Rüdiger Fritsch ist seit vielen Jahren Präsident des SV Darmstadt 98 und erlebte mit dem SVD zahlreiche sportliche Höhen und Tiefen. Der Anwalt spricht im Interview über den Zustand des deutschen Fußballs und die finanzielle Diskrepanz zwischen den ersten vier Ligen.
Fritsch äußert sich zudem über Probleme mit der zunehmenden Kommerzialisierung und hofft, dass das Projekt Red Bull nicht der Startschuss dafür ist, eines Tages Firmenfußball zu spielen.
SPOX: Herr Fritsch, Sie sind seit langer Zeit Präsident des SV Darmstadt 98. Einen Wikipedia-Eintrag findet man nicht zu Ihnen, dafür aber Ihre Email-Adresse auf der SVD-Homepage. Was sagt das über Sie aus?
Rüdiger Fritsch: Zu Wikipedia kann ich nichts sagen. Ich werde da sicherlich nicht selbst was zu mir schreiben. Bisher scheint sich noch niemand gefunden zu haben, der es für wichtig hält, mich dort aufzulisten. Find ich in Ordnung so. (lacht) Was die Email-Adresse angeht: Wir sind ein Mitgliederverein, die Mitglieder sind die Basis von allem. Deshalb gehört sich das. Ich bin ja menschlich nichts Besonderes im Vergleich zu anderen Mitgliedern. Man darf mich also gerne anfunken.
SPOX: Beantworten Sie die Emails dann auch, wenn Sie nicht von Vereinsangestellten kommen?
Fritsch: Natürlich, sonst wäre es ja Verarschung. Ich bemühe mich, alles zu schaffen. Manchmal leite ich aber auch an unsere Fachabteilungen weiter, wenn dort besser geholfen werden kann. Es gibt auch Fans, die sportliche Ratschläge abgeben und beispielsweise über den linken Verteidiger diskutieren wollen, aber das hält sich zum Glück in Grenzen.
spoxSPOX: Wenn Sie ein ganz normaler Fan wären und aktuell einem hochrangigen Fußball-Funktionär in Deutschland eine Email mit Ihren Wünschen schreiben würden, wie sähe der Inhalt aus?
Fritsch: Schwer zu beantworten. Es gibt derzeit viele Fragen und Themen rund um den Fußball, die teilweise noch von niemandem final zu beantworten sind. Der Grundtenor ist aber klar: Quo vadis, Fußball? Dieser Sport entwickelt sich sehr rasant. Das hängt nicht nur, aber unter anderem auch mit dem Grad der zukünftigen Kommerzialisierungsentwicklung und der Frage zusammen, ob wir noch Fan-Interessen in diese Entwicklung eingebunden bekommen. Die Diskussion um die 50+1-Regel wird auch noch weiter Fahrt aufnehmen. Es gibt einige wichtige Themen.
SPOX: Ein Thema für Fans ist das Auseinanderklaffen der finanziellen Schere zwischen oben und unten im deutschen Profifußball. Sind die Schritte, die Sie mit Darmstadt in die 1. und im Vorjahr beinahe in die 3. Liga gegangen sind, zu groß für rationales Arbeiten?
Fritsch: Ich spreche mal nur für einen kleineren Verein wie Darmstadt 98: Für uns war der Abstieg aus der Bundesliga finanziell einigermaßen zu verkraften. Ein Abstieg in die 3. Liga ist jedoch für niemanden ohne Weiteres zu stemmen. Wir bekommen aktuell über zehn Millionen Euro Fernsehgeld pro Saison, in der 3. Liga gibt es für jeden Klub rund 1,2 Millionen. An diesem Rückschritt scheitern daher auch so viele Vereine oder verschwinden ganz in der Bedeutungslosigkeit. Es ist ein riesiger Einschnitt.
SPOX: Sollte man da regulierend eingreifen?
Fritsch: Das Wichtigste in meinen Augen ist, diese Themen zu entemotionalisieren. Es stehen grundsätzliche sachbezogene Fragen im Raum: Welche Bedeutung muss die 3. Liga haben? Ist es notwendig, dass die Übergänge zwischen 1., 2., 3. und vielleicht auch 4. Liga doch sehr unterschiedlich sind? Sollte man die zu verteilenden Gelder sozusagen mit dem Gießkannenprinzip in die Breite investieren?
SPOX: Da werden schnell einige sagen: Das beißt sich aber mit dem Internationalisierungsgedanken und der Konkurrenzfähigkeit in Europa.
Fritsch: Das stimmt. Man darf in Deutschland in dieser Hinsicht nicht denken, dass wir allein auf der Fußball-Welt sind. Teilweise wird auf diesem Gebiet die Musik bereits woanders gespielt. Daher: Wollen wir da mitspielen und wenn ja, brauchen wir dann eine Breite oder ist es wichtiger, die Spitze zu fördern? Das sind ja Diskussionen, die wir auch in der Gesellschaft haben: Muss man die Eliten fördern, um die Qualität des gesellschaftlichen Niveaus zu erhöhen - oder eben nicht?
SV Darmstadt 98: Saisonbilanzen der letzten fünf Jahre
Saison | Liga | Platzierung | Punkte |
2017/2018 | 2. Bundesliga | 10 | 43 |
2016/2017 | 1. Bundesliga | 18 | 25 |
2015/2016 | 1. Bundesliga | 14 | 28 |
2014/2015 | 2. Bundesliga | 2 | 59 |
2013/2014 | 3. Liga | 3 | 72 |
SPOX: Wie lauten Ihre Antworten?
Fritsch: Das ist im Moment nicht ganz einfach. Ich bin ja nicht der liebe Gott und habe überall die perfekte Lösung parat. Für mich ist es wie oft im Leben der Mittelweg, der gefunden werden muss. Die Fragen und Diskussionen sind mit mehr Inhalt und Details zu beleben, als es aktuell der Fall ist. Mit Stammtischparolen wird man ihnen nicht gerecht, weil sie - und da sind wir uns wohl alle einig - auch sehr, sehr komplex sind. Es wird nicht einfach, einen Konsens unter all den verschiedenen Interessensgruppen zu finden.
SPOX: Im Sommer griff für die Absteiger Kaiserslautern und Braunschweig eine Solidarzahlung von 600.000 Euro pro Verein, die aus der Mitte der Zweitligaklubs ohne Druck von außen angeregt wurde. Ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn das quasi nicht über das System aufgefangen werden kann?
Fritsch: Weiß ich nicht, aber da sind wir wieder bei den bereits angesprochenen Themen. Das war ja auch nicht als Dauerlösung gedacht, sondern dem Fakt geschuldet, dass drei Spieltage vor Schluss noch die halbe Liga absteigen konnte. Es war ein einstimmiger Beschluss aller Zweitligisten. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sich manche Drittligisten massiv beschwert haben, weil sie auch versuchen, der 3. Liga zu entfliehen - und dann kommen in Anführungszeichen die Großkopferten herunter und kriegen auch noch eine Mitgift auf den Weg.
SPOX: Darmstadt 98 steht für viel Romantik und Tradition. Dennoch müssen Sie als Präsident dafür sorgen, dass sich der Klub mit dem modernen Fußball entwickelt, ohne sein eigenes Selbstverständnis zu verlieren. Bedauern Sie es, dass man das so machen muss, weil es keine andere Auswahlmöglichkeit gibt?
Fritsch: Es gibt keine andere Möglichkeit, das ist de facto so. Wenn man wie ich in einer anderen Fußball-Welt groß geworden ist, tun einem bestimmte Entscheidungen manchmal schon weh. Da schlagen dann zwei oder mehrere Herzen in meiner Brust. Am Ende geht es aber nicht um mein eigenes Empfinden. Das rufe ich auch den verschiedenen Interessengruppen wie Fans, Sponsoren oder Politik zu. Man sollte das machen, was für die Gesamtentwicklung des Fußballs sinnvoll ist. Und da stellt sich direkt wieder die Frage: Geht es dabei um die Entwicklung des Fußballs in Deutschland oder in Europa oder in der Welt?
SPOX: Was glauben Sie?
Fritsch: Es dreht sich irgendwie um alle Themen. Als Verantwortungsträger eines Vereins, und da kann mir auch keiner etwas anderes erzählen, will man seinen Klub gewinnen sehen. Dafür braucht man Spielerqualität und die bekommt man nicht geschenkt. Es geht darum, Geld zu verdienen - und wer keines hat, wird keine guten Spieler bekommen. An Geld komme ich wiederum nur, wenn ich mich an den Marktmechanismen orientiere. Manche Mechanismen passen vielleicht gar nicht zu den Grundsätzen eines Vereins, doch ignoriert man sie, muss man sich mit der 4. Liga und abwärts begnügen. Fußball-Purismus und Nostalgie schießen auf Dauer eben keine Tore. Ich propagiere für Darmstadt 98 den Mittelweg.
SPOX: Können Sie es nachvollziehen, wenn Fans trotz der Kenntnis der Sachlage gegen alles sind, was mit Kommerzialisierung verbunden ist, auch wenn damit ihrem eigenen Verein geholfen wäre?
Fritsch: In Darmstadt haben wir das meist gut hinbekommen. Es macht letztlich keinen Sinn, wie die Indianer gegen die Dampflok zu sein und unaufhörlich dagegen anzukämpfen. Man muss die Dinge als Verein aber erklären und darf sie nicht nur einfach umsetzen. Denn es ist in dieser Gemengelage durchaus möglich, bei den Leuten ein Verständnis und eine Akzeptanz für wirtschaftliche Vorgänge zu schaffen. Sollte diese Rakete künftig aber immer weiter steigen, dürfte es schwieriger werden und noch größere Diskussionen nach sich ziehen.
SPOX: Sie selbst sagten schon, dass Sie "dem Projekt Red Bull und Fußball überhaupt nichts Positives oder Interessantes abgewinnen" können, weil dort ein Weltkonzern einen Dorfklub übernahm. Gehören solche Konstrukte aber nicht auch zur Entwicklung des modernen Fußballs?
Fritsch: Es wird so sein, weil es schwer ist, die Gesamtentwicklung aufzuhalten, egal ob man das subjektiv gut oder schlecht findet. Damit allerdings keine Missverständnisse aufkommen: Der sportliche Output des Modells Red Bull, also was dort mit dem Geld gemacht wird, ist ziemlich gut. Es ist auch nicht so, dass man in Leipzig über dreimal so viel Geld verfügt wie an anderen Standorten größerer Vereine. Das ist unstrittig. Was ich damals meinte, bezog sich eher auf mein persönliches Empfinden. Nach dem Motto: Wenn das Schule macht, haben wir vielleicht irgendwann "Firmenfußball", der nur dem product placement dient. Das wäre dann nicht mehr mein Fußball, weil es nichts mehr mit dem Verein zu tun hätte, dem man aus welchen Gründen auch immer jahrelang die Daumen gedrückt hat.
SPOX: Sie sind seit 2008 im Präsidium des SVD. Rund um die nun geklärte Frage nach einem Stadionausbau gab es auch erstmals Wechselgerüchte um Sie. Wie viel war da dran?
Fritsch: Ich weiß nicht, woher diese Gerüchte kamen. Von mir jedenfalls nicht. Ich bin ein Kind des Rhein-Main-Gebietes und keine 35 mehr, ich muss nicht mehr die Welt erobern. Der Stadionausbau ist ein klarer Meilenstein für die Weiterentwicklung und Etablierung des Vereins, den ich gerne weiter begleiten möchte. Da wird in Zukunft noch viel Arbeit auf uns zukommen.
SPOX: Und wenn morgen RB Leipzig anruft und Ihnen ein unwiderstehliches Angebot macht?
Fritsch: Dann wird daraus nichts werden. (lacht)