtlich moderner Hilfsmittel geöffnet und Spielsituationen häufiger vorab visualisiert zu haben.
Dirk Schusters Stationen als Trainer
Verein | Amtsbeginn | Amtsende |
SV Darmstadt 98 | 11.12.2017 | ??? |
FC Augsburg | 01.07.2016 | 14.12.2016 |
SV Darmstadt 98 | 28.12.2012 | 30.06.2016 |
Stuttgarter Kickers | 05.06.2009 | 19.11.2012 |
FC Wilferdingen | 25.01.2007 | 30.06.2008 |
ASV Durlach | 18.10.2006 | 01.01.2007 |
SPOX: Wie sind Sie damals mit der Anfrage aus Augsburg umgegangen: Hatten Sie überhaupt genug Zeit, um sich darüber ausreichend Gedanken machen zu können?
Schuster: Es geschah alles wie im Zeitraffer und relativ kurzfristig. Nach dem Klassenerhalt mit dem SVD musste man zügig das Pro und Contra dieser Anfrage abwägen. Wir haben zugesagt, weil wir es als nächsten Karriereschritt gesehen haben, bei einem in der Bundesliga etablierten und besser aufgestellten Verein zu übernehmen. Im Endeffekt hat uns in Augsburg die Zeit gefehlt, alle Strukturen innerhalb des Klubs richtig kennenzulernen und unsere Darmstädter Arbeitsweise dort zu implementieren oder sie sogar umzustellen und anzupassen.
SPOX: Inwiefern haben Sie anschließend gespürt, dass Ihr Ruf in der Branche gelitten hat?
Schuster: Darüber habe ich mir kaum Gedanken gemacht, wobei eine Beurlaubung nie förderlich für den eigenen Ruf und die Aussicht auf einen neuen Job ist. Andererseits hatte ich schon zwei Stunden nach der Bekanntgabe der Trennung in Augsburg einen Verein am Telefon, den ich sofort hätte übernehmen können. Man entscheidet auch immer nach seinem Bauchgefühl, man muss etwas bewegen können. Einfach aus der Hüfte zu schießen ist unsinnig, auch weil es wohl rufschädigender wäre, wenn man zwei Mal kurz hintereinander beurlaubt würde.
Dirk Schuster über Nikosia und Darmstadt
SPOX: Kurz vor dem Anruf von SVD-Präsident Rüdiger Fritsch wollten Sie nach Zypern fliegen, Omonia Nikosia lud Sie ein - ein allenfalls zweitklassiger Verein.
Schuster: Wir waren schon auf dem Sprung zum Flug nach Nikosia. Dort hätten wir die handelnden Personen und den Klub kennengelernt, man hatte auch sehr großes Interesse an uns. Wir waren relativ weit, aber die Sache stand nicht unmittelbar vor dem Abschluss.
SPOX: Hätten Sie dort nicht befürchtet, ein wenig in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden?
Schuster: Das war sicherlich ein Kriterium bei der Entscheidungsfindung. Wir hatten den deutschen Markt natürlich ständig im Auge, doch da entschied man sich bei den offenen Planstellen für andere Kandidaten. Dann stellt sich die Frage: Hat man weiter Geduld, ist länger aus dem Hamsterrad draußen und gerät vielleicht in Vergessenheit oder nimmt man eine Aufgabe an, die vielleicht auf den ersten Blick nicht extrem attraktiv erscheint, aber hinter der sich eine große Herausforderung verbirgt?
SPOX: Was Omonia für Sie gewesen wäre?
Schuster: Das ist ein Verein mit viel Tradition und Fanpotenzial. Es hätte eine sehr reizvolle Aufgabe werden können, dort Aufbauarbeit zu leisten und einen mittelfristigen Plan zu entwickeln, wie man den Klub aus dem Mittelfeld wieder an die Tabellenspitze bringt - inklusive der Aussicht, europäisch zu spielen und selbst auch wieder interessanter für den Markt zu werden. Diese Chance haben wir durchaus gesehen.
SPOX: Insofern war der Anruf von Fritsch dann wohl das Beste, das Ihnen in dieser Situation passieren konnte?
Schuster: So kann man es sagen. (lacht) Darmstadt ist ein Verein, der mir am Herzen liegt. Die damalige Trennung war vielleicht nicht geräuschlos, aber man schätzt sich einfach und weiß, was man hier vorfindet und an den Verantwortlichen und Mitarbeitern hat. In den Gesprächen mit Rüdiger Fritsch merkten wir schnell, dass dies ein idealer Wiedereinstieg für uns werden kann.
Dirk Schuster: "Brauche Ausgleich von diesem Arbeitsstress"
SPOX: Kurz darauf sind Sie 50 Jahre alt geworden. Welchen Effekt hat diese Zahl auf Sie?
Schuster: Gar keinen. Viele haben damit ein Problem, aber mir ist mein Alter egal. Ich fühle mich deutlich jünger.
SPOX: Ihr Kollege Jeff Strasser ist sieben Jahre jünger und erlitt beim Spiel in Darmstadt eine Herzattacke. Wie sehr macht man sich darüber Gedanken in einem Job, der einen fast 24 Stunden am Stück fordert?
Schuster: Ich muss leider sagen, dass man den Gesundheitsaspekt oft und leicht verdrängt. Man rückt Dinge in den Vordergrund, die man als wichtiger erachtet: wie die Mannschaft funktioniert, die taktische Ausrichtung am Wochenende, die Kaderplanung für die neue Saison - all dies fordert sehr viel Zeit und Kraft ein. Ich habe zwar auch schon einmal eine Krankheit nicht ideal auskuriert, aber wir sind im Trainerteam sportlich sehr aktiv. Den Ausgleich von diesem Arbeitsstress brauche ich auch. Im November bin ich den New-York-Marathon gelaufen und in unter fünf Stunden durchgekommen. Da dachte ich mir: 50 bin ich noch nicht. An den Spieltagen laufen wir gemeinsam immer eine 18-Kilometer-Strecke. In Hamburg klingelte deshalb zum Beispiel um 5 Uhr der Wecker und um 5.15 Uhr liefen wir los, damit wir um 8 Uhr wieder pünktlich beim Frühstück mit der Mannschaft waren. (lacht)