Clemens Knödler ist Capo bei der Ultra-Gruppierung Schwabensturm 02, einer der Chefs und Einheizer in der Cannstatter Kurve. Im Interview mit SPOX und Goal spricht Knödler über die ablehnende Haltung der Ultras zum Restart im deutschen Profifußball, die fehlende Bindung zum VfB Stuttgart und die Causa Hopp.
Außerdem erklärt Knödler, welche Konsequenzen nach der Coronakrise gezogen werden könnten und warum die Ultras immer besonders kritisch hinschauen.
Herr Knödler, am Sonntag geht die Zweitliga-Saison für den VfB mit einem Spiel in Wiesbaden weiter. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den Restart?
Clemens Knödler: Ich fühle eigentlich gar nichts. Es ist eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Abneigung. Für jemanden wie mich, der oft im Stadion ist, fühlt es sich sicher noch mal etwas anders an als für diejenigen, die im Normalfall die Spiele im TV verfolgen. Ich habe zwar ein grundsätzliches Interesse zu sehen, wie die Umsetzung am Wochenende jetzt genau aussieht und auch wie das Spiel ausgeht. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass es grundsätzlich falsch ist, was dort passiert.
Sie haben mit dem Schwabensturm einen Fragenkatalog formuliert und an den VfB geschickt, der viele Themen beleuchtet, die vielen Fans aktuell Bauchschmerzen bereiten. Gab es eine Reaktion seitens des Vereins?
Knödler: Ja, wir stehen mit dem VfB in Kontakt. Wir wollen den Verantwortlichen keinen zeitlichen Druck machen, solange wir sehen, dass sie sich mit unserem Anliegen beschäftigen. Diesen Eindruck haben wir. Mit Claus Vogt gibt es einen Präsidenten, dem wir grundsätzlich abnehmen, dass er alles dafür tun will, dass sich die Entfremdung von der Basis nicht noch weiter fortsetzt. Unter der Führung von Wolfgang Dietrich hatten wir den Scheindialog einseitig abgebrochen. Es war komplett sinnlos, mit jemandem in den Austausch zu gehen, der in einen Dialog geht, ohne es auch nur ansatzweise in Erwägung zu ziehen, eine andere Meinung zuzulassen. Jetzt versuchen wir, den Kontakt wieder aufzubauen, weil es aus meiner Sicht auch dringend nötig ist, im Verein ein paar Personen zu haben, an die man sich vertrauensvoll wenden kann. Aber wir machen das lieber langsam und in kleinen Schritten. Der Ball liegt jetzt beim VfB.
schwabensturmClemens Knödler: "Es gibt aktuell keine richtige Bindung mehr"
Eine Skepsis bleibt also.
Knödler: Absolut. Über die Jahre ist so viel kaputtgegangen, dass wir alles, was beim VfB passiert, mit einer gewissen Grundskepsis sehen. Das ist einfach die Wahrheit. Es ist kein Vergleich zu früheren Zeiten, was die Bindung an den Verein und das Konstrukt, das dahintersteht, angeht. Mit dem neuen Präsidenten ist auf der einen Seite eine Hoffnung verbunden, dass sich etwas verändert, aber auf der anderen Seite sind die Zweifel groß. Es gibt aktuell keine richtige Bindung mehr - und das war schon vor der Coronakrise der Fall.
Der erste Punkt in Ihrem Fragenkatalog befasst sich mit dem Themenkomplex der Coronatests. Die DFL verweist auf schriftliche Versicherungen der Labore, dass niemandem Tests "weggenommen" werden. Können Sie das so akzeptieren?
Knödler: Rein sachlich kann ich das akzeptieren, das ist in Ordnung. Aber das Thema hat nicht nur eine sachliche Ebene, sondern auch eine emotionale und moralische. Fakt ist, dass die DFL Tests durchführen lässt, im Wissen, dass sie an anderer Stelle deutlich sinnvoller wären. Aus rein menschlichen Erwägungen sollten erst mal die Leute getestet werden, die wirklich wichtig und für die Gesellschaft systemrelevant sind. Das Selbstverständnis zu haben, dass es ja nicht die Schuld der DFL ist, dass hier nicht genug getestet wird, finde ich befremdlich. Die DFL hätte doch auch sagen können: Wir finanzieren Tests für Altersheime oder Krankenhausangestellte, das wäre doch eine schöne Schlagzeile in den Zeitungen gewesen. Stattdessen wird einfach versucht, als erste Liga in Europa einen Spielbetrieb durchzupeitschen. Dafür fehlt mir das Verständnis. Und es zeigt, wie weit der Fußball von seiner Basis weg ist.
Der moralische Aspekt kann natürlich als Totschlagargument gelten. Ab wann dürfte denn moralisch gesehen wieder gespielt werden und wer soll es entscheiden?
Knödler: Da gibt es sicher verschiedene Sichtweisen, die alle legitim sind. Ich will auch gar nicht abstreiten, dass wir Ultras da eine besonders kritische Haltung einnehmen. Unsere moralischen Ansprüche sind hoch angesetzt. Das steht außer Frage. Diese Haltung ist aber natürlich auch eine Folge aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre. Die Kritik an der DFL und dem DFB ist ja kein neues Phänomen.
Clemens Knödler über die Causa Hopp und die krasse Wortwahl
Die Causa Hopp spielte sich quasi direkt vor Corona ab. Dennoch war DFL-Boss Christian Seifert dann von der Missgunst überrascht, die dem Profifußball aktuell begegnet.
Knödler: Generell halte ich Christian Seifert nüchtern betrachtet für einen fähigen Mann, sonst wäre die DFL auch nicht an den Punkt gekommen, an dem sie jetzt wieder ist. Aber diese Aussage war natürlich bezeichnend. Wen die Missgunst tatsächlich überrascht, der muss wirklich komplett den Bezug zur Basis verloren haben. Wie angesprochen: Wir hatten in der Causa Hopp einen ganz krassen offenen Konflikt, der nicht lange her ist. Und natürlich spielt das und vieles mehr in die aktuelle Situation mit rein. Sie spiegelt ja nur deutlichst wider, wie weit entfernt die Meinung aus den Fanszenen von der Meinung der DFL ist.
Die aktive Fanszene der Cannstatter Kurve hat damals selbst mit einem sehr kreativen Banner Stellung bezogen.
Knödler: Mit dem "Dietmar Hopp ist ein Timo Werner"-Banner wollten wir den Leuten damals den Spiegel vorhalten. Es gab jahrelang Schmähgesänge gegen Timo Werner, auch in Hoffenheim, aber es hat niemanden interessiert. Und dann wurde plötzlich ein großes Fass aufgemacht.
Würden Sie mir dennoch zustimmen, dass "Hurensohn"-Banner generell zu weit gehen? Beziehungsweise dass solche Banner die Ultras, die sich ja vor allem sozial so stark engagieren, die Einkaufshilfe für Risikogruppen als bestes Beispiel, in ein falsches Licht rücken?
Knödler: Ich gehe d'accord damit, dass man sich über die Wortwahl streiten kann. Definitiv. Ich muss aber trotzdem zwei Punkte anmerken. Zum einen war die krasse Wortwahl offenbar nötig, um die erwünschte Aufmerksamkeit zu generieren. Den Konflikt und die Proteste gab es schon jahrelang, aber erst dadurch wurde es zu einem größeren Thema. Und zum anderen ist es auch ehrlich zu sagen, dass der Fußball rau ist. Da gibt es immer mal wieder Ausschläge, die vielleicht auch eine Grenze überschreiten, aber es ist auch der raue Charakter, der den Fußball so interessant macht. Das gehört auch zur Wahrheit. Und wenn die Wahrnehmung dann ist, dass sich Verantwortliche von Klubs zu Moralaposteln aufschwingen, die dazu eher weniger Berechtigung haben, ist es doch klar, dass wir die Probleme so nicht gelöst bekommen.
Die DFL proklamiert, dass die Saison fortgesetzt werden muss, weil sonst bei einigen Vereinen die Lichter ausgehen würden. Halten Sie das für glaubwürdig?
Knödler: Zunächst mal muss man ja sagen, dass es die DFL clever macht. Es ist davon die Rede, dass der Fußball gerettet werden muss. Das ist natürlich Nonsens, aber eine geschickte Ausdrucksweise, um sein Argument zu unterstützen. Die Bundesliga in der jetzigen Form wird es vielleicht potenziell nicht mehr geben, aber den Fußball wird es immer geben. Ich kann es mir durchaus vorstellen, dass es wirklich schlimm steht um einige Vereine und dass die Saison tatsächlich um Biegen und Brechen zu Ende gespielt werden muss. Der Fußball dreht sich weiter, weil er sich weiterdrehen muss, nicht weil er sich drehen will. Was ich aber nicht in meinen Kopf bekomme, ist die fast schon groteske Abhängigkeit der Vereine von den TV-Geldern. Ein paar Monate reichen, um mich an den Abgrund zu rücken? So kann ich ja kein Wirtschaftsunternehmen führen.
Würde es Ihre Meinung zum Restart ändern, wenn VfB-Vorstandschef Thomas Hitzlsperger sich hinstellen und offen sagen würde: Entweder wir spielen die Saison zu Ende, oder den VfB gibt es in der Form nicht mehr?
Knödler: Es würde nichts an meiner Haltung verändern. Alle Bauchschmerzen, was Tests oder das Gesundheitsrisiko angeht, hätte ich ja weiterhin. Aber es würde schon einen Unterschied machen, was das grundsätzliche Verständnis für die Lage des Klubs angeht. Es wäre immerhin ein offenes Eingeständnis eines Vereins, dass hier etwas grundlegend falsch läuft.
Clemens Knödler: "Verzweifelte Versuche, das System irgendwie überleben zu lassen"
Es ist ja offensichtlich, dass es aktuell um genau ein Thema geht: Geld. Dennoch finde ich, dass das Argument Brot und Spiele nicht komplett weggebügelt werden darf. Wie sehen Sie das?
Knödler: Da würde ich sogar zustimmen. Ich sehe es selbst im Kollegenkreis. Viele sind froh, wenn wieder Fußball zu sehen ist, das stelle ich nicht in Abrede. Mich stört es vielmehr, dass einem auf der einen Seite die Pistole auf die Brust gesetzt wird. Nach dem Motto: Ihr müsst das jetzt mittragen, sonst ist alles kaputt. Und dass aber gleichzeitig darüber fabuliert wird, dass der Fußball den Menschen ja auch wieder Freude machen will. Gerade wenn ich jetzt an die letzte Saisonphase denke, glaube ich kaum, dass alle Fans sich freuen werden, wenn ihr Verein ab- oder nicht aufsteigt. Zum Fußball gehören ja genauso die Niederlagen und Enttäuschungen. Die Fans werden nicht alle freudestrahlend durch die Gegend rennen am Ende der Saison. Das ist mir einfach zu plakativ dargestellt, damit kann ich dann auch nichts anfangen.
Es geht im Moment auch viel um Kommunikation. Was ist Ihre Meinung, wenn man daran denkt, wie Hertha mit dem Fall Kalou umgegangen ist, oder Köln mit dem Interview von Birger Verstraete?
Knödler: Für mich sind das verzweifelte Versuche, das System irgendwie überleben zu lassen. Es herrscht eine unglaubliche Angst und Sensibilität vor, dass mit allen Mitteln versucht wird, kritische Stimmen zu unterdrücken. Ich kann das ein Stück weit sogar nachvollziehen, weil der Druck ja immens sein muss. So ein Beispiel wie mit Verstraete zeigt, dass es durchaus kritische Spieler gibt. Es wäre ja auch verrückt, wenn es nicht so wäre. Es geht um ihre Karrieren und ihre Gesundheit, die auf dem Spiel stehen.
schwabensturmClemens Knödler: "Der Fußball wird seiner Vorbildfunktion definitiv nicht gerecht"
Bei allen Diskussionen, auch zum Beispiel um Quarantänemaßnahmen der Gesundheitsämter, wird immer noch vergleichsweise wenig um die Risiken für die Spieler gesprochen. Stichwort: Verletzungsrisiko und vor allem auch möglicheCorona-Langzeitfolgen, über die man noch viel zu wenig weiß.
Knödler: Ich möchte es nicht zu deutlich ausdrücken, aber manchmal denke ich mir, es geht fast schon in Richtung einer modernen Sklaverei. Wenn ich mir vorstelle, dass ich ein Unternehmen habe und meine Mitarbeiter wissentlich einer gesundheitlichen Gefahr aussetze, bin ich mir sicher, dass mir diverse Behörden auf die Finger klopfen würden. Zurecht. Ich möchte nicht in der Haut eines Verantwortlichen stecken, sollte tatsächlich etwas passieren. Aber hier wird es offenbar ja durchgewunken und von den Spielern wird erwartet, dass sie es mitmachen. Natürlich könnten sie sich verweigern, aber wer wird es machen und damit seinen hochdotierten Vertrag gefährden? Ich verstehe einfach nicht, warum man nicht noch ein paar Monate warten kann, bis die Fallzahlen hoffentlich weiter gesunken sind und es mehr Erkenntnisse über die Risiken gibt. Natürlich können wir nicht alles ewig auf Null setzen, auch den Fußball nicht. Aber ein paar Monate können wohl kaum einen Unterschied machen in puncto Finanzen, bei den TV-Geldern hat es ja eine Einigung gegeben. Und vielleicht würden ein paar Monate ja ausreichen, um nicht auf Verdacht einfach mal loslegen und große Risiken eingehen zu müssen.
Halten Sie wie viele Kritiker auch die Signalwirkung des Restarts für fatal, wenn gleichzeitig die Kitas noch geschlossen sind und die Kinder nicht in größeren Gruppen auf den Bolzplatz gehen können?
Knödler: Ich verstehe die Argumente, diese Punkte nicht zwingend zu vermischen. Aber auch da geht es ja um mehr als eine sachliche Abwägung. Der Fußball hat die Kraft, gesellschaftlich zu verbinden. Der Fußball schafft Vorbilder. Und hier wird der Fußball seiner Vorbildfunktion definitiv nicht gerecht. Wie soll ein Vater seinem Sohn erklären, dass hier der Fußballplatz im Dorf gesperrt ist und generell Abstand eingehalten werden soll, wenn seine Idole wieder über den Platz rennen dürfen? Ich finde das schwierig.
Wie schwierig ist es, wenn wir über die Integrität des Wettbewerbs reden? Man könnte ja auch sagen, dass wir uns in einer absoluten Ausnahmesituation auf der Welt befinden und wir es nun eben vorübergehend akzeptieren müssen, dass keine hundertprozentige Chancengleichheit vorhanden ist.
Knödler: Mit der Fairness ist es ja grundsätzlich so eine Sache. Ich diskutiere gerne darüber, ob es denn jetzt fair ist, dass Leipzig dank Red Bull in der Bundesliga spielt. Aber was sich gerade abzeichnet und was wir am Beispiel Dresden sehen, hat mit Fairness wirklich gar nichts mehr zu tun. Ich habe auch den Eindruck, dass der Solidaritätsgedanke zu Beginn der Coronakrise, der damals so großgeschrieben wurde, keine Rolle mehr spielt. Jeder schaut nur auf sich. Ich möchte mal den Aufschrei in Stuttgart erleben, wenn es beim VfB einen Coronafall gibt und die Mannschaft 14 Tage in Quarantäne muss. Spätestens dann wird in Stuttgart das große Klagen beginnen und alle werden den Abbruch fordern, weil es ja so unfair sei. Aus meiner Sicht darf die Saison nicht gewertet werden und es geht nächste Saison wieder von vorne los.
Auch wenn der sportliche Wert fragwürdig ist, könnten die Geisterspiele interessante Erkenntnisse liefern. Mentalcoach Holger Fischer hat im Interview erklärt, dass sich Qualität jetzt viel mehr durchsetzen wird und dass wir sehen, welche Spieler intrinsisch motiviert sind und welche nicht. Gibt es Aspekte an den Geisterspielen, die Sie spannend finden?
Knödler: Ich finde es interessant zu sehen, welchen Anteil wir Fans wirklich spielen. Wie ist es für einen kleineren Verein nach Stuttgart zu kommen und nicht das Stadion gegen sich zu haben? Was macht die Heimkurve wirklich aus? In Stuttgart hatten wir ja schon häufiger die Diskussion, dass die Spieler durch das teils kritische Publikum gehemmt würden und das Stadion gar nicht mehr hilfreich sei in manchen Spielen. Wie abhängig sind manche Teams wiederum von der Atmosphäre? Das finde ich spannend, auch wenn wir natürlich nie genau wissen werden, wie die Spiele mit Fans gelaufen wären.
Clemens Knödler: "Dafür ist der Profifußball viel zu sehr von Geld und Gier zerfressen"
Können Sie es noch hören, wenn manche immer noch warnen, dass sich die Fans jetzt vor dem Stadion versammeln könnten?
Knödler: Es ärgert mich nicht. Es zeigt für mich einfach nur die Unwissenheit aller Leute, die glauben, dass das zum Problem werden könnte. Ich konnte überhaupt nicht nachvollziehen, dass schon davon gesprochen wurde, dass Spiele gegen die jeweilige Mannschaft gewertet werden, sollten Fans auftauchen. Warum macht man so ein Fass auf, das ja im Zweifel noch für einen Anreiz sorgt? Wenn das so ist, kaufen wir uns HSV-Trikots, stellen uns vor ihr Stadion und schreien ein bisschen herum. (lacht) Das ist ja blanker Unsinn und wirklich total sinnfrei.
Die Verantwortlichen haben in letzter Zeit viel von Demut gesprochen. Konkret wurde aber bislang niemand mit Ansätzen für eine wirkliche Veränderung. Würden Sie sich da mehr konkrete Ansagen wünschen?
Knödler: Ich würde es mir lieber nicht wünschen, weil ich es dann noch unehrlicher fände, wenn ich jetzt wieder 22 Spieler auf dem Platz herumrennen sehe. Ich kann sogar verstehen, dass aktuell der totale Fokus darauf liegt, die Sache unter Einhaltung aller Vorschriften durchzuziehen. Aber es wird eine Zeit nach Corona geben und dann wird der Profifußball Antworten liefern müssen. Wir Fans haben über die Jahre oft genug den Zeigefinger gehoben und mehr als genug Denkanstöße und Input gegeben. Man wird sich das ganz genau anschauen. Aber ich sage auch ehrlich: Mir fehlt der Glaube, dass sich wirklich grundlegend etwas verändern wird. Dafür müsste an viel zu vielen Schrauben gedreht werden und dafür ist der Profifußball viel zu sehr von Geld und Gier zerfressen. Ganz Europa führt einen Salary Cap ein und die Spieler verdienen am Ende nur noch ein Drittel? Dafür reicht meine Fantasie nicht aus.
Gerade bei den TV-Geldern gibt es ein Lieblingsargument: Wenn die Einnahmen dort nicht so steigen würden, könnte Bayern ja nicht mehr die Champions League gewinnen.
Knödler: Natürlich ist mir auch sportlicher Erfolg wichtig. Der VfB ist 1992 Meister geworden, damals bin ich Fan geworden. Ich kann mich ja nicht vom Erfolg völlig loslösen. Aber: Erstens fehlt mir beim VfB oft genug das Vertrauen, dass der Verein mit dem Geld, das irgendwie reinkommt, überhaupt die richtigen Leute holt. Und zweitens ist das nicht alles. Ich will eine Mannschaft auf dem Feld sehen, die mit Herz bei der Sache ist. Die sich auch ihrer Verantwortung bewusst ist, dass 50.000 Fans da sind, um sie spielen zu sehen. Um nach einer harten Arbeitswoche Spaß und Ablenkung zu genießen. Um ehrlichen Fußball zu sehen. Das muss in erster Linie da sein. Und wenn dann noch der Erfolg dazukommt, ist es wunderbar. Aber in dieser Reihenfolge.
Clemens Knödler: "Mir ist es vollkommen egal, was Daniel Didavi macht"
Macht es was mit Ihnen, wenn mit Daniel Didavi einer der momentan größten VfB-Stars für einen Shitstorm sorgt, weil er wirre Posts absetzt und sich als Folge als Verschwörungstheoretiker-Versteher beschimpfen lassen muss?
Knödler: Ganz ehrlich: Mir ist es vollkommen egal, was Daniel Didavi macht. Es ist seine Meinung. Meine ist eine komplett andere. Er hat auch vor einiger Zeit gesagt, dass sich alle Fans, die ein Problem mit dem Profifußball haben, einen anderen Sport suchen sollen. Er soll machen, was er will.
Abschließend: Was ist denn die Konsequenz der Ultras, wenn es irgendwann wieder normal weitergeht und die Cannstatter Kurve wieder voll besetzt sein darf?
Knödler: Darüber findet aktuell bei uns und sicherlich auch bei vielen anderen bereits eine intensive und harte Diskussion statt. Im Moment erleben wir einen endgültigen Verrat am Fußball. Das ist unsere Position. Und wenn man das Wort endgültig benutzt, muss das auch gewisse Konsequenzen haben. Ich kann mir vorstellen, dass einige Fans aktuell sagen werden: Es ist genug, wir können das nicht mehr mit dem vereinen, wofür wir stehen wollen, das war's. Es geht sicherlich auch darum: Nehmen wir den Kampf auch nach diesem erneuten Schlag ins Gesicht nochmals auf und leisten auch in Zukunft Widerstand oder werfen wir die Flinte ins Korn und akzeptieren, dass dieses Business schlicht und ergreifend am Arsch ist? Das wird aber jeder für sich entscheiden müssen, egal ob Ultra oder nicht.
Bislang muss man ja schon sagen, dass die Fans nahezu alles mit sich haben machen lassen, wenn man zum Beispiel an die Zuschauerzahlen denkt. Der VfB hat in den schlimmsten Krisen das Stadion voll, 1988 im UEFA-Cup gegen Groningen waren keine 10.000 Fans da. Und Trikots werden auch gekauft, egal wie teuer sie sind.
Knödler: Das stimmt. Wir müssen ja auch einfach sehen, dass wir Fans selbst Teil des Business geworden sind. Ich wage es auch, die These aufzustellen, dass das Stadion auch wegen der Kurve so voll ist. Weil die Menschen Freude haben, daran teilzuhaben. Aber wenn wir Fans Teil des Geschäfts sind, ist es auch unsere Aufgabe, nicht abzustumpfen und alles zu akzeptieren. Wir haben eine gewisse Verantwortung und auch Macht, die müssen wir auch einsetzen. Wenn es die Ultras eines Tages nicht mehr gibt, gibt es keine so offensive und starke Opposition mehr. Dann ist der Volkssport Fußball wohl endgültig kaputt und der moderne Fußball setzt sich final durch. Deshalb haben wir auch noch den Willen weiterzumachen und als Ultras die aus unserer Sicht wichtigen Werte des Fußballs zu verteidigen.