Die Sonne steht tief. Zusammen sind Tiger Woods und Bob May auf dem Weg zurück zum 16. Loch des Valhalla Golf Club. Es ist kein Moment für große Worte, denn eigentlich sollte zu diesem Zeitpunkt die 82. Ausgabe der PGA Championship längst vorüber sein.
Doch stattdessen kratzt ein bis dato nahezu unbekannter Journeyman aus dem Süden Kaliforniens an der wohl größten Sensation in der Geschichte des Golfsports. May, der zu diesem Zeitpunkt bei 56 Anläufen auf der US-PGA-Tour nur eine einzige Top-10-Platzierung vorzuweisen hat, fordert den besten Golfer aller Zeiten zu einem Duell auf Augenhöhe, das nun mit dem Stechen sein endgültiges Ende finden soll.
Alles nach Plan?
Einige Stunden zuvor, am Anfang des letzten Tages, hatte wohl kaum jemand ein solch dramatisches Ende erwartet. Alles sprach für den erwarteten großen Triumph Woods', der nach dominanten Siegen bei den U.S. Open und der Open Championship seinen dritten Major-Titel in Folge ins Visier genommen hatte. Zudem ging Tiger mit einem Schlag Vorsprung auf seine letzte Bahn, welche er zusammen mit dem stark aufspielenden May bestritt.
Doch die Vorzeichen des ungleichen Aufeinandertreffens sollten schon bald auf den Kopf gestellt werden. Nach einem exzellenten Start übernahm der Außenseiter früh das Kommando. Der große Favorit jagte einem absoluten Nobody nach, der mit sensationellen Schlägen ein ums andere Mal verblüffte.
Vor allem auf der höchst anspruchsvollen Back Nine des Par-72-Kurses lieferten sich beide Kontrahenten einen Schlagabtausch, der bis heute seinesgleichen sucht. "Wir haben bis zum zehnten Fairway viel miteinander geredet", erinnert sich May: "Danach gingen uns jedoch langsam die Löcher aus. Es ging schließlich um alles und so hat sich jeder auf sich konzentriert."
Eine Klasse für sich
Was folgte, war ein wahres Feuerwerk. "Es war ein unglaubliches Duell", sagte Woods im Anschluss an die wohl größte Herausforderung seiner Karriere: "Keiner hat zurückgesteckt. Birdie für Birdie, Schlag für Schlag - besser geht es nicht."
Dank überragender sieben Schläge unter Par auf den letzten zwölf Löchern gelang es dem haushohen Favoriten am Ende tatsächlich noch, May abzufangen. Beide lagen nach vier gespielten Runden bei 18 unter Par gleichauf.
Wäre May an diesem Sommertag im August nicht ausgerechnet auf Woods getroffen, der sich zudem auf dem absoluten Höhepunkt seines Schaffens befand, es hätte ihn wohl niemand aufhalten können.
Das restliche Teilnehmerfeld hatten beide deklassiert, ganze fünf Schläge Vorsprung auf die Verfolger herausgespielt. Dass das nachfolgende Stechen zum ersten Mal nicht nur das letzte Loch im Sudden-Death-Modus umfasste, sondern auf den letzten dreien ausgespielt wurde, war dem Anlass mehr als angemessen und sorgte für die Krönung des Krimis.
Drama in drei Akten
Im Gegensatz zum Morgen war es diesmal Woods, der den besseren Start erwischte. Direkt am ersten Loch der Playoffs zauberte er einen Putt aus sechs Metern direkt ins Schwarze. Als der Ball noch unterwegs war, lief Tiger los und zeigte voller Selbstvertrauen auf das Ziel. Eine Szene, die auch vierzehn Jahre später noch in den Köpfen präsent ist.
Nach zwei Par-Putts von May ging es mit einem Schlag Vorsprung für Woods anschließend erneut zum 18. Loch. Wer nun dachte, dass endgültig alles entschieden sei, der wähnte sich nach den ersten Schlägen seitens Woods mit Sicherheit auf dem Holzweg.
Nach einem katastrophalen Abschlag fand sich Woods im Bunker wieder, die Chance für May schien zum Greifen nahe zu sein. Aber Tiger wäre - zumindest damals - nicht Tiger gewesen, wenn er sich nicht aus dieser misslichen Lage befreien hätte können.
Wenige Zentimeter fehlen...
Mit einem sehenswerten Schlag platzierte Woods den Ball nur wenige Zentimeter neben die Fahne und legte den gesamten Druck damit auf die Schultern Mays, dessen vorheriger Schlag zu weit nach rechts geriet und in einer denkbar ungünstigen Position zum Liegen kam.
Äußerlich unbeeindruckt begab sich May zum wohl wichtigsten Schlag seiner Karriere. Er holte einige Male tief Luft, positionierte seine Füße und sein Griff um den Schläger festigte sich. Was zu diesem Zeitpunkt in seinem Kopf vorging, dürfte nur schwer vorstellbar sein.
Der Ball, den er mit viel Gefühl über eine kleine Erhöhung gespielt hatte, sah zunächst gut aus, verpasste das Loch jedoch um wenige Zentimeter. Woods vollendete sein Werk. Das große Duell zweier absoluter Ausnahmekönner war beendet.
Das Glück des Tüchtigen
"Je besser man ist, desto mehr Glück hat man", analysierte Bobs Vater Jerry May nach der Niederlage seines Sohnes und legte nach: "Tiger hatte bei einigen Versuchen Glück. Aber es war eines der besten Duelle aller Zeiten, egal ob man als Sieger oder Verlierer den Platz verließ."
Der Unterlegene sah es ähnlich. "Einen wirklichen Verlierer gibt es an diesem Tag nicht", sagte er mit einem Lächeln, das keineswegs gezwungen wirkte.
Warum auch? Schließlich hatte May, der inzwischen seine eigene Golf Academy in Las Vegas leitet und Vater zweier Kinder ist, zwar verloren, allerdings die Hochachtung der Zuschauer und seines Kontrahenten, der mit dem Sieg beim Masters 2001 den "Tiger Slam" folgen lassen sollte, gewonnen. Es sollte der Höhepunkt seiner Karriere bleiben.
Eine OP mit Risiko
Zwar spielte May im Anschluss noch weitere Events quer über den Globus, jedoch hatte er dabei stets mit gravierenden Rückenproblemen zu kämpfen. Als diese auf konventionelle Art nicht mehr zu behandeln waren, entschied er sich vier Jahre nach den denkwürdigen Tagen von Valhalla endgültig für eine Operation - Risiko inklusive.
"Es gab eine zehnprozentige Chance, dass ich nach dem Eingriff gelähmt sein könnte", sagt May: "Um weiter Golf spielen zu können, hatte ich aber keine andere Wahl."
Das Gespräch mit seinem damaligen Arzt hat der 45-Jährige noch vor Augen: "Ich erinnere mich noch genau daran, dass der Doktor mich fragte, ob es eine spezielle Sache gebe, die er für mich tun könne", so May. "Meine Antwort war simpel: 'Ich möchte nur den Schmerz loswerden.'"
Zwar verlief der Eingriff ohne Komplikationen, dennoch fesselte er ihn zehn Wochen ans Bett. In den folgenden zwei Jahren danach schlug May keinen einzigen Ball. Erst 2006 feierte er sein Comeback auf der Tour.
Die Motivation lässt nach
Seine Rückkehr war jedoch von Anfang an mit Bedingungen verknüpft. Er musste sein Leben grundlegend ändern. Ohne ein detailliertes Fitnessprogramm und eine angepasste Ernährung würde sein Rücken sonst trotz der Operation für Probleme sorgen.
Zunächst gelang es May, sich an den Plan der Ärzte und Physiotherapeuten zu halten, mit der Zeit verschob sich sein Fokus allerdings.
"Ich hielt es eine Weile durch, dann begann ich nachlässig zu werden", räumt May ein: "Meine Kinder wurden älter und ich wollte mehr Zeit mit ihnen verbringen. Also habe ich als erstes am Fitnesstraining gespart." So seien aus einem Tag ohne Training erst zwei, dann drei und auf einmal mehrere Wochen geworden.
Das Ende... oder doch nicht?
Seine letzte vollständige Tour spielte er im Jahr 2007. Danach beschränkten sich seine Auftritte auf kleinere Turniere. Bis drei Jahre später vorerst Schluss war. Nach Reisen quer durch die Vereinigten Staaten war May am Ende seiner Kräfte.
Mental wie körperlich war er nicht mehr mit dem Menschen vergangener Tage zu vergleichen. Darüber hinaus waren auch die Ergebnisse wenig zufriedenstellend und die tägliche Einnahme von Medikamenten tat ihr Übriges.
Ganz hinter sich lassen will er seine Leidenschaft jedoch nicht. Sogar von einer erneuten Rückkehr auf die Tour spricht der Kalifornier. Und das vor seinem 50. Geburtstag. Ob es dazu kommen wird, ist fraglich. Die Erfahrung Valhalla kann ihm aber sowieso niemand mehr nehmen.
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