Die Förde im Sturm erobert

Von Simon Ommer
Nikola Bilyk zeigt beim THW Kiel herausragende Leistungen
© getty

Geboren in Tunesien als Sohn ukrainischer Eltern, aufgewachsen in Österreich und als Youngster bereits ein Star beim THW Kiel: Die Lebensgeschichte von Nikola Bilyk ist so spektakulär wie sein sportlicher Aufstieg. Der 19-jährige Österreicher erlebt eine Entwicklung, von der auch die THW-Legenden Magnus Wislander und Stefan Lövgren vor dem Kracher gegen die SG Flensburg-Handewitt (So., 15 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) gegenüber SPOX beeindruckt sind. Ein Vergleich mit den ganz Großen des Sports kommt allerdings noch etwas zu früh.

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Es laufen die letzten Minuten des Spitzenspiels der Bundesliga zwischen den Füchsen Berlin und dem THW Kiel. Der THW liegt in Führung, dennoch nimmt Trainer Alfred Gislason eine Auszeit. In der Unterbrechung steht jedoch nicht er, der Chef an der Seitenlinie, sondern ein ganz anderer im Mittelpunkt: Ein 19-Jähriger gibt dem Team Anweisungen, wie der nächste Spielzug gespielt wird.

Ein erfahrener Trainer überlässt einem Spieler die Ansagen? Und dann auch noch einem unbedarften Youngster, der erst vor Saisonbeginn zum Team gestoßen ist? Eine absolute Seltenheit. Doch steht diese Szene sinnbildlich für die Entwicklung der gesamten Mannschaft und vor allem den Raketenstart von Nikola Bilyk, mit dem vor nicht allzu langer Zeit in dieser Form wohl niemand rechnen konnte.

"Klar bin ich überrascht"

Die Zeiten, in denen jeder Superstar ohne zu zögern zum THW wechseln würde, sind inzwischen vorbei. Die großen Namen zieht es allesamt dorthin, wo das Geld regiert. Mit Paris, Veszprem oder Kielce hat Kiel mächtig Konkurrenz auf dem Transfermarkt bekommen - und alle sind finanziell deutlich besser aufgestellt als der Klub aus Norddeutschland.

Trotzdem konnten die Kieler im Sommer Bilyk verpflichten und schon nach wenigen Wochen stellte sich heraus, dass dem THW damit ein echter Coup gelungen ist. Der Youngster hat einen rasanten Karrieresprung hingelegt und ist wahrscheinlich der auffälligste Offensivspieler in der Truppe Gislasons.

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Dabei wusste zu Beginn niemand, wie viel man vom Österreicher eigentlich schon erwarten kann. Er galt zwar als eines der größten Talente im Handball, konnte sich aber bisher nur in der österreichischen Liga beweisen. Mit dem Wechsel zum THW folgte dann der große Schritt in die beste Liga der Welt.

Druck? Nervenflattern? Ganz im Gegenteil. Bilyk zeigte sich von Beginn an unbeeindruckt und überzeugt Spiel für Spiel im Dress der Zebras mit guten Leistungen. Auch die THW-Legende Magnus Wislander ist sichtlich überrascht und gleichzeitig angetan vom rasanten Aufstieg des Youngsters: "Ja, klar bin ich überrascht, er ist so ein junger Mann und bekommt so viel Spielzeit. Man muss ganz ehrlich sagen, dass er es richtig gut macht", sagte der Welthandballer des Jahrhunderts im Gespräch mit SPOX.

Wie der Vater, so der Sohn

Völlig aus dem Nichts kommen die Fähigkeiten des Hoffnungsträgers aber nicht. Bilyk wurde im Jahr 1996 in Tunesien geboren, sein Vater war ebenfalls Handball-Profi und spielte zu dieser Zeit in Tunis. Drei Jahre später zog es die Familie dann jedoch nach Österreich, da Vater Serhij zu den Fivers Margareten nach Wien wechselte. In Österreich begann auch Nikola mit dem Handball, wurde im Jahr 2012 schließlich Profi und spielte anschließend zusammen mit seinem Vater bei den Margareten in einer Mannschaft.

Die Vater-Sohn-Verbindung konnte in Österreich einige Erfolge feiern. So gewann das Duo drei Mal den österreichischen Pokal, zwei Mal den Supercup und im Jahr 2016 folgte der größte Triumph zur richtigen Zeit: Zum Abschluss von Serhijs Karriere und vor Nikolas Wechsel zum THW gewannen die Fivers die Meisterschaft.

Schon früh machte Bilyk mit starken Leistungen auf sich aufmerksam, weshalb auch die Nationalmannschaft schnell ein Thema wurde. Mit 17 Jahren debütierte er im März 2014 für die Auswahl von Österreich. In bisher 30 Länderspielen gelangen ihm im Anschluss 94 Tore. Eine Quote, die international für Aufsehen sorgte und die eine Karriere beschreibt, die sich bislang eigentlich nur mit Superlativen zusammenfassen lässt.

Lernen von den Großen

"Nikola ist sehr gut vorbereitet, sehr vielseitig. Er wird bei uns eine gute Rolle spielen", prophezeite THW-Trainer Gislason bereits vor der Saison. Mit dieser Vorahnung stand er nicht alleine da. Dass diese aber bereits in den ersten Spielen eintreten sollte, damit haben nur die wenigsten Außenstehenden gerechnet.

Bilyk erhielt auf Anhieb viele Spielanteile, konnte sich schnell in die Startformation der Kieler spielen. In seiner neuen Heimat kann er zudem von den ganz Großen seines Sports lernen. Mit Domagoj Duvnjak hat er einen ehemaligen Welthandballer an seiner Seite, zudem stehen etliche Nationalspieler mit reichlich Erfahrung im Kader.

Trotz der hochkarätigen Besetzung übernimmt er schon viel Verantwortung, traut sich auch nach Fehlwürfen noch zu, Abschlüsse zu suchen. Ein Verdienst der ganzen Mannschaft, die ihm immer wieder das Vertrauen schenkt und dafür belohnt wird. Bilyk ist häufig bester Werfer seines Teams und sichert dem THW somit wichtige Punkte im Kampf um die Meisterschaft. Allein beim Auswärtssieg in Minden glänzte er beispielsweise mit zwölf Treffern.

Vom MVP zum Himmelsstürmer

Auch seine Statistik beim deutschen Rekordmeister untermauert seinen rasanten Aufstieg, der in diesem Ausmaß einzigartig ist. Der MVP der Junioren-EM 2014 erzielte in 15 Spielen 71 Tore und ist somit der beste Torschütze seiner Mannschaft. Vor einigen Monaten spielte er noch fernab von jeglichem medialen Interesse im Mittelmaß der Handballwelt, nun sorgt er bei einem Traditionsverein in der Bundesliga für Furore. Seine Entwicklung ist aber noch längst nicht am Ende.

Denn in der Weltklasse ist er trotz aller Lobeshymnen noch nicht angekommen, wie Ex-THW-Kapitän Stefan Lövgren gegenüber SPOX anmerkte: "Nur weil jetzt alles so gut aussieht, heißt es noch nicht, dass er der nächste Superstar wird." Weiter sagte Lövgren aber auch, "dass er alle Möglichkeiten dazu hat."

Der neue Jicha?

Bilyk selbst richtet seinen Blick nach vorne. Er will mit dem THW vor allem eines: Titel gewinnen. So, wie es sein großes Vorbild Michael Jordan im Basketball geschafft hat. Nichtsdestotrotz bleibt er dabei stets bescheiden, denn den Boden unter den Füßen hat er trotz seines kometenhaften Aufstiegs nicht verloren. Seine Unbekümmertheit spielt eine große Rolle. Sie hilft ihm, von Spiel zu Spiel zu denken. Die Leistungen des Youngsters ziehen automatisch Vergleiche mit den Großen der Szene nach sich.

In den Medien wird er bereits als der neue Filip Jicha gefeiert. Der Tscheche war langjähriger Kapitän und Leistungsträger bei den Kielern und spielt wie Bilyk im linken Rückraum. Die Vergleiche mit dem Welthandballer von 2010 müssen aktuell wohl zugelassen werden, sie kommen aber dennoch zu früh.

Dies sieht auch Wislander so: "Er hat unglaubliches Talent, aber trotzdem fehlt noch die Routine und ich glaube, dass er auch noch ein paar Kilo zulegen muss. Er ist zwar schon richtig gut, aber noch nicht so gut wie Filip Jicha, der ein Weltklassespieler ist."

Die Anlagen zu einem Spieler eines solchen Formats hat Bilyk aber auf jeden Fall. Die ersten Monate in Kiel haben gezeigt, dass der Österreicher zu Recht als das größte Talent im Welthandball bezeichnet wird. Nicht auszudenken, wohin ihn sein Weg führen kann, wenn seine Entwicklung beim Rekordmeister auch weiterhin in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Die Voraussetzungen könnten kaum besser sein.

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