2. Juni 2013, Lanxess Arena Köln: Der HSV Hamburg hatte im Champions-League-Finale soeben den FC Barcelona in einer epischen Schlacht mit 30:29 nach Verlängerung niedergerungen.
Nach den DHB-Pokalsiegen 2006 und 2010, dem Triumph im Europapokal der Pokalsieger 2007 und der deutschen Meisterschaft 2011 war der Klub, der erst seit 2002 am Spielbetrieb teilnimmt, ganz oben angekommen.
Knapp ein halbes Jahr später ist von der Euphorie nicht mehr viel übrig. Es begann mit der peinlichen Posse um den früheren Geschäftsführer Frank Rost zu Saisonbeginn. Nach nur 43 Tagen war die Zeit des Ex-Fußball-Torhüters beim HSV abgelaufen. Erst bestätigte der damalige Präsident Matthias Rudolph den Rücktritt Rosts. Dann wollte der einen Tag später nichts mehr von seinem Rückzug wissen und wurde daraufhin vor die Tür gesetzt.
Ende Oktober warf Rudolph das Handtuch. "Ich schaffe es zeitlich und körperlich nicht mehr", lautete die offizielle Erklärung des 55-Jährigen. Außerdem leide das Familienleben. Es gibt aber auch Gerüchte, wonach sich Rudolph und Trainer Martin Schwalb überworfen hätten, auch wenn beide Seiten dies dementieren.
Rudolph für Rudolph
"Rudolph für Rudolph" heißt es nun beim HSV. Matthias' älterer Bruder Andreas gibt sein Comeback als Präsident. Der 58-Jährige, der bereits von 2005 bis 2011 dieses Amt ausübte, ist in Wahrheit der einzige Chef in Hamburg.
"Ich habe mich verpflichtet gefühlt. Wer mich kennt, weiß, dass mir der HSV sehr am Herzen liegt. Daher habe ich mich auch entschlossen, wieder Verantwortung beim HSV zu übernehmen", sagte Rudolph.
Dabei ist der schwerreiche Medizinunternehmer eigentlich nie so ganz aus der Verantwortung verschwunden. Einige sagen, es seien selbst in den vergangenen beiden Jahren, als er nach eigener Aussage Distanz zum Klub gehalten hat, die meisten Fäden bei ihm zusammengelaufen.
Rudolph soll bereits rund 25 Millionen Euro in die Profiabteilung der Hamburger gepumpt haben. Ohne seine Millionen, so vermuten Experten, wäre der HSV gar nicht überlebensfähig. "Wenn Andreas sagt, er will nicht mehr, dann wäre der Laden dicht", meint beispielsweise Stefan Kretzschmar.
"Der Mäzen wird es schon richten"
Für einen Klub dieser Größenordnung nicht gerade ein solides Fundament. Trotz großer Erfolge haben es die Norddeutschen scheinbar in einigen Bereichen verpasst, für Nachhaltigkeit zu sorgen. Das sieht auch Rost so. "Die Mentalität beim HSV ist halt so: Der Mäzen wird schon alles irgendwie richten", sagte der 40-Jährige der "Sport Bild".
Rudolph weiß das wohl auch selbst. Deshalb kündigte er an, dem HSV dabei helfen zu wollen, sich auf breitere Beine zu stellen und noch stärker in Hamburg zu etablieren. Das muss aber im Eiltempo geschehen, denn die Amtszeit des großen Zampanos endet 2015 schon wieder.
Danach, so der Plan, ist Schluss - womöglich auch mit den Finanzspritzen. Selbst die Konkurrenz sorgt sich deswegen um die Hamburger. "Wenn sich der HSV aus dieser Liga verabschieden würde, das wäre nicht auszudenken", sagte Klaus Elwardt, der Geschäftsführer beim THW Kiel ist.
"Dann geht man ganz schnell unter"
Der HSV muss also möglichst flott in geordnete Bahnen gelenkt werden. Einfach wird es nicht, zumal sich in der Hansestadt immer weniger Menschen für den Verein interessieren. Der Beleg: In der Meistersaison 2010/2011 kamen durchschnittlich 10.692 Zuschauer zu den Heimspielen, derzeit sind es nur noch 8.090.
Rückläufige Zuschauerzahlen bei einem Champions-League-Sieger - ein alarmierendes Zeichen. "Wenn man hier im Mittelmaß versinkt, dann geht man in Hamburg ganz schnell wirtschaftlich unter. Man muss um Titel mitspielen", weiß Rechtsaußen Stefan Schröder.
Genau das erweist sich in dieser Saison als schwierig. In der Bundesliga weist die Bilanz des HSV bereits sechs Minuspunkte auf, bei Tabellenführer Kiel sind es nur zwei. Im DHB-Pokal setzte es bereits in der zweiten Runde eine Heimpleite gegen Frisch Auf Göppingen. Und in der Champions League kann man eine Wiederholung des Triumphs ohnehin nicht einplanen.
Große Probleme in der Abwehr
Besonders die Abwehr bereitet den Hamburgern Kopfzerbrechen. Mit 361 Gegentoren kassierte das Schwalb-Team die meisten Treffer unter den Spitzenteams. Zum Vergleich: Kiel (348), Flensburg (360), Berlin (351) und die Rhein-Neckar Löwen (321) ließen weniger zu. Dabei hat der HSV die wenigsten Partien in der Liga von den fünf Mannschaften absolviert.
"Wir brauchen ein bisschen mehr Härte, wir müssen ein bisschen mehr Drecksau sein", forderte Rückraumspieler Adrian Pfahl deshalb. Ein Problem ist sicherlich der riesige Kader. 19 Spieler muss Schwalb bei Laune halten, weshalb er fleißig rotiert und noch keine Formation für die entscheidenden Momente des Spiels gefunden hat. Die Konkurrenz agiert mit 13 bis 15 Mann.
Unter dem Strich eine komplizierte Situation. "Bei uns herrscht nicht Land unter", will Schwalb nichts von Horrorszenarien wissen. Den Eindruck, dass das Wasser rund um den HSV derzeit steigt, kann der 50-Jährige damit allerdings nicht wegwischen.
Der HSV Hamburg im Überblick