Darmstadt-Trainer Dirk Schuster im Interview: "Ich bin als Vollidiot dorthin gefahren"

Dirk Schuster ist seit Dezember 2017 wieder Trainer beim SV Darmstadt 98.
© getty

Dirk Schuster erlebte als Trainer einen steten Aufstieg, der 2015 mit dem Durchmarsch in die Bundesliga und dem sogenannten Wunder von Darmstadt gipfelte. Nach dem ebenfalls sensationellen Klassenerhalt mit dem SVD übernahm der 50-Jährige beim FC Augsburg - und musste nur fünf Monate später wieder gehen.

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Seit Dezember 2017 ist Schuster zurück an alter Wirkungsstätte in Darmstadt. Im Interview spricht er über die Laptop-Trainer-Diskussion, das Aus beim FCA, den Beinahe-Wechsel nach Zypern und sein Alter.

SPOX: Herr Schuster, seit längerer Zeit schwelt die Diskussion um sogenannte "Laptop-Trainer", die für manche den Trainermarkt derzeit überfluten. Was halten Sie von der Debatte?

Dirk Schuster: Ich brauche diese Klassifizierungen nicht, sondern empfinde die Entwicklung auf dem Trainermarkt als sehr positiv. Julian Nagelsmann war die Initialzündung, die sich nun fortsetzt. Diese jungen Trainer haben bislang allesamt einen sehr guten Job gemacht. Das gilt aber wiederum auch für einen alten Haudegen wie Friedhelm Funkel, der mit Fortuna Düsseldorf sehr ernsthaft an der Tür zur Bundesliga klopft. Davon auszugehen, dass sich gestandene Trainer nicht mit den Mitteln der modernen Kommunikation auseinandersetzen, ist ein Irrglaube. Diese Entwicklung kann doch gar nicht an einem Trainer vorübergehen. Heruntergebrochen gibt es bei Trainern dieselben fließenden Grenzen wie bei Spielern: Es gibt sehr gute, gute und Trainer, die nicht ganz so erfolgreich waren.

SPOX: Es heißt, ein ehemaliger Spieler hätte viele Situationen schon durchlebt und dadurch einen praktischen Erfahrungsvorsprung. Ist der aber heutzutage überhaupt noch notwendig, wenn sich die Zeiten im Fußball derart verändert haben?

Schuster: Nein. Das war er im Grunde auch nie, wenn ich da an Christoph Daum oder Peter Neururer in der Vergangenheit denke. Diese Fragestellung hat eben die Diskussion um die jungen Trainer mit sich gebracht. Es ist aber ohne Zweifel hilfreich, gewisse Situationen und Strömungen innerhalb der Kabine abschätzen zu können. Denn dort hat sich über die Jahre nur wenig verändert. Man kann einem Spieler leichter erklären, weshalb er nicht spielt oder welchen Platz er in der Hierarchie in der Mannschaft einnimmt, wenn man diese Gespräche selbst schon als Spieler erlebt hat. So lassen sich auch Reaktionen und ein gewisses Verhalten bei den Spielern hervorrufen.

Dirk Schuster über Mehmet Scholl, Stefan Effenberg und Lothar Matthäus

SPOX: Thomas Tuchel, Manuel Baum, Julian Nagelsmann oder Domenico Tedesco hatten alle keine hochtrabenden Spielerkarrieren, stehen aber für die Zukunft der deutschen Trainergilde. Warum scheinen diesen Trainern die Erfahrungswerte als Spieler nicht zu fehlen?

Schuster: Diese Trainer sind nicht nur im theoretischen Bereich stark. Sie bringen alle ihre eigenen Charakteristika und Ideen vom Fußball mit, noch dazu haben sie durch die UEFA Pro Lizenz eine tolle Ausbildung genossen. Cheftrainer arbeiten zudem in einem hervorragenden Umfeld, in dem ihnen viele Spezialisten zur Seite stehen, die ihnen aus anderen Bereichen heraus zuarbeiten. Diese Expertisen fließen heute alle bedeutend mehr ein als noch vor zehn Jahren. Für sie sind diese Begebenheiten weniger neuartig als für Trainer oder ehemalige Spieler, die schon seit 20, 30 Jahren dabei sind.

SPOX: Mehmet Scholl ist der Meinung, dass der deutsche Fußball mit dieser Entwicklung des Trainermarkts sein blaues Wunder erleben wird.

Schuster: Ich kenne Mehmet gut. Er ist jemand, der die Dinge klar beim Namen nennt und mit seinen Sprüchen auch mal bewusst über das Ziel hinausschießt. Er hätte gern, dass diese typischen Fußballer von früher, die den Fußball permanent gelebt haben, mehr Möglichkeiten bekommen, ihr Können als Trainer unter Beweis zu stellen. Das ist seine Sichtweise, die ich auch nicht verurteile. Ich weiß, dass sie bei einigen Kollegen auf Verständnis stößt. Seine Meinung ist inhaltlich vielleicht etwas überzogen, aber sie ist es wert, darüber nachzudenken.

SPOX: Scholl ist der Urheber des Begriffs "Laptop-Trainer". Er wünscht sich mehr ehemalige Spieler als Trainer und auch Typen, die ihm weniger aalglatt erscheinen. Andererseits haben die in diesem Kontext oft bemühten Stefan Effenberg oder Mario Basler auf ihren bisherigen Trainerstationen keinen Erfolg vorweisen können.

Dirk Schuster: "Von Gehirnwäsche kann keine Rede sein"

Schuster: Ich bin überzeugt davon, dass Effenberg ein hervorragender Trainer sein kann. Sein kurzes Intermezzo in Paderborn stand wohl unter keinem günstigen Stern. Aber seine Erfahrung als Spieler, seine Persönlichkeit und die Werte, die er verkörpert, passen eigentlich ideal zum Trainerberuf. Ähnliches gilt für Lothar Matthäus, der ein absoluter Fachmann ist und einen riesigen Erfahrungsschatz mitbringt. Ich finde es schade, dass er in den deutschen Bundesligen nie eine Chance erhielt zu zeigen, was er auf dem Kasten hast.

SPOX: Halten Sie eigentlich die Tatsache, dass für Trainer kaum Ablösesummen gezahlt werden, noch für zeitgemäß?

Schuster: Man muss das in Relation sehen: Es muss nicht das Ziel sein, die Ablösesummen von Trainern in die Höhe zu treiben. Der Markt bestimmt auch immer den Preis. Ich stelle die Gegenfrage: Was wäre beispielsweise Borussia Dortmund bereit gewesen zu zahlen, wenn nach dem Ende von Peter Bosz Jürgen Klopp zur Verfügung gestanden hätte? Das wäre bestimmt kein geringer Betrag gewesen. Wie sich die Ablösesummen in Zukunft entwickeln, vermag ich aber nicht zu beurteilen.

SPOX: Im Dezember 2007 bestanden Sie als Lehrgangsbester den 54. Lehrgang für DFB-Fußballlehrer an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Köln. Wie haben Sie den Lehrgang wahrgenommen - auch als "elfmonatige Gehirnwäsche", wie Scholl behauptet?

Schuster: Überhaupt nicht, von Gehirnwäsche kann keine Rede sein. Es war ein sehr sachlicher Kurs, bei dem wir sehr gut auf sämtliche Gebiete des Fußballs vorbereitet wurden. Als ich dort als ehemaliger Bundesligaprofi ankam, der bereits im Nachwuchsbereich Erfahrung gesammelt hat und einen unterklassigen Verein trainierte, dachte ich, dass ich schon ein bisschen Wissen mitbringen würde. Wie sich aber herausstellte, bin ich gewissermaßen als Vollidiot dorthin gefahren. Ich habe in der Folge die Inhalte wirklich aufgesaugt, weil sie so lehrreich waren.

Schuster und Co. - die Jahrgangsbesten des DFB-Lehrgangs

JahrgangBester Absolvent
2017Damir Dugandzic
2016Domenico Tedesco
2015Florian Kohfeldt
2014Achim Beierlorzer
2013Frank Kramer
2012Alexander Zorniger
2011Jan-Moritz Lichte
2010Mario Himsl
2009Holger Stanislawski
2008Dirk Schuster
2007Karsten Baumann

SPOX: Ihr Lehrgang liegt zehn Jahre zurück. Sie genossen die Ausbildung noch unter Erich Rutemöller, nun ist Frank Wormuth der Chefausbilder.

Schuster: Es hat sich seitdem innerhalb des Lehrgangs natürlich einiges verändert. Er dauert nun länger, verschiedene Inhalte werden - soweit ich das gehört habe - anders akzentuiert. Man legt mehr Wert auf Videoanalysen und Power-Point-Präsentationen. Durch die technischen Hilfsmittel hat sich das in den letzten Jahren mehr in diese Richtung entwickelt.

SPOX: Nachdem Sie die Ausbildung abgeschlossen haben, ging es im Grunde nur bergauf für Sie. Beim FC Augsburg hielten Sie sich zuletzt aber nur fünf Monate. Hätten Sie gedacht, dass der erste Job nach der erfolgreichen Zeit Darmstadt so zügig in die Hose geht?

Schuster: Natürlich hatten wir das Ziel, längerfristig in Augsburg zu arbeiten, wenngleich man als Trainer ja ohnehin nie wirklich langfristig planen kann. Die Sache mit der Schnelllebigkeit ist wirklich keine Floskel. Es wird schnell sehr vieles in Frage gestellt, wenn mal drei Ergebnisse am Stück nicht passen. Für mein Team und mich war es eine zwar ungewollte, aber wertvolle Erfahrung - gerade im Hinblick auf die Zukunft und die Arbeit hier in Darmstadt. Wir haben viel gemeinsam reflektiert und geschaut, was gut lief und wo es auch Verbesserungsmöglichkeiten in unserer Arbeit gibt.

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